3. Das Medium der Sprache

Diese Überschrift ist auf jeden Fall mit Vorbehalten zu lesen. Daß die Sprache als eine ganz allgemeine, universale Instanz des Ausdrucks angesehen werden kann, das ist bestenfalls der Endpunkt einer Entwicklung, die in der Renaissance vor sich geht. Die erste Stelle zB in englischer Sprache, wo sich so etwas feststellen läßt, ist Shakespeare, Troilus und Cressida (IV, v, 55): “There's language in her eye, her cheek, her lip”. Aber Achtung: Das ist eine abfällige Bemerkung von Ulysses über Cressida, er meint daß aus ihr der Geist der Lüsternheit spricht. Und überhaupt sollte man ja mit dem Begriff des Mediums vorsichtig sein.

Grundsätzliches

Im Vordergrund steht natürlich zuerst einmal das Verhältnis von Sprache und Geist: Die Sprache als aktiver Geist, als naturalisierter Geist, als kommunikativer Geist. Schon bei Petrarca war die gemeinschaftsbildende Funktion der Sprache wichtig, und in der Reflexion auf die Sprache konnte man auch jene Gegenüberstellung besser verstehen bzw relativieren, die wir an der Bruni-Stelle vorhin gesehen haben, wo die Einsamkeit der Kontemplation lächerlich gemacht wurde. Die Sprache ist eben genau das, was diese Bereiche des Öffentlichen einerseits, der zurückgezogenen Reflexion anderseits miteinander verbinden kann. Ich glaube von Petrarca ist der Satz: “Wir müssen bestrebt sein, den Menschen, mit denen wir leben, zu helfen, und niemand könnte in Zweifel stellen, daß wir ihren Seelen größten Nutzen zu bringen vermögen durch Worte”. Wenn demgegenüber auch die Zurückgezogenheit der Gelehrten gepriesen wird, dann muß das nicht nur ein Gegensatz sein, dann kann auch daran gedacht sein, daß die Innerlichkeit des Menschen, wenn sie nur sprachlich bewußt gemacht wird, ja gerade der Reichtum ist, den er mit der Gemeinschaft teilt. Also da gibt es eine Gedankenlinie, auf der ist Innerlichkeit nicht Weltflucht, sondern gerade Weltgewinn, Weltaufbau. Einsam wären die Menschen eher, wenn sie diese Innerlichkeit nicht zur Verfügung hätten, wenn sie in einer leeren, nur äußerlichen Natur sich fänden. Irgendwie ist das, was man in dieser Perspektive an der Sprache hervorhebt, schon ungefähr das, was viel später Hegel mit dem Wort “objektiver Geist” meint. Noch zweihundert Jahre nach Petrarca schreibt ein gewisser Stefano Guazzo (in einem Buch über die Konversation des Bürgers):

... die Natur selbst hat dem Menschen das Sprachvermögen gegeben, gewiß nicht damit er mit sich selbst rede, sondern damit er sich der Sprache im Umgang mit andern bediene; und ihr seht, daß wir uns dieses Werkzeugs bedienen, um zu lehren, fragen, verhandlen, beraten, verbessern, um zu diskutieren, beurteilen, um die Regungen unserer Seele auszudrücken (sic!), alles Mittel, wodurch die Menschen sich vereinigen und lieben können.

... man kann keine Wissenschaft empfangen, wenn sie nicht von anderen gelehrt wird...

Die Unterhaltung ist nicht nur förderlich, sondern notwendig für die Vervollkommnung des Menschen.

Dialog, Rhetorik und Philosophie

Ein Begriff, der in besonderem Maße genau diese Frage von Sprache, Geist, Gemeinschaft, innerem und gesellschaftlichem Leben bezeichnet hat, war Dialog. Der Dialog ist in der humanistischen Kultur vieles zugleich: eine Art von Lebensform, eine literarische Form und natürlich auch ein vieldiskutiertes Problem. Der Dialog ist oft das Verfahren, die Form, in der er selbst als Thema auftaucht. Aber auch noch als die bloße Form hat der Dialog gewisse inhaltliche Züge, die wir schon anklingen gehört haben. ZB in den Überlegungen gerade vorhin haben wir etwas sehr Charakteristisches gehabt, nämlich daß die Innerlichkeit der Kontemplation oder der Reflexion entgegengesetzt wird dem Sozialen; daß aber zugleich diese beiden Pole als miteinander vermittelt gesehen werden, sei es durch die Sprache, in der das Innere sich ausdrückt, sei es überhaupt im Sinne gegenseitiger Voraussetzung. Das Gegensätzliche als gegensätzlich und doch zugleich als Einheit oder zumindest nebeneinander bestehend denken. Das ist eines der Prinzipien des Dialogischen. Concordia discors. Der Dialog ist nicht ein Mittel, ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Entscheidung für eine der beiden Seiten in einer Streitfrage, oft ist der Dialog selbst gerade das, was über die strittige Sache gesagt werden kann. Das aber ist nun ein unendlich wichtiger Punkt, denn das heißt ja in Verlängerung, daß die Wahrheit der Sache in ihrer sprachlichen, hier eben: dialogischen Form authentisch da ist. Um diese Wahrheit der Sache sich gegenwärtig zu machen, müssen die Menschen sich nicht irgendeiner abstrakten Wirklichkeit anpassen, sondern sie müssen nur ausbilden und vervollkommnen, was ihre eigene Anlage ist: die Fähigkeit des Sprechens, in einen Dialog zu treten. Die Menschen als sprachliche Wesen haben eine Macht über die Wahrheit.

Aber daß der Mensch in der Sprache eine Macht anstreben kann - eventuell sogar eine Macht über die Wahrheit oder eine “Macht der Wahrheit”, das ist nun geradezu eine Definition von Rhetorik. Und ebenso ist klar, daß diese Bestimmung des Geistes als Sprache eine scharfe Spitze hat gegen die Vorstellung des Geistes als unausdrückbare sprachlose intellectio. So erklärt sich, daß eines der besonders beliebten Dialog-Themen der Humanisten das Verhältnis von Rhetorik und Philosophie war. Natürlich kann jemand, von außen her, sagen: Na wenn das ein Dialogthema ist, dann ist ja klar, daß die Philosophie nicht gewinnen kann, dann ist das von Anfang an ein Heimspiel für die Rhetorik; lassen wir einmal die Rhetorik gegen die Philosophie nicht in einem Dialog, sondern in einer rein rationalen Reflexion antreten oder in einer Meditation, dann werden wir schon sehen.

Der Witz bei der Sache ist natürlich, daß es hier wirklich um so etwas wie einen universalen Anspruch geht, und wer einen universalen Anspruch aufstellt, der muß, wenn ich das so sagen darf, per definitionem auch ein Auswärtsspiel gewinnen können. Ein Zitat aus Kristellers Aufsatz über “Die humanistische Bewegung”:

Da sich der Rhetoriker als einer versteht, der über alles redet und schreibt und der Philosoph versucht, über alles nachzudenken, sind beide von jeher als Rivalen in dem Anspruch aufgetreten, den Geist universal zu bilden. Diese Rivalität manifestierte sich in Platos Polemik gegen die Sophisten; sie blieb in den folgenden Jahrhunderten der griechischen Antike in den miteinander konkurrierenden Schulen der Philosophen und Rhetoriker weiterhin bestehen, wurde aber bei den Römern und ihren Nachfolgern im frühen Mittelalter weitgehend vergessen. Denn bei ihnen war eine starke rhetorische, aber keine philosophische Tradition vorhanden. Eine Rivalität zwischen Rhetorikern und Philosophen konnte erst wieder in verschiedenen Formen im Hochmittelalter mit dem Aufschwung philosophischer Studien entstehen, und erneut in der Renaissance, als humanistische Gelehrsamkeit mit der scholastischen Tradition des Aristotelismus zu konkurrieren begann.

Ein besonders berühmtes Beispiel für die Sache, die wir hier verhandeln, ist eine Korrespondenz zwischen Ermolao Barbaro und Pico della Mirandola. Ein Dialog in Briefen. Er beginnt mit einem Brief von Barbaro an Pico, wo die scholastische Philosophie als Barbarei verhöhnt wird. Jetzt muß man wissen, daß Pico tatsächlich, bevor er mit den Florentiner Platonikern wie Ficino etc in Berührung gekommen war, eine traditionelle scholastisch-philosophische Bildung erworben hatte, also er war der richtige Adressat für so etwas. Seine Antwort war eine kunstvolle Angelegenheit. Er begann damit, daß er sagte, für diese seine Vergangenheit würde er sich ganz furchtbar schämen, daß er sich so lange mit so einer häßlichen Sache abgegeben habe - ganz toll hingegen sei der Stil, in dem Barbaro ihm geschrieben hat, das sei etwas Schönes. Das Blöde bei den barbarischen Philosophen sei nur, daß so schwer einzuschätzen ist, was ihre Sache letztlich wirklich wert ist, weil sie selbst ja - wegen ihrer barbarischen Sprache - gar nichts Effektives zu ihrer eigenen Verteidigung vorbringen können. Genauer gesagt: die wollen ja gar nicht für ihre Sache Reklame machen, die wollen die Zustimmung der Menge nicht, die wollen keinen eleganten Eindruck machen. Denen gehts nur um die Sache selbst, so wie sie an sich ist. Während in der Rhetorik gerade der den größten Eindruck macht, der die Sachen ineinander verkehren kann (den schwächeren Logos zum stärkeren machen), der übertreibt und Erstaunen hervorruft. In der Rhetorik gehts um die Sprache, in der Philosophie um das Herz. Und da bekommt die Sache dann eine gewisse Tendenz zugunsten der Philosophen, denn ohne Sprache - eventuell in der Einsamkeit eines Eremitendaseins - kann man noch leben; aber ohne Herz nicht. “Non est humanus qui sit insolens politioris litteraturae; non est homo qui sit expers philosophiae”. Am Schluß sagt Pico, natürlich dürfe man nicht annehmen, daß das was er da gesagt hat, auch wirklich seine Meinung sei, er habe nur versucht, die Sache mal aus der Perspektive jener Barbaren zu sehen, deren Existenz als solche man ja nicht leugnen kann. Es sei ein Fehler der rhetorischen Humanisten, wenn sie über lauter philologischen Feinheiten und stilistischen Subtilitäten nicht mehr sehen, was in der Wirklichkeit los ist. Also das ist dann am Schluß eine recht untentschiedene Sache, würde ich sagen. Barbaro hat darauf noch einmal geschrieben. Er sagt, er habe Picos Brief in einem größeren Forum diskutiert, und da seien auch solche scholastische Philosophen dabei gewesen. Natürlich hätten sich manche von denen gefreut, daß sie nun gegen ihn, Barbaro, so eine gute und beredte Verteidigung gefunden hätten. Aber es habe unter ihnen auch einige gegeben, die gar nicht zufrieden waren damit, daß sie auf diese Weise Recht bekommen sollten. Diese, die auf die rhetorische Art nicht Recht bekommen wollten, seien aber vielleicht gerade die, die dem Pico besonders stark Recht geben in der Sache. Die Frage sei nur, ob jemand, dem in der Sache Recht gegeben wird - jetzt ist Pico gemeint -, nicht schon allein deswegen als ein Überläufer zu den Barbaren anzusehen sei. Du hast Dich da zwischen zwei Stühle gesetzt, sagt er ihm. Im Prinzip sei es ja klar, daß jemand, der eine Sache gut kann und sie außerdem noch schön darstellen kann, besser ist als jemand, der sie nur gut kann. Aber gerade bei der Philosophie könnte ein Sonderfall vorliegen... So könnte das nun unendlich weitergehen.

Ich lese Ihnen zur Ergänzung noch einmal eine kleine Stelle von Leonardo Bruni vor, damit Sie sehen, in welchem Ton solche Feststellungen damals getroffen wurden wie daß die scholastische Philosophie etwas Barbarisches ist:

Ich kann diese hochberühmten Philosophen, die das lehren, was sie selbst nicht wissen, nicht genug bewundern. Wie haben sie Philosophie lernen können, wenn sie die Literatur nicht kennen? Beim Sprechen machen sie mehr grammatikalische Fehler als Worte. Ich würde ihnen lieber beim Schnarchen als beim Reden zuhören. Fragt man sie aber, auf wessen Autorität und Lehre sie sich mit ihrer so berühmten Weisheit stützen, dann sagen sie, auf die des Philosophen, und damit meinen sie Aristoteles. Und wenn sie etwas beweisen wollen, dann holen sie aus diesen Büchern, von denen sie sagen, sie seien von Aristoteles, Behauptungen hervor, lauter schroffe, unpassende und verworrene Worte, die jedes Ohr ermüden und belästigen können....

Das steht im Kontext eines großen Lobes des Cicero übrigens, aber ich habe es jetzt vorgelesen als ein Beispiel für eine eindeutige und scharfe Gegenüberstellung. Und dann gibt es auch von Petrarca schon Stellen, wo man den Kompromiß ausgedrückt findet:

Weder ist Sprache ein unbedeutender Ausdruck des Geistes, noch der Geist ohne lenkenden Einfluß auf Sprache. Eines hängt vom anderen ab...

Für beide also ist Sorge zu tragen, damit der Geist maßvoll und streng gegenüber der Sprache sei, und die Sprache ihm gegenüber in wahrhaftiger Weise schön. Zwar wird, wo der Geist mit sich zu Rate gegangen ist, auch die Sprache nicht nachlässig sein können, aber umgekehrt besitzt auch die Sprache keine Würde, wenn sich der Geist nicht seiner Ehrwürdigkeit bewußt ist.

Aber in der Pico - Barbaro - Kontroverse geht es nicht so simpel zu, da kann man ja nicht einmal sagen, daß ein Kompromiß erreicht ist. Da ist alles derart in die Schwebe gebracht, und doch zugleich noch wesentlich tiefer durchreflektiert, daß man wirklich von einem eigenen Phänomen sprechen muß. Das sind Leute, die reden nicht nur davon, daß die Rhetorik eine ganz eigene Kunst mit diesen und jenen Effekten ist, sondern die leben das; und es zu leben heißt keineswegs, nur für einen äußeren Schein zu leben. Es ist eher eine neue Dimension des Lebens, der Philosophie.

Freilich, auf die Dauer wäre diese Art von Auseinandersetzungen vielleicht auch langweilig. Für uns ist interessant, daß sie noch durchaus eine zusätzliche Perspektive haben, wo dann auch noch nach Gründen gesucht wird dafür, daß das Denken keine Priorität vor dem Wort haben kann.