Ein Maler

Unter dem Titel Maler will ich jetzt noch speziell sein sozusagen professionelles Selbverständnis ansprechen. Das ist ein außerordentlich wichtiger Punkt. Bacon hat sich als Maler in einem präzisen und zugleich emphatischen Sinn gesehen, als Maler von Ölbildern in einer Tradition, die Leute wie Velazquez und Cezanne einschließt. In dieser Liga ist er angetreten.

John Russell:

Even at that early date (ca 1946) it got through to many people that Bacon was trying not merely to record some startling facts but to put them down with a sumptuosity of statement that was quite foreign to modern English painting at that time. ... At the same time he was going all out for monumentality. The gamble was for high stakes in the old European tradition, and the pictures were to deserve either the National Gallery or the dustbin, with nothing in between.

Ein derartiges Selbverständnis ist natürlich nicht spannungsfrei möglich, und zwar schließt es Spannungen nach verschiedenen Seiten ein. Eine ist die der persönlichen Kompetenzen, ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß er eben keine Kunstschule besucht hat, und was er bei Kollegen gelernt hat, war zwar gewiß Technik, aber er hat nie alte Meister kopiert - so wie zB Velazquez selbst das gemacht hat in Rom. Bacon war klar, daß er diese Tradition nur dort fortsetzen kann, wo sie aktuell steht, dort wo er steht, und er hat daher den konkreten Bezug auf die Vorbilder immer von seinen eigenen Problemen her genommen. Ich glaube nicht, daß er eine globale Vorstellung gehabt oder angestrebt hat, was die Malerei von Velazquez nun im Wesentlichen war, und das hätte er dann entweder nachgemacht oder irgendwie auf eine zeitgemäße Weise adaptiert. Sondern er hat, ausgehend von eigenen Fragestellungen, spezifische Problemlösungsansätze studiert. Das konnten durchaus auch Dinge sein, die in den entsprechenden Bildern gar keine so große Rolle spielen. So schreibt glaube ich John Russell irgendwo, daß er einmal besonders fasziniert war von einem Degas, wo der Nacken einer Frau so dargestellt ist, daß man glaubt, die Wirbelsäule steht aus dem Fleisch, der Haut heraus. Also in der Weise einer insistenten Auseinandersetzung mit Details hat er studiert. ZB der Innozenz X von Velazquez hat ihn natürlich unheimlich fasziniert, aber da ist es um eine Dimension gegangen, die mit malerischer Technik wenig zu tun hat, und konsequenterweise hat Bacon, als er einmal in Rom war, sich das Bild auch gar nicht angesehen. Also es wäre völlig verfehlt zu glauben, daß Bacon, weil er keine reguläre Ausbildung hatte, ein Maler gleichsam aus dem Bauch, ein Wilder oder so etwas war. Er hat ununterbrochen intellektuell an der Lösung von technischen und künstlerischen Problemen gearbeitet, wobei freilich die zentralen dieser Probleme sehr eigenständig gewesen sind, zB die Auseinandersetzung mit dem Zufall als technisches Problem. Dazu werden wir später noch ausführlich sprechen.

Die interessantere Spannungsdimension ist aber sicher die historische: Ist es denn überhaupt möglich, sich so zu verstehen, in dieser Nachfolge oder Konkurrenz? John Russell sagt in seinem Buch: Bacon hat der Gedanke ganz gut gefallen, daß er selbst vielleicht der letzte sein könnte, der noch an die Malerei in diesem Sinne - mit Leinwand, Staffelei, Farbe und Pinsel - glaubt. Da könnte auch etwas drinnen stecken von der Faszination des gamblers mit einer letzten und entscheidenden Austeilung der Karten, nach der einer der Spieler das Spiel so endgültig beendet, daß es überhaupt nicht mehr gespielt werden kann. In diesem Zusammenhang hat Bacon sich mit allerhöchster Bewunderung auf Marcel Duchamp bezogen, der nach seiner Ansicht die Situation der Malerei in unserem Jahrhundert so zugespitzt hat, daß Spieler die nicht zugleich über die allerhöchsten skills und die allerhöchste Risikobereitschaft verfügen, einfach nicht mehr mitmachen können in diesem Spiel, das Malerei heißt. Aber Bacon selbst wollte drin sein. Also das ist der eine Punkt, der Konservativismus. Aber zugleich Extremismus: äußerste Risikobereitschaft, ein Wille zum Neuen, Unerhörten, noch nie Dagewesenen. Aus dem Traditionellen noch einmal etwas unerhört Neues zum Vorschein bringen. Es ist nicht schwer, etwas Neues zu machen, wenn man einfach etwas anderes macht.

Aber selbst wenn wir die Sache so formulieren, ist das noch immer nicht so präzise, wie Bacon sie gesehen hat. Es ging ja nicht einfach um die Tatsache als solche, daß die Zeit der repräsentativen, ev auch noch illusionistischen Ölmalerei vorbei war und daß man sagt: Das zieht heute nicht mehr. Das wäre nicht anders, als wenn man von irgendeiner Mode sagt, sie ist passée, das trägt man nicht mehr, damit schaut man unmöglich aus. So kann man das ja nicht hinnehmen. Sondern da geht es darum, die Verschiebungen inhaltlich zu verstehen. Und hier ist ein wichtiger Punkt, daß Bacon die Sache für sich so artikuliert hat, daß im 20. Jahrhundert die Malerei sozusagen die Herrschaft, die Dominanz über das Bild als solches, imago, verloren hat. Abgetreten an die Photographie und den Film. Das, was das Bildliche im Leben der Menschen bedeutet, wird jetzt nicht mehr vom Fresko wahrgenommen oder bemalten Glasfenstern oder von den repräsentativen Tafelbildern, sondern von Film und Photographie. Und diesen Prozeß, hat er gemeint, muß man nicht nur akzeptieren, sondern den muß man in seiner Komplexität verstehen und dann muß man dazu eine Einstellung entwickeln und erst dann kann man zu beurteilen versuchen, ob sich sozusagen jene letzte Austeilung der Karten noch lohnt.

Also zB muß man genau unterscheiden zwischen den Mitteln, mit denen diese sogenannten neuen Bildmedien die alten Aufgaben erfüllen, und auf der anderen Seite gewissen Möglichkeiten, die sie überhaupt erst in die Welt bringen. In der ersten Richtung liegt etwa die Frage, wie die Photographie die Darstellung des menschlichen Gesichts und seiner Ausdrucksmöglichkeiten wahrnimmt. Bacon hat viel herumgetan mit Automatenfotos, aber er hat sich auch besonders interessiert für die historische Entwicklung des sogenannten sensationellen Schnappschusses. In den 20er Jahren gab es da in Deutschland den Herrn Dr.Erich Salomon, dessen Photographien sind herausgekommen in einem Buch mit dem vielsagenden Titel: Berühmte Zeitgenossen in unbewachten Augenblicken. Dieses plötzliche, unvermutete Eindringen des bildgebenden Prozesses in die Lebenssituation, das hat Bacon als etwas Wichtiges, Entscheidendes erkannt, und damit mußte sich zB jeder Versuch auseinandersetzen, Portäts zu malen.

Auf der anderen Seite stehen natürlich Innovationen in der Bewegungsdarstellung - sowohl in der Photographie wie im Film. Er hat sich für die Arbeit von Muybridge interessiert, aber auch für formale Errungenschaften des sowjetischen Avantgardefilms in den 30er Jahren. Es ist wichtig, die Bedeutung dieser Interessen bei Bacon genau einzuschätzen, vor allem was die Photographie angeht. Ich bringe da mal ein Zitat von ihm selbst:

I think of myself as a kind of pulverizing machine into which everything I look at and feel is fed. I believe that I am different from the mixed-media jackdaws who use photographs etc more or less literally or cut them up and rearrange them. The literalness of photographs so used - even if they are only fragments - will prevent the emergence of real images, because the literalness of the appearance has not been sufficiently digested and transformed. In my case the photographs become a sort of compost out of which images emerge from time to time. Those images may be partly conditioned by the mood of the material which has gone into the pulverizer.

Also wichtig ist, daß Bacon Malerei als Malerei wollte, und nicht Malerei als Photographie oder in Anlehnung an die Photographie etc; daß er aber die Malerei in einer von der Entwicklung der Photographie geprägten Situation gesehen hat. Ich hab da noch ein Zitat von Russell, das glaub ich den Punkt ganz gut erwischt:

In this sense, D.W.Griffith and Abel Gance and Fritz Lang did for their generation what Rubens and van Dyck did for their contemporaries ... and something in painting withered, as a result. Bacon's purpose has been to bring that something back to life.

In der Bibliographie habe ich diesmal Sachen zusammengestellt, die sich auf Bacon direkt beziehen.