Vorlesung 1. Zur Einführung

Inhalt
Die Begriffe Abbild und Ausdruck
Francis Bacon
Zu Plan, Organisation und Hilfsmitteln
Meine Einstellung
Literatur: Das Allgemeinste

Ich werde mich in dieser Vorlesung, in diesem Semester, mit den beiden Begriffen, die ihren Titel bilden - Abbild und Ausdruck - unter vielen verschiedenen Gesichtspunkten beschäftigen. Das wird aber weder eine systematische Behandlung aller Probleme, die man durch diese Begriffe aufwerfen kann, noch ein historischer Überblick. Es wird eine komplexe und von spezifischen Interessen bestimmte Vorlesung, in der philosophische Disziplinen wie Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ästhetik ihren Anteil haben; aber auch im engeren Sinn interdisziplinäre Überlegungen, vor allem natürlich im Zusammenhang mit Kunstgeschichte. Ich will im Rest dieser ersten Stunde versuchen, Ihnen einige Schwerpunkte zu benennen und gewisse Verbindungen, die ich zwischen ihnen sehe; und dann sage ich noch etwas zu ein paar eher technischen Details. Dabei gehe ich so vor, daß ich zuerst etwas über die Begriffe Abbild und Ausdruck selbst sage, und dann werde ich etwas sagen über Francis Bacon.

Die Begriffe Abbild und Ausdruck

Wenn ich sage: Abbild und Ausdruck, dann kann schon einmal das und verschiedene Bedeutungen haben: Es kann neutral aufzählend gemeint sein, es kann einen Gegensatz suggerieren, es kann eine Verwandtschaft oder Ergänzung meinen. Wenn es um Gegensatz geht, ist keineswegs klar, daß es zwischen diesen Begriffen nur einen Gegensatz gibt, und man muß näher erklären, welchen man meint.

Eine - banale - kunstphilosophische Perspektive: Abbild und Originalität, Regel und Genie

Unter kunstphilosophischem Gesichtspunkt kann man Abbild und Ausdruck so in Gegensatz bringen, daß dadurch zwei angeblich prinzipiell divergierende Auffassungen von Kunst überhaupt auseinandertreten: Nach der einen ist Kunst die möglichst vollkommene Verwirklichung (Nach- oder Abbildung) eines Ideals - des jeweiligen Vorbildes eben -, nach der anderen ist wahre Kunst nur der freie Ausdruck einer Intention oder Empfindung oder sonstigen Einstellung der Künstlerin - kreativ und originell statt nachahmend. Leute, die diesen Unterschied für wichtig erachten, geben ihm auch oft noch eine historische Deutung: Die Abbildungs-Auffassung ist alt und klassisch, die Ausdrucks-Auffassung ist modern. Wo die Trennlinie liegt, ist dabei nicht immer klar. So wird man ja wohl sagen müssen, daß wenn man schon so eine Einteilung macht zwischen alt und modern, daß dann die Renaissance, zumindest in der Kunstgeschichte, einen Einschnitt ersten Ranges darstellt. Aber jemand wie Leonardo da Vinci zB profiliert sich nicht mit dem Prinzip Ausdruck gegen das Prinzip Abbildung, sondern eher mit einer neuen Auffassung von Abbildung gegen eine andere; ganz massiv bringt erst die Romantik das Prinzip Ausdruck zur Geltung. Es ist aber immer verdächtig, wenn so riesenhafte dichotome Periodisierungen gemacht werden und die zweite Periode hat gerade erst begonnen. Dreitausend Jahre oder noch mehr ist im Grunde immer nach demselben faden Prinzip vorgegangen worden, und vorgestern hat was total Neues begonnen. Super, daß wir da am Ursprung - oder fast am Ursprung - mit dabei sind. Also ich will da jetzt nicht weiter herumräsonnieren und ich will auch gar nicht behaupten, daß mit dieser Auffassung eines Gegensatzes von Abbildung und Ausdruck nichts anzufangen ist: in gewissen Zusammenhängen mag das seinen Sinn haben. Worauf es mir ankommt ist, daß diese Deutung in gewisser Weise zu blaß ist für meine Zwecke, daß sie der Bestimmtheit der Begriffe, die sie gegenüberstellt, nicht gerecht wird - insbesondere nicht der Bestimmtheit des Begriffes Abbild. Man kann nämlich das, was da gemeint ist, auch formulieren, ohne den Begriff Bild zu verwenden; der Gegensatz heißt dann zB einfach: Regelästhetik gegen Genieästhetik. Kunst ist ein Werk, daß in vollendeter Übereinstimmung mit gewissen Regeln geschaffen wurde; oder im Gegenteil: Kunst ist ein Werk, in dem sich das Genie frei und unbekümmert um alle Regeln ausdrückt (wie zB Adolf Loos sagt: Kunst ist der Eigenwille des Genius.) Die Übereinstimmung mit Regeln muß nichts mit Abbildlichkeit zu tun haben, und wenn, dann ist das gewiß ein spezieller Fall. Man könnte vielleicht sagen, daß das Abbilden eine besondere Art des Erfüllens einer Norm ist, sehr verschieden von der Erfüllung eines Fünfjahresplans in der Sowjetunion der 50er-Jahre zB, aber was mich interessiert, ist eben genau diese Besonderheit - und dann natürlich die Rolle, die sie in der Kunst und in der Malerei spielt.

Wir sollten uns also vielleicht von diesem banalen Gegensatz lösen, von dem wir ausgegangen sind, und direkt fragen, was ist in der Kunst die Abbildung, und steht sie in einem Gegensatz zum Ausdruck oder nicht. Nehmen wir mal an, wir sehen uns in einer Ausstellung oder einem Museum ein paar Landschaften von Caspar David Friedrich an: die Klosterruine Eldena mit dem Riesengebirge, die Elblandschaft bei Dresden, die Kreidefelsen auf Rügen ...

Abbildung 1-1. Kreidefelsen auf Rügen

Das alles sind Bilder, die in einem eminenten Sinn abbilden - die Beziehung zum jeweiligen Vorbild könnte nicht massiver und eindeutiger sein; und doch sind sie zugleich Paradebeispiele für den romantischen Ausdruckswillen. Wer an diesen Bildern nicht vor allem einen spezifischen Ausdruck, den Ausdruck einer Geistigkeit, erkennt, kann sie nicht verstehen. In einer Sprache, die der Generation meiner Großeltern noch völlig selbverständlich und geläufig war, wurde diese Einheit von Abbildung und Ausdruck dann noch ungefähr so weiter beschrieben: Die Geistigkeit, um die es geht, kommt in dem Bild selbst vor allem als Stimmung zum Ausdruck; so als gäbe es da wirklich zwei Faktoren, die Abbildung der Landschaft, die ihre eigenen Regeln der Korrektheit und der Vollendung hat, und dann wird noch etwas dazugetan oder drübergelegt, die Stimmung eben. Die Stimmung wird aber nicht ausgewählt aus einem Katalog von Stimmungen und so über das Ganze gelegt, wie etwa die Farbe ausgewählt und auf eine Fläche aufgetragen wird, sondern die Stimmung kommt direkt und unvermittelt aus der Seele der Künstlerin oder des Künstlers. Und die Betrachterin sieht die Stimmung nicht eigentlich, und kann auch nicht sagen: da ist die Stimmung, sie ist wie ein Firniß etc - sondern die Betrachterin empfindet ihrerseits die Stimmung bzw wird von der Stimmung gerührt. Das Herauskommen aus der Seele der Künstlerin ist eben der Ausdruck, das Hineinkommen ins Gemüt der Betrachterin ist die Empfindung. Es ist ein sehr wichtiger und keineswegs trivialer Punkt, der sich in diesen oder ähnlichen Schwafeleien ausdrückt. Denn in der Tat ist ja nicht gesagt, daß man Stimmungen nicht aus einer Art Katalog auswählen kann; das Malen von Stimmungen läßt sich genau so lernen, wie das Auftragen der Farbe, und in jeder Art von Klassizismus funktioniert das tadellos. Es kommt genau auf diesen einen Punkt an, daß die Stimmung nicht konventionell, durch die Verwendung bestimmter Zeichen, suggeriert wird, sondern authentischer Ausdruck von etwas ist, was in der Künstlerinnenperson vorgeht.

Diese Auffassung des Verhältnisses von Abbildung und Ausdruck, wir könnten sie die Großelternaufassung nennen der Kürze halber, läßt noch verschiedene Akzente zu. Der Akzent kann auf der Doppeltheit liegen, sozusagen der Befriedigung, daß man zwei Fliegen mit einem Schlag erwischt: Das hat er super gemalt, genau so schaut das aus, ich weiß das, ich war ja auch schon einmal dort... Und als Draufgabe ist da noch was ganz und gar Unvergleichliches, ich könnte nicht sagen, wo das herkommt, erschütternd und wohlig zugleich... Das ist es eben, was ich mir unter großer Kunst vorstelle.... Der Akzent kann aber auch stark auf die Seite des Ausdrucks verlagert werden, indem man die Abbildung bzw das Abgebildete als ein bloßes - wenn auch notwendiges - Vehikel für den Ausdruck betrachtet. Es gibt etwas in der Seele oder dem Gemüt der Künstlerinnenperson, das will heraus, das sucht nach Ausdruck; und jetzt ist die Frage, WIE? Was ist der Gegenstand oder das Thema, dessen Abbildung mir mein Gefühl optimal auszudrücken erlaubt? Diese Fragestellung klingt vielleicht für manche von Ihnen hölzern, künstlich oder nur ironisch; aber das ist sie nicht, ganz im Gegenteil. In der Entwicklung der Malerei vom 17. bis zum 19. Jahrhundert spielt die Frage des bevorzugten Gegenstandes eine enorme Rolle: Ist der Darstellung mythologischer Szenen, ist der Historienmalerei, ist der Porträtmalerei der Vorzug zu geben? Und natürlich steht dahinter auch immer das Problem: In welchem Gegenstand kann sich welche individuelle Einstellung oder Idee optimal ausdrücken? Hören wir als einen doch ziemlich unverdächtigen Zeugen Baudelaire: 'On a souvent répété: Le style, c'est l'homme; mais ne pourrait-on dire avec une égale justesse: Le choix des sujets, c'est l'homme?'

Nun, spätestens an diesem Punkt wird man auch prinzipielle Fragen auftauchen sehen, die über das rein Kunsttheoretische bzw die Kunstideologie hinausgehen und philosophischer Natur sind. Brauche ich für den Ausdruck eines Gefühls oder dgl wirklich notwendigerweise das Vehikel der Abbildung? Ist Ausdruck auf Gegenständlichkeit, auf Objektivität angewiesen? Oder kann man sich nicht auch eine direkte Übermittlung von Gefühlen und dgl vorstellen? Sagen wir, man kann sich das vorstellen - zB die direkte Übermittlung von Haß; dann ist eine weitere sehr interessante Frage, ob ein solcher freier, direkter Ausdruck einer Emotion auch in einem Werk terminieren kann. Also wenn ich an einer Bar sitze und mein Nachbar schüttet mir ein Cola auf meinen neuen Zwanzigtausendschilling-Blazer und sofort kommt mein Haß auf und bricht heraus aus mir und bricht herein über den Nachbarn, sodaß dieser vor Schreck von seinem Hocker fällt, einen Purzelbaum rückwärts macht und panisch davonrennt, ohne seine Rechnung bezahlt zu haben, dann ist das vielleicht ein Fall - wenn ich es gut genug beschrieben habe -, wo ein Gefühl, nämlich der Haß, direkt und ohne Vehikel eines abgebildeten Gegenstandes, übermittelt worden ist. Aber das ist kein Kunstwerk, es ist überhaupt kein Werk; es ist ein kommunikativer Vorgang. Es sieht so aus, als bräuchte ein Werk eine gewisse Dauerhaftigkeit oder Haltbarkeit oder Selbständigkeit; und kann diese Haltbarkeit erreicht werden, ohne die Unterstützung eines unabhängigen Objektes? Und dieses Objekt müßte dann ja, wenn das wahr ist, auf irgendeine Weise präsentiert werden, und was gäbe es da Besseres, als es einfach abzubilden? Ich meine, bis zu einem gewissen Grad impliziert natürlich der Begriff des Werkes selbst und auf jeden Fall Objektivität, daß da etwas relativ Selbständiges da ist über die Tätigkeit hinaus; das habe ich jetzt nicht in Frage stellen wollen, ich habe gemeint: Ob der Ausdruck, um genau diese Art von Gegenständlichkeit im Werk - sagen wir also: in einem Tafelbild - zu erreichen, die Unterstützung eines anderen Gegenstandes braucht, den er auf irgendeine Weise abbildet.

Das sind erkennbar tiefe, philosophische Fragen nach dem Verhältnis von Objekt, Affekt, Ausdruck, Bild, Repräsentation etc. Ich könnte philosophische Fragen auch an andere Punkte meiner bisherigen Überlegungen anknüpfen - ich könnte zB nach dem Verhältnis von Bild und Abbild fragen. Wenn jedes Bild Bild von etwas ist, heißt das, daß jedes Bild ein Vorbild hat? Und wenn ja, ist das eine symmetrische Beziehung, bzw gibt es in dieser Beziehung einen symmetrischen Kern? Also wenn A ein Bild von B ist, ist dann auch B ein Bild von A? Oder wenn nicht, gibt es dann zumindest in der Bildhaftigkeit von A gegenüber B irgendeine Relation, in der notwendigerweise auch B zu A steht? Ein prominenter Kanditat für so eine Relation ist die Ähnlichkeit: Jemand könnte sagen: Auch wenn daraus, daß A Bild von B ist, nicht folgt, daß B auch Bild von A ist, so impliziert doch die Bildhaftigkeit von A gegenüber B eine Ähnlichkeit der beiden; und die ist sehr wohl symmetrisch: A kann nicht B ähnlich sein, ohne daß auch B dem A ähnlich wäre. Das ist zumindest eine kleine Theorie, ich sage nicht, daß ich sie vertrete oder unterschreibe, aber es ist eine interessante Frage.

Eine weitere interessante Frage, die ziemlich nahtlos daraus hervorgeht, ist die nach einer ursprünglichen Bildhaftigkeit. Gibt es sowas wie Bildhaftigkeit ohne Abbild-Beziehung? Aber ich will jetzt diesen Weg nicht unmittelbar fortsetzen, diesen Weg der Grundlagenreflexion. Ich möchte, bevor ich das tue, noch eine zweite kunstphilosophische oder eigentlich kunstgeschichtliche Sicht auf unsere zwei Begriffe einschieben.

Eine zweite - kunstgeschichtliche - Perspektive

Selbst wenn wir eine historische Abgrenzung zulassen zwischen Regelästhetik und Genieästhetik, und wir ziehen die Linie erst mit der Romantik, selbst dann gibt es in der zweiten Periode, seit dem späteren 18. Jahrhundert, Entwicklungen und Dynamiken, die sich erst recht wieder mit den Begriffen Ausdruck und Abbild gegeneinander ausspielen lassen. Innerhalb dieser Periode, die durch das Ausdrucksprinzip gekennzeichnet ist, stellt der sogenannte Expressionismus eine eigenständige Entwicklung dar - und kann darüber hinaus wohl auch als Anstoß für entscheidende Entwicklungen in der im engeren Sinn so genannten Moderne gelten. Auf der anderen Seite ist die Abbildlichkeit in der Kunst des gesamten 20. Jahrhunderts ein wesentliches Thema, auch wenn die Dominanz des Ausdrucksprinzips überhaupt nicht in Zweifel gezogen wird. Eine Reihe hoch interessanter Fragen werden allein durch diese banalen Beobachtungen nahegelegt: Was ist das Charakteristische des Expresssionismus in der Malerei? Ist das nur eine Steigerung der Subjektivität, oder ist das etwas strukturell Neues gegenüber dem Ausdruckswillen der Romantik? Was hat es mit dem Begriff des Figurativen auf sich? Ist das Figurative das Abbildliche? Inwiefern ist die Abstraktion ein Gegensatz gegen das Figurative? Was haben Theorien des Sehens und Theorien der Abbildung in der Malerei miteinander zu tun - denken Sie an den Impressionismus! Was hat die Abstraktion in der Malerei mit dem Expressionismus zu tun, eine Frage, die besonders in Hinblick auf Kandinsky nahe liegt? Was bedeutet, schließlich, der Ausdruck Abstrakter Expressionismus? Gibt es eine Logik in der Entwicklung, in der Aufeinanderfolge dieser sogenannten Richtungen oder Strömungen in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts?

Natürlich kann man sagen, das sind nun wirklich alles Fragen, die die Kunstgeschichte als solche angehen und sonst niemand. Denn es sind ja Fragen, die sich aus der faktischen Entwicklung ergeben, und die keinen Sinn hätten, wenn es nicht einen Kandinsky, einen de Kooning oder Pollock gäbe. Ich will nicht sagen, daß diese Dimension für uns keine Rolle spielen darf, überhaupt nicht. Das ist sogar sehr wichtig. Aber auf der anderen Seite muß bemerkt werden, daß gerade auch diese Fragen ihrerseits philosophisch reizvoll sind. In welchem Grad stellt der Abstrakte Expressionismus die Abbildlichkeit in Frage? Können wir aus der Analyse dieser künstlerischen Entwicklungen als Philosophinnen etwas lernen? ZB, kann uns die Redeweise von der figurativen Malerei etwas sagen zum Begriff der Figur? Welchen Stellenwert hat so ein Begriff wie Figur in der Philosophie? Wie verhält sich Figur zu Repräsentation? Und ganz am Schluß, fast schon spaßigerweise: Was für eine Rolle spielt ein Begriff wie Realismus in diesem Umfeld? Müßte nicht Philosophie auf jeden Fall sich einmischen, wenn diese Frage aufkommt? Da haben wir eine zweite Serie von Fragen, die aus der Kunst heraus in die Philosophie führen, und ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, diese Dimension des Philosophischen direkt anzusprechen.

Eine erste philosophische Perspektive: Philosophie als Ressource

Auch spezifisch philosophische Interessen lassen sich auf verschiedene Weisen profilieren in unserem Themenbereich. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit will ich mal drei Strategien unterscheiden: Man kann erstens von solchen Überlegungen ausgehen wie wir sie bisher angestellt haben, und dann sagt man an einem gewissen Punkt: Achtung, da wird es philosophisch - und dann sucht man dieses Philosophische zu vertiefen, indem man etwa in Texten oder Theorien nachschaut. Also um bei dem Beispiel mit dem Bildbegriff zu bleiben, bei diesen Fragen nach usprünglicher Bildlichkeit oder nach dem Verhältnis von Bild und Ähnlichkeit, da könnte man etwa bei Plato nachsehen, oder bei Kant oder bei Wittgenstein; und solche Ausgriffe werden auch sicher helfen, um die Begriffe zu kären, die uns interessiert haben, wir werden gewisse theoretische Alternativen kennenlernen, und mit diesem Plus an Einsicht und Verständnis kehren wir dann zurück zu unserer ursprünglichen kunstphilosophischen Frage. Also das ist eine Strategie wo es darum geht, daß die Philosophie gewisse intellektuelle Ressourcen zur Verfügung stellt. Eine etwas andere Sache ist es, wenn wir zwar genau so beginnen, aber nicht zur Kunstphilosophie zurückkehren, sondern die Problemstellungen, die wir gewonnen oder kennengelernt haben, im eigentlich philosophischen Sinn weiter vertiefen; wenn wir also zB von solchen Fragen wie denen nach dem Bild dann die erkenntnistheoretischen Aspekte weiterverfolgen; oder wissenschaftstheoretische Aspekte. In dieser Strategie ist es nicht primär so, daß die Philosophie Ressourcen anbietet, sondern da ist es eher so, daß die ästhetischen Überlegungen dazu dienen, die Entwicklung philosophischer Fragen zu motivieren. Aber es ist natürlich auch eine dritte Einstellung möglich, wo man sich am Anfang gar nicht um den organischen Zusammenhang von Kunst und Philosophie kümmert, sondern einfach schaut, was es in der Philosophie denn so gibt über die Begriffe Abbild und Ausdruck, jeweils für sich genommen, aber vielleicht gibt es ja auch philosophische Theorien über ihren Zusammenhang oder dgl. Ich spreche ein wenig über die erste dieser Vorgangsweisen.

Zu dem Zusammenhang von Bild und Ähnlichkeit etc muß ich nicht mehr viel sagen. Auch die Lehre Kant's über das sogenannte Schema, die Vermittlung von intellektueller Aktivität und Anschauung, aus der so etwas wie Bildlichkeit erst entspringt, werden wir natürlich streifen. Und es ist klar, daß man von da aus dann zurückfragen kann nach einem Begriff wie Porträt zB. Ich stelle mir vor, insgesamt und auf allgemeinerer Ebene einen Komplex unter dem Titel Repräsentation und Abbild auszuarbeiten. Repräsentation ist ein Begriff, den man unter einer Reihe verschiedener Gesichtspunkte diskutieren muß, wir werden dazu Michel Foucault konsultieren, und zwar vor allem um Verbindungen zwischen politischen und zeichentheoretischen Aspekten des Begriffes herzustellen. Das liegt nahe durch die berühmten Seiten, die er den Meninas von Velazquez gewidmet hat. Aber selbst wenn wir die politischen und historischen Dimensionen außer acht lassen, haben wir noch immer hochkomplexe Beziehungen von Zeichen, Bild und Ausdruck. Zeichen sind nicht notwendigerweise Bilder, obwohl manche Zeichen es sind. Der Ausdruck eines Affekts zB ist etwas ganz anderes als ein Zeichen dafür, daß eine Person von diesem Affekt beherrscht wird; dieser Ausdruck kann in gewisser Weise bildhaft sein, ohne daß man sagen würde, er bildet den Affekt ab. Und von dieser Art kann man fast unendlich viele Fragen aufwerfen. Das Gefühl ist wohl unabweisbar, daß so manche von ihnen nur mithilfe des Begriffs der Ähnlichkeit beantwortet werden können. Am Ende kann man dann versuchen, Ansätze, die in solchen Reflexionen gewonnen wurden, wieder auf den Begriff des Illusionismus, wie er in der Kunsttheorie gebraucht wird, zurücklaufen zu lassen. Eine andere Strategie wäre es, solche Fragen in einer übergreifenden Theorie, einer allgemeinen Symboltheorie etwa, zu integrieren und zu ordnen.

Wenn Sie ein typisches Porträt anschauen von Bacon, zB dieses

Abbildung 1-2. Studie zu einem Porträt von Lukian Freud

von Lukian Freud , dann ist völlig klar, daß hier ein Bezug besteht auf einen bestimmten, individuellen Gegenstand, nämlich Lukian Freud, und man kann den Mann auch erkennen. Es ist ein Porträt, eine Porträtstudie, und insofern eine Abbildung. Aber ebenso offensichtlich ist, daß dieses Bild die Ähnlichkeit nicht einfach benützt, um abzubilden was es abbildet, sondern daß es die Ähnlichkeit problematisiert: Es bildet ja auch nicht ab ohne Ähnlichkeit, sondern ich habe den Eindruck: In diesem Bild war eine Ähnlichkeit, und diese Ähnlichkeit ist zerstört worden, und die Abbildung funktioniert über ein eigenartiges Amalgam aus dieser Zerstörung selbst und den Resten von Ähnlichkeit, die noch geblieben sind. Also egal, wie das dann im Einzelnen weiter zu analysieren wäre, so ein Bild kann von sich aus die Fragen nahelegen, die ich vorhin eben angesprochen habe.

Michel Leiris hat gewisse Aspekte der Abbildlichkeit, die hier gemeint sind, mit dem Begriff des Realismus zu erfassen gesucht, Gilles Deleuze hat die Begriffe des Figurativen bzw Figuralen verwendet, um sich mit denselben Fragen auseinanderzusetzen. Wie schon gesagt, gerade dieser Begriff des Figurativen bezieht uns auf die im engeren Sinne kunstgeschichtliche Dimension unseres Themas; aber das heißt ja nicht, daß man dieselbe Sache nicht auf mit Gewinn in andere Richtungen entfalten könnte: In eine geometrische, in eine rhetorische... Wenn wir das Figurhafte von der Repräsentationsfrage lösen, dann werden wir es als nächstes im Kontext des Raumbegriffes zu behandeln haben. Figur - Raum - Körper: ganze Serien von neuen Fragestellungen, philosophische und ästhethische, entspringen da. Wir können in wissenschaftstheoretische Grundfragen einsteigen, etwa in der frühen Neuzeit, und das, was wir dabei lernen, dann vielleicht auf Cezanne zu beziehen versuchen, und von dort aus eine Geschichte entwerfen, die wieder zu Bacon führt. OK, das sollte an Andeutungen zu diesem Punkt genügen.

Zweite philosophische Perspektive: Kunst als Motivation für die Philosophie

Hier, habe ich gesagt, handelt es sich um Wege zu spezifisch philosophischen Fragestellungen hin. Sofort wird man natürlich an erkenntnistheoretische Implikationen des Bildbegriffes denken. Von Plato bis Kant ist der Zusammenhang von Abbilden und Erkennen einer der wichtigsten, auch wenn er natürlich immer wieder anders gedacht worden ist; aber auch in der cognitive science der Gegenwart hat sich diese Verbindung erhalten. Um ein Beispiel zu nennen, das von unserem Thema her besonders nahe liegt: die Diskussionen um den Begriff des mental image; oder in den modernen Theorien des Sehens die Frage, ob das Sehbild völlig als Ergebnis eines Berechnungsvorganges (computational process) aufgefaßt werden kann, oder ob es so etwas wie eine nicht-reduzierbare Bildlichkeit gibt, eine Sache die eventuell in einem Gegensatz von analoger und digitaler Repräsentation zu deuten wäre. Das ist ein Spektrum, aus dem wir gewiß einige Punkte behandeln werden.

Ich möchte aber auch Fragestellungen erwähnen, die vom Begriff des Ausdrucks motiviert sind: Auf den ersten Blick scheint es nicht schwer, den Schrecken vom Ausdruck des Schreckens zu unterscheiden. Den Schrecken hat der Eine, seinen Ausdruck erkennt der Andere. Was der Eine da hat, nennt man oft einen mentalen Zustand, und von solchen mentalen Zuständen wird angenommen, daß denselben Zustand nur jeweils ein Individuum haben kann. Also den Schmerz oder Schrecken, den ich habe, kann niemand anderer haben; die anderen haben davon eben nur die Zeichen, in denen er sich ausdrückt. Aufgrund dieser Zeichen freilich erkennen sie, daß ich jetzt gerade furchtbar erschrocken bin, wo ich doch gerade noch so unbekümmert war. Man möchte sagen: Sie erkennen meinen Schrecken aufgrund der Anzeichen, aber ohne ihn zu haben, ja ohne ihn auch nur möglicherweise haben zu können. Woher wissen sie, daß mit diesen Zeichen ein Schrecken verknüpft ist? Man möchte sagen: Das wissen sie von sich selbst. Sie haben die Erfahrung mit sich selbst gemacht, daß wenn sie erschrecken, sie dann aufschreien oder zusammenzucken etc. Sie haben sich sozusagen selbst mehr oder weniger systematisch beobachtet und Korrelationen hergestellt zwischen Zuständen des Erschreckens und Verhaltensweisen wie dem Zusammenzucken. Vorige Woche bin ich sieben Mal erschrocken, und sechs Mal davon bin ich zusammengezuckt. Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage, wie haben diese Leute ihre Schreck-Zustände als solche erkannt? Wie und woran erkennt man, daß man erschrickt? Das muß man ja erkennen, um dann nachsehen zu können, ob man auch gleichzeitig zusammengezuckt ist - schließlich zuckt man ja auch manchmal, ohne erschrocken zu sein. Wenn es so ist, daß man sein eigenes Erschrecken aufgrund irgendwelcher Kriterien erkennt, die mögen von welcher Art immer sein, dann ist es grundsätzlich nicht auszuschließen, daß man sich da manchmal auch irrt. Daß man glaubt zu erschrecken, aber gar nicht wirklich erschrickt. Es passiert etwas bestimmtes, ich glaube es ist Erschrecken, aber sofort im nächsten Moment wird mir klar: Nein, ich bin nicht erschrocken, ich bin entzückt gewesen. Gibt es das? Kann das so sein? Oder ist nicht vielmehr beim Erschrecken - sagen wir jetzt mal: beim eigenen Erschrecken - die Frage seines Erkennens von Anfang an deplaziert? Ist es nicht eher so, daß man einfach erschrickt und aus? Daß man, um sicher zu sein, daß man erschrocken ist, nicht extra erkennen muß, daß man erschrocken ist? Daß man das sozusagen automatisch weiß? Diese Auffassung hat Einiges für sich, wir werden das noch ausführlicher besprechen, ihre Vorzüge und ihre Nachteile. Jetzt nehmen wir einfach des Spaßes halber an, sie wäre zutreffend. Dann erhebt sich die Frage, wie ich, wenn ich über mein eigenes Erschrecken sicher sein kann, ohne dazu irgendein Indiz zu brauchen, jemals sicher sein kann über das Erschrecken eines Anderen ausschließlich aufgrund von Indizien. Man ist geneigt zu sagen: Nur er, der Andere, kann ganz sicher sein, daß er erschrocken ist. Aber woher weiß er, daß das, dessen er sich sicher ist, auch wirklich das ist, was ich jetzt mit dem Wort erschrocken bezeichnet habe? Wie hat er das Wort Erschrecken mit diesem besonderen Zustand verknüpft? Was ist an dem besonderen Zustand, in dem er jetzt ist, das Verallgemeinerbare, das er gemeinsam hat mit dem besonderen Zustand von gestern abend, der auch ein Erschrecken war?

Das sind Fragen, die man direkt im Ausgang von gewissen Bildern Bacon's aufwerfen kann, von schreienden Gesichtern, und zu denen er selbst sehr aufschlußreiche Dinge gesagt hat. Aber es sind auch Fragen, die man dann von diesen Ansatzpunkten total ablösen kann und als allgemeine philosophische Probleme formulieren über den Zusammenhang von mentalem Zustand, Bedeutung, Ausdruck. Solche Fragen werde ich in Beziehung auf Wittgenstein behandeln.

Dritte philosophische Perspektive: Ausgang von der Philosophiegeschichte

Sie erinnern sich, das ist die Vorgangsweise, wo wir uns zuerst gar nicht um die Malerei oder die Kunst scheren und einfach erkunden, was es in der Philosophie so gibt über die Begriffe Abbild und Ausdruck. Ich sage jetzt gar nichts zum Abbild, das habe ich sowieso schon von mehreren Seiten her angesprochen. Ob es Philosophinnen gibt, die den Begriff Ausdruck mit einem besonderen Gewicht verwendet haben, die sozusagen ihre Philosophie unter das Zeichen dieses Begriffs gestellt haben, das ist auf jeden Fall eine spannende Frage, und da werde ich mich auch ein bißchen engagieren. Also der Autor schlechthin, mit dem wir es da zu tun haben, ist Spinoza; in Spinoza's Ethik ist Ausdruck der Schlüsselbegriff, ohne den einfach gar nichts geht - wenn Sie Spinoza den Begriff des Audrucks wegnehmen, ist das so wie wenn Sie Kant den Begriff der Synthesis wegnehmen. Und da gibt es dann natürlich eine Reihe spezieller Fragen, die für uns reizvoll sein werden, etwa zum Zusammenhang von Audruck und Affekt, oder zu der Opposition von Ausdruck und Zeichen. Besonders wichtig ist aber ein auf den ersten Blick äußerlicher Umstand, nämlich daß die interessanteste Arbeit über den Ausdrucksbegriff bei Spinoza von Gilles Deleuze ist, Spinoza et le problème de l' expression. Das ist ein faszinierendes Buch, ein Buch, das die Spielräume, die es in der Neuzeit für Metaphysik gibt, aus einer ganz ungewohnten Perspektive aufzeigt. Aber nicht nur sein Inhalt macht dieses Buch für uns interessant, sondern auch der Umstand, daß Deleuze einen ebenfalls hoch anregenden Text über Francis Bacon geschrieben hat. Dieses Buch, es heißt Logique de la sensation, wird für uns überhaupt, vor allem in der Anfangsphase, ein Leitfaden sein. Deleuze selbst hat zwischen diesen Texten praktisch keine sichtbaren Verbindungen hergestellt, aber es wird nicht schwer sein vor allem einen Begriff zu profilieren, der sie beide in hohem Maß bestimmt, den Begriff des Lebens. Die Philosophie des Ausdrucks ist eine Philosophie des Lebens, und die Malerei Bacon's ist eine, in der es um das Leben geht. Deleuze selbst hat sich immer wieder mit dem - na sagen wir: spirit der Lebensphilosophie identifiziert, eine etwas unheimliche Tendenz oder Richtung in der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Nietzsche, Bergson spielen da eine Rolle, das sind Autoren, denen er emphatische Interpretationen gewidmet hat. Wir werden uns mit einem wesentlich schlimmeren Repräsentanten ein wenig beschäftigen, der eindeutig unter den Begriff Protofaschismus bereits fällt, Ludwig Klages. Das heute bei Philosophinnen noch bekannteste Buch dieses Mannes heißt Der Geist als Widersacher der Seele. Was uns angeht, ist aber ein anderes Werk mit dem Titel Grundlegung der Wissenschaft vom Ausdruck zentral. Wir werden das nicht um seiner selbst willen behandeln, aber es finden sich ein paar interessante Überlegungen drin. Klages hat seine Wissenschaft vom Ausdruck in einem konkreten Zusammenhang entwickelt, dem der Graphologie. Handschrift und Charakter heißt sein bekanntestes Werk dazu. Da sind wir nun in einer Richtung, die höchst interessant wäre von unserer Themenstellung aus: Graphologie, Physiognomik ... Aufregende Fragestellungen, in denen Philosophie, Psychologie, Malerei aufeinander stoßen. Aber da kann ich Ihnen leider nicht versprechen, daß ich mehr als ein paar Anregungen zum selbständigen Weitermachen zusammenbringe. Le Brun, Descartes, Lavater, Lichtenberg - das wären so ein paar Leute, mit denen man sich da befassen müßte.

Also gut, Klages und die Lebensphilosophie. Und dann möchte ich da, das habe ich auch schon früher angedeutet, mich ein wenig zu Wittgenstein äußern. Das sind im Prinzip etwas andere Fragen, zu den Begriffen Zeichen, Ausdruck, Bedeutung - aber auch bei ihm spielt der Begriff des Lebens eine nicht unerhebliche Rolle. Ich lasse diese Andeutungen jetzt mal so stehen und höre auf mit meinen verschiedenen Perspektiven zu Abbild und Ausdruck und sage was zu Bacon.