Vorlesung 8. Sprache

Unsere Beschäftigung mit dem Humanismus hat uns vorige Woche zu dem Thema der Sprache geführt. Insbesondere haben wir uns dann mit dem Dialog beschäftigt. Der Dialog ist Lebensform, literarische Form, Diskussionsthema zugleich. Wichtig ist natürlich vor allem die Entgegensetzung von öffentlicher Sprache und eventueller privater, spiritueller, intuitiver Einsicht. Der relative Vorzug von Rhetorik und Philosophie. Wir haben uns ein wenig bezogen auf die Kontroverse von Ermolao Barbaro und Pico von Mirandola. Am Ende der Stunde habe ich dann gesagt, daß gerade zu diesen Fragen die Renaissance eine weitere Vertiefung gesucht hat, da finden wir so etwas wie eine regelrechte Philosophie der Sprache. Bevor wir uns dem direkt, und als nächstem Schwerpunkt, zuwenden, lese ich Ihnen zwei Stellen von Montaigne vor. Sie spiegeln aus einem beträchtlichen zeitlichen Abstand, vom Ende der Renaissance-Zeit, zwei Themen wider, die wir jetzt besprochen haben. Die erste Stelle bringt noch einmal, mit etwas anderem Akzent, eine Aussage über Stellung und Nutzen der Philosophie. Wenn Sie achtgeben, hören Sie hier den Erfolg der humanistischen Bewegung heraus: da gibt es wieder ein positives Verständnis der Philosophie, da hat sich die Kritik an der Scholastik so gründlich durchgesetzt, daß eine dem Leben entrückte Philosophie der reinen Kontemplation gar nicht mehr als Denkmöglichkeit auftaucht. Dafür kann schon fast wieder eine neue Front eröffnet werden gegen gewisse Formen und Präferenzen des Humanismus selbst:

Da die Philosophie es ist, die uns lehrt, zu leben, und ihre Lehren für die Jugend hat wie für die anderen Lebensalter, warum macht man sie nicht mit ihr bekannt? Man lehrt uns zu leben, wenn unser Leben dahin ist. Hundert Scholaren haben sich den Tripper geholt, bevor sie im Aristoteles bis zum Kapitel von der Mäßigung gekommen waren. Cicero sagte, wenn er auch das Leben zweier Menschen leben könnte, würde er sich nicht die Zeit nehmen, die lyrischen Dichter zu studieren. Und ich finde die dialektischen Haarspalter auf noch viel kläglichere Weise unnütz. Mit unserem Kinde hat es weit größere Eile; es hat nur die ersten fünfzehn oder sechzehn Jahre seines Lebens für die Schule: das übrige gehört dem Handeln. Verwenden wir eine so knapp bemessene Zeit auf die notwendigen Unterrichtungen. All das sind Mißbräuche: fort mit all diesen verworrenen Spitzfindigkeiten der Disputierkunst, von denen unser Leben nicht besser wird; nehmet die einfachen Sätze der Philosophie und wißt sie zu wählen und richtig vorzutragen; sie sind leichter zu fassen als eine Erzählung des Boccaccio. Ein Kind ist ihrer fähig, kaum daß es der Amme entwöhnt ist...

Das ist also schon wieder modern in einem über den Humanismus hinausgehenden Sinn. An der zweiten Stelle geht es um das Verhältnis Denken und Sprache, und da merkt man deutlich eine gewisse Entkrampfung, da ist sprachlose Einsicht, nicht mehr der mögliche Maßstab für sprachlichen Ausdruck, sondern eher etwas worüber man sich lustig macht:

Ist unser Zögling nur mit Sachkenntnissen recht versehen, so werden die Wort nur zu sehr folgen; er wird sie herbeischleppen, wenn sie nicht von selbst kommen wollen. Ich höre manche sich damit entschuldigen, sie vermöchten sich nicht auszudrücken, und sich dabei ein Ansehen geben, als hätten sie den Kopf voll mancherlei schöner Sachen, die sie aber aus Mangel an Beredsamkeit nicht ans Licht bringen könnten. Das sind Flausen. Wißt ihr, was ich davon halte? Es sind Nebelschwaden, die ihnen aus unförmigen Begriffen aufsteigen und die sie in sich selbst nicht entwirren und klären, noch folglich aus sich herausbringen können: sie verstehen sich selber noch nicht. Seht sie nur ein wenig stottern, wenn sie im Begriff sind, damit niederzukommen, so werdet ihr finden, daß sie mit ihren Wehen nicht bei der Geburt, sondern bei der Empfängnis sind und daß sie einen ungestalten Kloß belecken. Ich meinerseits halte dafür, und Sokrates behauptet, daß, wer in seinem Geiste eine lebhafte und deutliche Vorstellung hat, sie auch herausbringen wird, sei es auf bergamaskisch, sei es durch Grimassen, wenn er stumm ist.

Wer seine Sache nicht in Worte bringt, der hat sie wohl auch in Gedanken nicht wirklich.

Eine neue Auffassung von Sprache

Prinzipiell steht also die Möglichkeit offen, Grundbegriffe des philosophischen Denkens direkt von ihrer sprachlichen Verfassung her zu kritisieren; auf der anderen Seite aber auch die Möglichkeit einer neuen Konzeption der Sprache als spezifisch philosophischer. Egal, welcher Seite man die Priorität geben will (oder ob man gar keine Priorität sieht), die Auffassung der Sprache als Medium ist dann tendenziell überstiegen. Sie vermittelt jedenfalls nicht mehr einfach zwischen Denken und Sein, in einer mehr oder weniger präzis erfüllten dienenden Funktion. Sie trägt bzw übermittelt nicht die Bedeutung, sie ist Bedeutung. Die Bedeutung existiert in dem eigenen Binnenraum der Sprache. Das sind, sehr allgemein ausgedrückt, Tendenzen in der humanistischen Philosophie der Renaissance. Bevor ich dazu als Beispiele zwei Autoren, bespreche, erwähne ich kurz einen Bereich, wo man diese Tendenzen auch deutlich sieht, obwohl er noch eine Stufe unterhalb ausdrücklich philosophischer Reflexion liegt. Das ist der Bereich der Übersetzung.

Übersetzung

Am besten können Sie sich die Sache vergegenwärtigen, wenn Sie die relative Einstellung der Übersetzung zum Wort bzw zur Sprache bedenken. Kann Übersetzung so funktionieren, daß man annimmt, da gibt es eine wohlbestimmte Sache, und dann hat die eine Sprache dafür ein Wort, und die andere hat ein anderes, und weil sie aber wirklich Wörter für ein und dieselbe Sache sind, kann man sagen, daß sie dieselbe Bedeutung haben? Kann das als Grundlage betrachtet werden? Bereits die Übersetzungspraxis von Bruni ist ganz anders. Da sind in die Übersetzung bereits richtiggehend erläuternde Passagen eingeschmuggelt, und das heißt, daß die Bedeutung nicht dadurch sichergestellt wird, daß man in der anderen Sprache ein Wort findet, das zu dem Referenten in derselben Beziehung steht wie das originalsprachliche - sondern die Bedeutung wird durch eine gewisse Bewegung in der Sprache als solcher hervorgebracht. Die Bedeutung wird von der Aktivität der Interpretation konstituiert. Das kann auch gestützt werden durch Beobachtungen, die die Historizität der Sprache betreffen. Daß man immer deutlicher sieht, daß auch das Latein historisch gewachsen ist und sich verändert hat, wertet die Muttersprachen auf; und in letzter Hinsicht läuft auch diese Beobachtung darauf hinaus, daß die Menschen im Gebrauch der Sprache die Bedeutungen konstituieren. Allerdings muß man sagen, daß in diesen Dingen bedeutende Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis des Sprachverständnisses bestehen. Explizit wird eine richtige Philosophie der Sprache nur manchmal.

Lorenzo Valla

Die Dialecticae Disputationes von Valla sind ein Beispiel. Da geht es darum, daß die Sprache den Zugang zur Wahrheit, zur Sache, und zum Begriff überhaupt erst eröffnet. Das bedeutet Opposition in mindestens zwei Richtungen.

Eine ist die Suppositionslehre der mittelalterlichen logischen Semantik. Das sind sehr komplizierte, anspruchsvolle und vor allem auch interessante Theorien, auf die wir hier nicht eingehen können. Ganz grob könnte man sagen, daß sie versuchen, die verschiedenen Referenzen oder Referenz-Dimensionen zu ordnen, die in Bezug auf ein gegebenes Wort bestehen. Also wenn ein Wort wie “Apfel” gegeben ist, und ich frage: Worauf bezieht sich das? Dann kann man da nicht einfach eine Antwort geben, sondern dann gibt es ganz verschiedene Richtungen, in denen die Antwort erfolgen kann, und die darf man nicht durcheinanderbringen, wenn man in seiner Rede konsistent bleiben möchte. Ein sehr vereinfachtes Modell wäre, daß man sagt: Es gibt da erstens die Referenz auf die sog “erste Substanz”, also den einzelnen Apfel; zweitens auf die sog “zweite Substanz”, die Art; drittens die sog “suppositio materialis”, das ist das Wort selbst (Beispiel: ““Apfel” hat fünf Buchstaben”; hier wird das Wort Apfel so genommen, daß es auf sich selbst referiert); und viertens könnte man noch Referenz auf eine mentale Vorstellung anführen. Wenn man die Universalien wie Arten, Gattungen etc wegläßt, also im Nominalismus, wird die Vielfalt eingeschränkt - aber das Bild nicht grundsätzlich geändert. Es gibt einen Rahmen von theoretischen Begriffen, der ist vorgegeben, und in den wird das gewissermaßen eingespannt, was die Bedeutung des Wortes ist.

Eine andere Richtung, in der Opposition besteht, ist die traditionell - thomistische Auffassung vom Wort als Abbild des Begriffes. Der Begriff zielt schon von alleine auf die Sache, das Wort ist ein Vehikel. Es leistet sozusagen den sinnlichen Ausdruck des Begriffes, und macht möglich, daß man Begriffe sozusagen auch mit der Post der menschlichen Rede verschicken kann.

Die Auffassung von Valla ist völlig anders. Was eine Sache ist, kann überhaupt nicht unabhängig von dem sprachlichen Bezug, den wir auf sie nehmen oder haben, diskutiert werden. Es kann außerhalb dieses Bezuges nicht einmal fraglich werden. Den schärfsten Ausdruck findet diese Einstellung an einer Stelle im ersten Buch der Disputationes, wo er sagt: Die Frage “Was ist Holz?” und die Frage “Was bedeutet “Holz”” sind ein und dieselbe Frage:

Quapropter nihil interest utrum dicamus, quid est lignum, quid est lapis, quid ferrum, quid homo, an quid significat lignum, lapis, ferrum, homo...[1]

[1] I, xiv

Das Holz ist nicht irgendwie “vorsprachlich” erschlossen und wird dann bezeichnet, sondern allein die Sprache erschließt es.

Nun, wenn man dieser Auffassung Profil geben will, dann muß man natürlich jene ganze Begrifflichkeit kritisieren, in der die traditionelle Philosophie den Bezug auf das Ding faktisch gehandhabt hat. Das sind insbesondere die Kategorien und die sog Transzendentalien. Das ens, unum, res, aliquid, verum, bonum. Das sind die Transzendentalien, Bestimmungen, die jedes Ding als solches und zugleich betreffen, und die außerhalb der Ordnung der Prädikate stehen, soweit sie eine Ordnung nach Allgemeinheit ist. Streng genommen kann man aber nicht sagen, was diese Bestimmungen bedeuten. Man kann nicht sagen, was an einem Ding es ist, daß es eines ist. Weil es einfach kein Gegenbeispiel gibt. Einheit ist etwas, was jedem Ding zukommt, aber sie ist kein sinnvolles Prädikat des Dinges, weil nicht vorstellbar ist, daß es dem Dinge nicht zukommt. Man kann auch an einem Ding nicht seine Einheit aufzeigen. Daraus ergibt sich zunächst einmal, daß die Bedeutung von “Einheit” höchstens in anderen Wörtern existiert.

Das ist etwas, was wir bei Valla schon feststellen konnten: Die Frage, was Holz ist, hat keine andere Antwort als das, was jemand auf die Frage nach der Bedeutung des Wortes “Holz” sagt. Ens et dictum convertuntur. Aber bei “Einheit” ist die Situation noch ein bißchen verschärft. Bei “Holz” und in vergleichbaren Fällen gibt es ja immer die Hoffnung, daß unter jenen anderen Wörtern welche sind, die irgendwie eine ausgezeichnete Beziehung zur Sache haben, näher an der Sache stehen. Also ich kriege zwar nur Wörter für Wörter, aber doch immerhin andere Wörter.

Bei der Einheit und den anderen Transzendentalien gibt es nicht nur nichts, worauf sie hinweisen, sondern es gibt auch keine anderen Wörter dafür. Dh wenn man die Sache genau genug durchdenkt, dann muß man sagen: Die Frage nach der Bedeutung von “Einheit” oder anderen Transzendentalien kann 1. nicht die Frage nach einem aufweisbaren Gegenstand sein, und 2. kann es nicht die Frage nach anderen austauschbaren Wörtern sein. Also gibt es eigentlich nur eine einzige Möglichkeit, nämlich die Frage nach der Bedeutung so eines Wortes reduziert sich auf die Frage: Was für eine Art von Wort ist es? Das Wort selbst gibt die Bedeutung.

Nun, wenn das nicht Mystizismus ist, dann dann müssen wir es so verstehen: Die Art Wort die es ist, das ist die Art, wie es in der Sprache verwendet wird. Valla ist , wenn ich das so sagen darf, ein Wittgensteinianer gewesen. Und besonders charakteristisch ist das Ausspielen der gewöhnlichen Sprache gegen die leere Kunstsprache der Philosophen. Ich möchte Ihnen da eine längere Stelle teilweise vorlesen, teilweise paraphrasieren, die auch in dem Buch von Otto in Übersetzung zu finden ist, und wo es Valla darum geht, die übrigen Transzendentalien zu reduzieren auf die res. Der Gedanke ist einfach, daß die anderen Transzendentalien nur in Bezug auf eine Sache ausgesagt werden, und daß daher, was immer das ist, woraufhin wir etwas sagen, eine Sache ist. Wenn es hingegen in der traditionellen Auffassung schon so etwas wie eine Hierarchie in diesen Bestimmungen gegeben haben sollte, dann war da gewiß noch am ehesten das Sein favorisiert - dagegen gilt es also vorzugehen:

Wie Sein (ens) unter den übrigen fünf nämlich den Anschein, herrschen zu können, für sich hat, so leidet es im Geheimen an einem sehr großen Mangel. ... Bezeichnet das Wort “etwas ” (aliquid) denn nicht eine gewisse Sache (alia res), das Wort “eines” (unum) die eine Sache (una res), das Wort “wahr” (verum) die wahre Sache (vera res) oder die Wahrheit, die doch auch eine Sache (res) ist? Und bezeichnet das Wort “gut” (bonum) nicht eine gute Sache (bona res) oder Gutes bzw Rechtschaffenes, was wiederum eine Sache (res) ist? So bezeichnet denn auch “seiend” (ens) jene Sache, die ist (res quae est).

... wird folglich “seiend” aufgelöst in “diese Sache, welche ist”. Damit ist offenkundig, daß “seiend” seine ganze Aussagekraft nicht etwa von Natur besitzt, sondern gleichsam nur erbettelte und tauschweise errungene Bedeutung hat.

Worauf läuft das hinaus? Ich glaube, man kann es relativ leicht sehen. Bevor wir irgendeinem Wort eine Bedeutung geben können, und bevor wir uns kraft dieser Bedeutung mit dem Wort auf irgendwas beziehen können, muß die Sachhaltigkeit des Wortes gesichert sein. Da ist jetzt nicht ein bestimmter Inhalt gemeint sondern die Öffnung einer Dimension, in die dann jede weitere Bestimmung oder Bedeutung plaziert wird. Weil er aber ausdrücklich sagt, daß das nicht das Sein ist, so muß man annehmen, daß er eine Sachhaltigkeit im Sinne hat, die an dem Wort selbst schon hängt. Und das kann man an der Argumentation ja auch sehr genau sehen. Die Reduktion des Seins auf die Sache gelingt nur insofern, als Sachlichkeit eine Dimension der Sprache als solcher ist. Daß es zB dieselbe Sache ist, die ist oder nicht ist - das kann man allein insofern überhaupt aussprechen, als es um eine Identität rein in der Sprache als solcher geht. In der Sprache, insofern wir von ihr reden, ist es dieselbe Sache; in der Wirklichkeit (oder wie immer Sie da jetzt sagen wollen, Sie können zB auch sagen: in der Logik) kann Sein und Nicht-Sein in keiner Hinsicht dasselbe sein.

Es ist also völlig klar, daß diese “res”, diese Sachhaltigkeit nichts anderes ist als der rhetorische Gegenstand, die Gegenständlichkeit und Identität dessen, worüber ich rede. Und die Botschaft des Reduktionsversuches lautet: Der primäre und fundamentale Sinn von Gegenständlichkeit ist sprachlich - rhetorisch.

Ein entscheidender Punkt in dieser Überlegung ist natürlich, daß sie an dem Wort “res” selbst durchgeführt wird. Daß es eben ein Fehler ist, wenn wir die Bedeutung dieses Wortes klären wollen, daß wir dann gleichsam von dem Wort wegschauen wollen auf irgendeine Sache hin (da haben Sie das “aliquid”) oder in eine Wirklichkeit der seienden Dinge hinein (da haben Sie das “ens”) oder dgl. Sondern wir müssen mit dieser Sache auf etwas uns konzentrieren, das wir in der Sprache selbst festhalten können.

Also ich kann darauf jetzt nicht weiter eingehen, aber hier sehen Sie schon eine sehr direkte theoretische Auseinandersetzung mit Positionen der traditionellen Philosophie, und was er seinerseits vertritt ist klar in die wichtigsten Tendenzen des Humanismus einzuordnen, aber es geht über die Entwicklung einer neuen Haltung hinaus, es ist sehr explizit. Also man könnte, ein wenig verstärkend oder übertreibend, sagen: Wenn da irgendwo etwas auftaucht, was sowohl innovativ wie auch philosophische Theorie nach den üblichen Maßstäben ist, dann ist es eine Sprachphilosophie.