Francis Bacon

Ich habe jetzt schon zu lange über die anderen Dinge geredet und verschiebe es daher auf die nächste Stunde, über diesen Menschen als solchen zu sprechen. Ich markiere jetzt nur Punkte, die strategisch für uns wichtig sind.

Was ich Ihnen bisher an Fragestellungen, Einfällen und Hypothesen zu dem Begriffspaar von Abbild und Ausdruck vorgetragen habe, ist ja total unsystematisch, und da müßte man nun eine Ordnung hineinbringen und Akzente setzen etc, um daraus ein Konzept und einen Plan für eine Semester-Vorlesung ableiten zu können. Das mache ich aber nicht so. Ich habe mir nicht überlegt, was das Wichtigste ist, und wie deshalb die anderen Themen angeordnet werden müssen etc. Sondern dasjenige, was Struktur in alle diese Fragen bringen soll in der Vorlesung, das ist die Malerei Bacon's. Sie ist sozusagen das Gitter, durch das die einzelnen Themen aufeinander bezogen, aber natürlich auch voneinander abgehoben werden. Also von jenen verschiedenen Möglichkeiten, das philosophische Interesse an unseren Begriffen zu artikulieren, werde ich keine zur ausschließlichen Grundlage machen, sondern wir werden ein bißchen über die Bilder reden oder über eine Aussage, die jemand über so ein Bild gemacht hat, und von da aus werden wir auf verschiedene philosophische oder ästhetische Probleme zugehen, manchmal, indem wir den Kontakt zu jenen Bildern aufrecht erhalten, manchmal um Interpretation bemüht, und manchmal auch nicht.

Nun fragt man sich, was macht denn diese Malerei geeignet, so eine organisierende Funktion für unser Denken zu erfüllen? Und ich denke, sehr viele Leute werden da so überhaupt kein Problem mit der Antwort haben, daß die Frage fast schon wieder unnötig erscheint. Denn erstens handelt es sich in der Tat bei einer großen Zahl der Bilder Bacon's um Porträts, also Abbildungen im offenkundigsten Sinn, und zweitens ist kaum etwas an diesen Bildern evidenter, als ihre geradezu schockierende Ausdruckskraft. So, könnte man meinen, ist es also sogar ziemlich naheliegend, die Kunst Bacon's gleichsam zum Austragungsort grundlegender Reflexionen über Abbild und Ausdruck zu machen. Das aber wäre zu simpel; der Witz liegt woanders. In Wahrheit nämlich könnte man, wenn man von Bacon selbst ausgeht, diese Vorlesung genauso gut nennen: Weder Abbild, noch Audruck. Und damit bin ich bei dem wichtigen Punkt angelangt, daß wir uns nicht nur mit der Malerei, sondern auch mit dem Denken Francis Bacon's beschäftigen werden. Bacon hat über seine Malerei nachgedacht und gesprochen, und das, was er da gesagt hat zeigt, daß er nicht nur über seine Malerei nachgedacht hat, sondern vor allem, inwiefern seine Malerei als solche ein Denken ist. Das kann man in einem für uns bedeutsamen Buch lesen, Interviews with Francis Bacon von David Sylvester. Und das allerwichtigste was Bacon da sagt, was er immer wieder betont, ist, daß seine Bilder nicht darstellen, daß sie nicht abbilden oder repräsentieren, und daß er sich keiner Variante von Expressionismus zugehörig fühlt. Diese Spannung ist der Witz, die Spannung zwischen dem, was man so auf den ersten Blick ganz klar zu verstehen meint, und einem wahren Abgrund an Komplexität und Differenziertheit, der sich sofort auftut, wenn man sein Hirn einschaltet und Bacon zuhört . Diese Bilder sind enorme intellektuelle Leistungen, aber sie haben nichts mit Gelehrsamkeit zu tun, auch die Aussagen Bacon's sind nicht gelehrt oder theoretisch oder so. Also das war der eine Punkt.

Ein anderer ist, daß wir, vor allem von Deleuze angeregt, uns mit einer Art sehr gundlegender Strukturbeschreibung der Bilder Bacon's auseinandersetzen werden. Ein Muster, wie zwar keineswegs alle, aber sehr viele sehr wichtige Bilder aufgebaut sind. Diese Beschreibung arbeitet mit grundlegenden Begriffen wie Raum, Fläche, Ort, Körper, Kraft. Die Diskussion solcher Zusammenhänge öffnet eine Unzahl von zusätzlichen Perspektiven, die nicht notwendigerweise mit unserem Thema zu tun haben oder vielleicht auch noch fundamentalere Probleme betreffen. Einige solcher Anregungen werden wir verfolgen, insbesondere das Verhältnis von Affekt, Körper, Raum und Ort, und da werden wir Bacon dann nicht nur im Kontext der Moderne, sondern möglicherweise auch in Beziehung auf architektonische Problemstellungen in der Gotik und im Barock diskutieren.