Vorlesung 2. Bacon: Leben

Inhalt
Allgemeine Charakteristika
Lebensgeschichte: Einige Daten
Ein Maler
Literatur zu Bacon

Ich habe letzte Woche versucht, Ihnen einen ungefähren Überblick zu geben über diverse Möglichkeiten, die uns das Thema - Ausdruck und Abbild - bietet. Wir haben vor allem verschiedene Strategien unterschieden nach der Art und Weise, wie sie die philosophischen und die kunsttheoretischen Interessen gegeneinander abstimmen. Ich habe dann aber gesagt, daß ich mich auf keine dieser Strategien ausschließlich stützen möchte, sondern die Schwerpunkte, die ich erkenne, auf jeweils eigene Art gestalten will. Wir werden also gelegentlich philosophische, zB metaphysische, Überlegungen für die Interpretation der Werke Francis Bacon's fruchtbar machen, ein anderes Mal aber ähnliche Überlegungen gleichsam um ihrer selbst willen anstellen. Es ist nicht meine primäre Absicht, die Bilder zu interpretieren, also zu einem möglichst konsistenten Verständnis einzelner Werke zu gelangen; ich will an charakteristische Züge der Werke philosophische, ästhetische Reflexionen binden.

Ich habe Ihnen angekündigt, mit einer Übersicht über die wichtigsten Thesen zu beginnen, die Gilles Deleuze in seinem Buch über Bacon aufgestellt hat. Das ist auch insofern praktisch, als in dem kunsthistorischen Proseminar von Wolfram Pichler dieses Buch in den ersten Stunden besprochen wird. Zuvor aber, so habe ich gesagt, werde ich in der heutigen Vorlesung etwas zu Bacon selbst sagen.

Ein paar Worte darüber, warum ich überhaupt über das Leben des Mannes in einem eigenen kleinen Abschnitt spreche. Nicht daß ich glaube, daß das wirklich einer Rechtfertigung bedarf, nur um gröbste Mißverständnisse hintanzuhalten.

Es mag Leute geben, die es seltsam finden, daß im Titel einer philosophischen Vorlesung der Name eines Malers steht, und noch seltsamer, daß dann auch noch ausgerechnet über das Leben dieses Malers eigens geredet wird. Ist doch schon bei den Philosophen, sagt man, das Leben etwas Unwichtiges, des eigentlich philosophischen Interesses Unwürdiges. Also diesen Standpunkt halte ich für zu dünkelhaft, als daß ich extra etwas dagegen unternehmen müßte. Das ist nicht mein Motiv. Ich mache diese Vorbemerkung, weil ich Ihre Aufmerksamkeit von vornherein auf drei Dimensionen lenken will, die im Fall Bacon's besondere Bedeutung haben und früher oder später sowieso thematisiert werden müßten. Der erste Punkt hat mit seinem Engagement für das Porträt zu tun und damit, daß er so gut wie ausschließlich Bekannte, und da vor allem gute Freunde porträtiert hat. Seine Porträts sind künstlerische Leistungen, aber sie sind auch Leistungen und Interventionen in der Gestaltung von persönlichen, oft jahrzehntelangen Beziehungen. Der zweite Punkt ist seine Homosexualität. Bacon war nicht so ein Mensch, der seine hobbies hat und irgendeinen Beruf, und dann ist er halt schwul statt hetero, wo wie man nebenbei vielleicht Briefmarken sammelt statt französischen Wein. Das war übrigens zu den entscheidenden Zeiten seines Lebens nicht einmal eine Option für ihn, in diesem Punkt leben wir heute in einer anderen Welt als jemand im England der 50er Jahre, wo Homosexualität strafrechtlich verfolgt worden ist. Sondern Bacon's Leben war von seiner Homosexualität bestimmt. Insbesondere auch seine Kunst. Es ist zB sinnlos, über die Gewalttätigkeit in seinen Bildern zu reden, ohne diesen Hintergrund. Man kann ohne diesen Hintergrund auch nicht verstehen, was als Schönheit intendiert ist in diesen Bildern. Und ein dritter Punkt ist die Intelligenz, also die Einschätzung von Reflexion, geistiger Souveränität, Urteilskraft und Expertise, die in seinen Bildern stecken. Daß diese Investitionen sehr hoch sind ist evident, aber sie speisen sich nicht aus den üblichen Quellen, nicht aus einer normalen Bildung, wie man so sagen könnte. Sie werden aber vielleicht verständlicher in Hinblick auf relativ kontingente Fakten seiner Lebensgeschichte.

Allgemeine Charakteristika

Unter diesem Titel mache ich Kurzbemerkungen zu ein paar speziellen Stichworten.

Alter

Wir haben mit einem Menschen zu tun, der durch das 20. Jahrhundert hindurch gelebt hat, er ist 1909 geboren, 1992 gestorben. Er ist sehr alt geworden. Vielleicht erscheint 82 heute gar nicht als ein so wahnsinnig hohes Alter, aber ich möchte sagen, daß er ein besonders alter 82-jähriger geworden ist, daß seine Lebensspanne besonders weit war auch für die 82. Er ist schon sehr jung, mit knappen zwanzig, er selbst gewesen und jener Welt präsent gewesen, die dann die seine bleiben sollte, und er hat sich bis unmittelbar vor seinem Tod immer noch als Maler weiter entwickelt. Er ist nicht mit sechzig oder siebzig in ein anderes Leben, ein anderes Fach, einen Altersstil gewechselt. Und das alles ist aber nicht so zu verstehen, daß er ewig jung geblieben wäre. Es stimmt zwar wohl, daß er mit Vierzig oder Fünfzig um jeweils zehn Jahre jünger ausgesehen hat, als er war; aber er ist auch sehr lang alt gewesen, ein alter Mann, und er hat das auch anerkennt und sich mit der Tatsache auseinandergesetzt; er hat das Altern als etwas Schreckliches angesehen und empfunden. Ich zeigen Ihnen zwei Fotos, in denen Sie das junge Gesicht und das alte Gesicht sehen können, und Sie müssen sich dazu denken, daß er beide Gesichter, auch das alte Gesicht, sehr bewußt getragen hat. Das junge Gesicht:

Abbildung 2-1. Der junge Bacon

Und das alte:

Abbildung 2-2. Der alte Bacon

Orte

Bacon war in London daheim: Sein Leben ist von dieser Stadt geprägt gewesen, und er hat ihre Möglichkeiten so weit wie möglich ausgelebt. In allen gesellschaftlichen Schichten und Winkeln, vom alleruntersten Sandlermilieu über das Ritz bis in die Hocharistokratie. Das bedeutet aber nicht, daß er nicht auch anderswo sich aufgehalten hätte, also sein Verhältnis zu London ist nicht das von Kant zu Königsberg. Er ist zB schon nicht in London geboren, sondern in Dublin (seine Eltern waren freilich Engländer). Die Mutter hat im Alter in Südafrika gelebt, und da hat er sie mehrmals besucht. Er ist auch sonst unterwegs gewesen, vor allem in Monte Carlo, in Paris, in Tanger hat er sich gern aufgehalten. Aber wenn man da ein bißchen näher hinschaut, sieht man, daß er alle diese Orte eigentlich als Erweiterungen von London betrachtet hat. Es ist so, daß er auch in London selbst die längste Zeit eigentlich keine richtige Wohnung hatte, abgesehen von seinem Atelier. Einmal hat er sich eine große Wohnung gekauft, war aber kein Erfolg. Er hat auch einmal ein Appartement in Paris erworben und tatsächlich den Versuch gemacht, sich dort niederzulassen. Hat auch nicht funktioniert. Er hat diese Wohnung einem Freund gegeben, und sehr typisch ist, daß er die dann so weiterbenutzt hat, wie die Wohnungen anderer Freunde in London. Er ist immer wieder mal in die Piccadilly-Line eingestiegen, nach Heathrow gefahren und für ein paar Tage nach Paris geflogen. Irgendwer hat über ihn geschrieben, daß er sich nur in geschlossenen Räumen gerne aufgehalten hat. Den Aufenthalt im Freien, der mit einem Ortswechsel verbunden ist, hat er immer so kurz und knapp wie möglich gehalten. Raus aus dem Haus, rein ins Taxi, und dann schnell aussteigen und rein ins Beisel. In Monte Carlo hat er sich, wenn er gewonnen hat, Häuser gemietet. Und dann hat er dort auch gemalt, er hat nicht nur in seinem Atelier gemalt. Aber vor allem. Also ich habe ja jetzt schon angedeutet, daß unter dem Titel Ort seines Lebens vor allem Kneipen, Bars und Restaurants zu verstehen sind. Die näheren Angaben dazu lasse ich unter das nächste Stichwort fallen: Homosexualität.

Homosexualität

Bacon war ein Homosexueller von der eher herberen Sorte, mit Neigungen in die masochistische Richtung (obwohl er auf der Psycho-Ebene eine entwickelte sadistische Ader gehabt haben dürfte). Er hat sich als Freunde große starke Männer in Anzug und Krawatte gewünscht. Der Man in Blue IV, der im kunsthistorischen Proseminar behandelt wird, gibt ein bißchen einen Eindruck. Er hat feste Beziehungen gehabt, richtiggehende Lebensgefährten, ist aber zugleich auch verwickelt gewesen in das Milieu der Prostitution, und das heißt, in ein Milieu latenter Gewaltsamkeit und Kriminalität. Ich lese eine Charakteristik aus der Biografie von Daniel Farson:

The point is that Francis had no nerves. He felt no reservations whatsoever. He was the embodiment of all that was advantageous in being homosexual, and it has to be admitted that it frequently enhanced as well as shadowed our lives. Though he might have appeared effeminate as a youth, this was the effeminacy of leather. In spite of his exaggerated mannernisms, no one ever called him a queeen. He moved alone, cutting his particular swath of calculated chaos, and his homosexuality was an irreversible part of both his life and his art.

Im Alter von fünfzehn ist er von seinem Vater rausgeschmissen worden, weil ihn der erwischt hat, wie er in der Unterwäsche der Mutter vor einem Spiegel getanzt hat. Er hat dann als Teenager allein in London gelebt, und hat sich zu dem, was ihm die Familie gegeben hat, auf kreative Art was dazuverdient. Also zB hat er ziemlich bald begonnen Zeitungsinserate aufzugeben, wo er sich als gentleman's gentleman angeboten hat, interessierten Herren den Haushalt zu führen. Das scheint mehrfach ganz passabel und vor allem zu seinem Vorteil geklappt zu haben. So erzählt zumindest Daniel Farson. Das hat sich natürlich geändert, als er begann im eigentlich künstlerischen Milieu Fuß zu fassen und einen konstanten Bekanntenkreis aufzubauen und Mäzene für seine Kunst fand. Das ist schon so im Alter von etwa zwanzig. Ausschlaggebend für sein Engagement in der Kunst war der Besuch einer Picasso-Ausstellung in Paris, und da ist er auf folgende Weise hingekommen:

Sein Vater hat da noch einen letzten Versuch machen wollen, den Sprößling irgendwie in das zu lenken, was ihm die rechte Bahn zu sein schien. Der Vater war ein Pferdetrainer in Irland, und er hat den verlorenen Sohn also noch einmal zurückbeordert und in die Lehre geschickt zu einem Kollegen, einem Trainerkollegen, der ein besonders geradliniger und kompromißloser Typ war, und von dem hat er eben gehofft, daß dem Jungen die Flausen austreiben wird. Also der hat dort zu arbeiten angefangen, aber nach einiger Zeit ist er mit dem strengen chef schon in Berlin gewesen. Bacon selbst:

We settled in Berlin for a time. It must have been in 1928. And by way of education I found myself in the atmosphere of the Blue Angel. ... Every night we went round the bars and cabarets. I didn't question what we were doing - it was wonderful and I was enjoying myself.

Das habe ich auch nach Farson zitiert. Irgendwann sind die beiden Ausreißer nach Paris weiter, und so hat Bacon jene Picasso-Ausstellung gesehen, die ihn sehr beeindruckt hat. Der Pferdetrainer ist dann nach Dublin zurückgekehrt, und Bacon etwas später nach London.

Zu den Kneipen, in denen er verkehrt hat, muß man sagen, daß da zwei Faktoren eine wesentliche Rolle gespielt haben. Die Künstlerfreunde und der Alkohol. Der Colony Room zB, das berühmteste dieser Lokale, war ein drinking club, also ein Etablissement, das nur für eingetragene Mitglieder zugänglich war und deren Gäste, und wo man auch außerhalb der gesetzlichen Zeiten Alkohol gekriegt hat. Und dort waren seine Freunde, Malerkollegen zB wie Freud und Frank Auerbach. Außerdem hat er Spielclubs frequentiert, er war ein Spieler. Als er ganz jung war, hat er auch Geld damit verdient, gambling sessions selber zu veranstalten, also sein Atelier zur Verfügung zu stellen gegen Entgelt. Wenn er in den frühen Stadien seiner Karriere einmal etwas mehr Geld für ein Bild bekommen hat, ist er nach Monte Carlo damit.

Er hat im Grund nur Freunde und Freundinnen porträtiert, in verschiedenen Bedeutungen des Wortes Freund. Also eben immer wieder Lukian Freud, aber enorm viele Bilder gibt es von seinem zeitweiligen Lebensgefährten George Dyer, auch noch nach dessen Tod; dann einige wichtige Bilder von Muriel Belcher, der Besitzerin des Colony Room, und von Isabel Rawsthorne.

Er hat in jeder Hinsicht ein ausschweifendes Leben geführt, aber er muß viel ausgehalten haben. Er hat jeden Tag um sechs in der Früh zu malen begonnen, auch wenn er erst zwei Stunden vorher heimgekommen war.

Charakter

Noch zwei Zitate von engen Freunden, die ihn als Persönlichkeit zu charakterisieren suchen. Das erste ist von Michel Leiris:

Francis Bacon's clean-shaven face, at once chubby and tormented, and as roseate as that of some eighteenth-century English empirical philosopher discoursing over his brandy or his sherry, seems to reflect wide-eyed astonishment as well as an intelligent stubbornness and - allied to a hidden fury - the sensitive distress of a man who has not forgotten that he was once a child whom almost anything could move to wonder. ... his forlock an emblem that ... inside his head nothing proceeds according to the lazy norms of some already accepted pattern, but that everything is liable to be called into question, cut short or left in suspense. ... Perhaps, this same rejection of ready-made solutions is indicated by his slightly askew - or, at any rate, not at all full-frontal - stance in many of his photographs. Like his walk - always, one might think, on the point of breaking into a dance - it could signify a distaste for the sedate tranquility of those who have never felt the ground crumbling away beneath their feet.

Das andere Zitat ist von David Sylvester:

Since he died, I've not thought about him as a painter. I've only thought about the qualities which have long made me feel he was probably the greatest man I've known, and certainly the grandest. His honesty with himself and about himself; his constant sense of the tragic and the comic; his appetite for pleasure; his fastidiousness; his generosity, not only with money - that was easy - but with his time; above all, I think, his courage. He had faults which could be maddening, such as being waspish and bigoted and fairly disloyal, as well as indiscreet. But he was also kind and forgiving and unspoiled by success and never rude unintentionally.