2. Verweltlichung

Jetzt bin ich eigentlich schon, ausgehend von der Moralphilosophie, von der Frage des Fächerkanons weggekommen. Mit der Opposition von vita activa und vita contemplativa ist genau das Thema Welt angesprochen. Wir sollten vielleicht zwei Aspekte unterscheiden: Einerseits haben wir Interesse an der Diskussion als solcher, die da geführt wurde, und da gibt es Argumente für beide Seiten. Also zB die Platoniker habe natürlich einen Hang zum Kontemplativen. Anderseits sehen wir aber in der ganzen humanistischen Strömung, und in allen ihren Ausprägungen, eine starke Tendenz zum Aktiven. So habe ich Sie in einer der ersten Stunden darauf hingewiesen, daß allein schon der Begriff vita contemplativa eine Verlagerung des theoretischen Anspruches zum Praktischen, zum Leben hin mit sich bringt. Also der ganze Gegensatz also solcher bringt schon die praktische Tendenz zum Ausdruck. Aber fangen wir trotzdem mal an bei den schroffen Gegenüberstellungen, und nehmen wir als Beispiel die Disputationes Camaldulenses von Landino. Lorenzo Magnifico spricht dort für das aktive Leben. Er lobt die Tätigen aller Art: Kaufleute, Ärzte, Zimmerer, Juristen, Fischhändler, Schuster, Bäcker, und stellt dann die Frage: Und wozu ist ein gelehrter Stubenhocker nütze? Die Antwort, die ihm gegeben wird, von Alberti, ist sehr charakteristisch.

Sie lautet nämlich nicht, daß die Gelehrsamkeit und Kontemplation einen Wert hat, der am Maßstab des Nutzens gar nicht gemessen werden kann. Sondern das kontemplative Leben wird legitimiert aus seinem indirekten Nutzen, aus seiner Umwegrentabilität für die Gemeinschaft. Die Gelehrten als Ratgeber in Konfliktfällen aller Art, von der Technik über Politik bis zum individuellen Seelenheil. Es gibt dabei ein lustiges Nebenargument, das wir als Philosophinnen uns merken sollten. Er sagt extra, es bestünde keine Gefahr, daß das Lob der Kontemplation nun die Leute wieder von der nützlichen Arbeit abhalten könnte, weil das kontemplative Leben sowieso nicht jeder schafft; das ist ja gar nicht so einfach.

Also das ist ein sehr interessantes Arrangement, das sieht für uns so aus, als wäre der eigentliche Gegensatz schon untergraben und zugunsten des Aktiven vorentschieden. Und das, obwohl Landino ein prononcierter Platoniker war! Die Kontemplation hat keinen alleinigen Selbstwert. Ihr Sinn liegt nicht in der Befreiung aus den Wirrnissen des Lebens, sondern im Nutzen für die Steuerung seiner Wechselfälle.

Es gibt aber auch andere Konzeptionen als diese scharfe Opposition, zB solche, in denen extra noch ein sog sapiens als Vermittler des Gegensatzes vorkommt, wo also die Weisheit in der geglückten Vermittlung von Handlung und Kontemplation besteht. Konstant bleibt die Tendenz, daß die Rechtfertigung der Kontemplation in Hinblick auf das Leben gesucht werden muß. Damit Sie mich nicht mißverstehen muß ich natürlich dazusagen, daß das eine Konstante dieses Diskussionszusammenhanges ist, nicht eine absolute Konstante. Es gibt klarerweise auch die richtig mystischen Bewegungen, in denen spirituelle Erhebung über den Lebenszusammenhang hinaus ein Programm ist. Die sind unabhängig von dieser Prämisse, die meinen wir jetzt nicht.

Ein Gedanke, der öfters auftaucht in solchen Vergleichen ist eine mögliche innere Fragwürdigkeit der Kontemplation. Wenn man versucht, sie zu rechtfertigen als das höchste Vermögen im Menschen, jenes Vermögen, mit dem er das Höchste anstrebt - ist das dann überhaupt wahr oder realistisch? Ist das nicht vielleicht schon wieder hybris? Im 16.Jh. wird dieser Gedanke immer geläufiger, da wird das zu einem noch viel direkteren Argument für die vita activa, da sehen Sie dann schon einen grundsätzlich neuen Kontext: Die Reformation. Aber der Topos kommt auch schon früher vor, wieder aus dem Garin eine Stelle von Leonardo Bruni, wo die traditionelle Hierarchie völlig umgekehrt ist:

Der hohe und große Geist braucht nicht diese Qualen der Einsamkeit (gemeint ist die Einsamkeit der Kontemplation) und ganz gewiß ist es, daß nie in Erscheinung treten wird, was nicht gleich erscheint; so daß das Sich-Abscheiden und Sich-Absondern von der Gemeinschaft denen geziemt, die mit ihrem niedrigen Geist gar nicht fähig sind, etwas zu unternehmen.

Nun noch ein paar Andeutungen zu der speziellen Frage, wie angesichts dieser Tendenz zum Aktiven die Philosophie selbst dasteht. Von dem, was wir heute als Philosophie ansehen, ist in den litterae ja überhaupt nur die Moralphilosophie vertreten. Also nicht überraschend sind Vorlieben wie die für Sokrates und seine Bevorzugung der städtischen Umgebung. Die Philosophie als Schule des Lebens. Ein Humanist wie Salutati hebt bei Sokrates ganz andere Aspekte hervor als Ficino. Während Ficino den Aspekt des möglichen Aufstiegs der Seele betont und etwa Schönheit und Dichtung insofern höher bewertet, als sie zu diesem Aufstieg beiträgt, so findet man bei Salutati ein Lob des Sokrates als Bürger von Athen, und bezüglich der Unsterblichkeit der Seele stellt er relativ profan fest, daß die uns den (ganzen) Menschen als solchen auch nicht ersetzen kann.

Wir können zusammenfassen: Wenn wir die studia humanitatis betrachten, dann macht uns heute das vielleicht den Eindruck des rein Theoretischen, Literarischen. Grammatik, Poesie, Geschichte, Moral - ist das nicht alles typisches Gelehrtenwissen? Wir ziehen heute die Trennlinie eher so, daß auf der praktischen Seite der Ingenieur steht, der Soldat, die Krankenpflegerin etc. Und auf der andern Seite eben die Humanisten. Aber die Humanisten selbst haben das anders gesehen und wohl auch erlebt. So einen Unterschied, so einen Abstand, kann ich nicht erklären; aber ein Grund liegt gewiß darin, daß wir mit unseren Beispielen zeigen, daß wir Praxis mehr und mehr als Pragmatik sehen, in Perspektiven von Funktionalität und Benützung ( der typische Praktiker ist der user); Bruni, Bracciolini, Salutati sehen Praxis als Entwicklung und Bildung.

Na gut, jetzt sollte ich nächsten Punkt kommen, der Sprache; der Einstellung der Humanisten zur Sprache.