Abschließende Bemerkungen zu den Meninas

Ich mache jetzt noch ein paar zusammenfassende oder zusätzliche Bemerkungen zu den 'Meninas', abschließend sind sie sicher nicht, weil Sie doch immer wieder auch von späteren Erörterungen zu anderen Themen her darauf zurücksehen und neue Facetten wahrnehmen werden.

Warhols factory

Als erstes möchte ich daran erinnern, daß wir den Zusammenhang von Macht und Repräsentation jetzt doch sehr viel konkreter vor uns sehen. Wichtig ist, daß wir nicht nur diese kontingente, aber aussagekräftige Beziehung haben zwischen Velazquez dem Maler und Velazquez dem Höfling und Manager der Bilder und Räume gewissermaßen. Sondern heute haben wir dazu gewonnen diese Reflexion auf die Macht des Königs als immanentes Fundament der Repräsentation, der eindeutigen Abbildlichkeit: Diese Macht garantiert, daß er selbst repräsentiert ist, und daß er nicht, ohne es zu wissen, einfach seinen Anblick hergeborgt hat. Natürlich gehört zu der Effektivität dieser Macht auch der Hof dazu.

Interessant ist freilich, daß die Beziehungen zwischen diesen verschiedenen Elementen - der Repräsentation, die ihrerseits vielgliedrig ist, dem Modell, dem Hof, der Macht, der Technik -, daß diese Beziehungen also sehr variabel sind. Ich fände es nützlich, den Fall von Velazquez am Hof von Philip IV zu vergleichen mit der factory von Andy Warhol. Na gut, ich führe das nicht aus, nur ein Denkanstoß.

Das Subjekt in der Repräsentation

Ein anderer wichtiger Punkt betrifft etwas, was man das Subjekt nennen könnte. Das ist eine Sache, mit der wir es bisher nicht ausdrücklich zu tun hatten, und eigentlich auch kaum unausdrücklich. Nur an einem Punkt sind wir direkt und fast plump darauf gestossen oder gestossen worden, wo es darum ging ob ich sagen soll: Ich, ich der Betrachter; oder eher: Wir, wir die Betrachterinnen. Betrachtung verlangt ein Subjekt. Es wird nicht einfach betrachtet, ohne daß man ein in gewisser Weise ausgezeichnetes Subjekt benennen könnte. Ich kann zwar nicht sagen in welcher Weise genau, aber sie muß speziell sein, es genügt nicht, daß man von irgendeiner Sache sagt, sie war dabei, als betrachtet wurde, um auch schon sagen zu können: Sie, diese Sache, hat betrachtet. Es kann aber nicht betrachtet worden sein, ohne daß jemand betrachtet hat; also muß die Beziehung spezifizierbar sein. Wie gesagt, ich weiß nicht wie genau, ich habe keine Theorie der Subjektivität, und überhaupt kommt in meinem Lebensplan die Entwicklung einer Theorie der Subjektivität erst so ungefähr an dreizehnter Stelle. Die Betrachtung ist aber für uns wesentlich als eines der Elemente, die zumindest in dem Kosmos dieses Bildes die Repräsentation bedingen. Also um es etwas hochtrabender zu sagen: Wenn wir wirklich verstehen wollen, was es auf der hier von Velazquez vorgelegten Ebene mit Repräsentation auf sich hat, dann müßten wir eigentlich auch nachfragen nach dem Sinn der Subjektivität in der Betrachtung. Es handelt sich um ein Thema, das wir mit mehr Nutzen besprechen werden, wenn wir die 'Meninas' - Interpretation von Foucault auch im Rahmen der allgemeineren Thesen des ganzen Buches würdigen können. Aber ein wenig läßt sich schon jetzt sagen.

Es muß in der Betrachter-Rolle eine Bestimmtheit geben, weil nur sie dem Blick des Malers seine Bestimmtheit verleihen kann. Und wenn wir über das Bild reden, egal ob wir es nun zugleich sehen, oder uns nur erinnern wie es aussieht - dann garantieren wir ja gerade dadurch immer diese Bestimmtheit. Das Problem war nur, daß wir, ob wir nun zu uns selbst 'Ich' sagen oder 'Wir', daß wir eben in einem gewissen Sinne nicht wissen wer wir genau sind, eben wegen jenem Gedränge. Für uns ist dieses Gedränge ja auch keineswegs beendet dadurch, daß wir wissen daß der König das Modell ist, der Ursprung. Foucault sagt, ich habe das ja schon zitiert, 'Weil wir nur diese Rückseite sehen, wissen wir nicht, wer wir sind und was wir tun.' Aber das hindert uns nicht daran, unsere für die Repräsentation als solche absolut notwendige Funktion auszuüben. Nur auf der Grundlage der Ausübung dieser Funktion kann dann in dem Bild die Figur des Jose de Nieto Velazquez als Betrachter, als Theoretiker eigens isoliert und verstanden werden.

Also das ist auch eine interessante Sache, daß wir zwar nicht wissen, wer wir sind und was wir tun, aber wir wissen, daß es funktioniert. Ich meine auch hier, das muß man so nehmen wie es gesagt ist. Es hat keinen Sinn zu sagen: Na Blödsinn, Sie wissen doch daß sie Richard Heinrich heißen, und daß sie dauernd dieses Bild anschauen, weil Sie beschlossen haben, sich in Ihrer Vorlesung immer auf diesen absurden Platz da zu stellen, mitten im Hörsaal. Das bringt gar nichts. Es geht um eine ganz bestimmte Frage. Auch wenn klar gestellt ist, daß der König das Modell ist, bedeutet das möglicherweise nur, daß der König hier an dieser Stelle vor mir gestanden hat, und daß Velazquez ein Doppelporträt von ihm und seiner Gemahlin Marianna gemalt hat, dessen Reflex in dem Spiegel ich sehe, der ich jetzt an eben dieser Stelle stehe; und die Sache ist die, daß der Maler, so fängt es ja bei Foucault an, mich anschaut. Und die Frage ist nun, was sieht er? Die Frage ist nicht zu beantworten. Ich bin unsichtbar in dem Bild der 'Meninas', und das andere Bild, auf dem ich ja vielleicht doch gemalt sein könnte - mit ungefähr so viel Wahrscheinlichkeit wie Lukian Freud -, steht verkehrt rum.

Also ich habe die Frage zugespitzt, damit klar wird, daß das Subjekt funktioniert ohne daß es weiß, wie es aussieht, was es gerade tut etc. Das gilt ja sogar für den König: Er muß ja im Prinzip auch nicht entscheiden können, ob er sich da spiegelt in dem Spiegel, oder ob es sein Porträt ist, wenn er beliebt die Position der Betrachterin einzunehmen. Ein solches Subjekt, das das alles nicht zu wissen braucht, und seiner selbst trotzdem vollkommen gewiß sein kann und seine Funktion erledigen kann, ist ein 'Cartesisches Subjekt'. Alles, was Gegenstand des Wissens sein kann, wird von Descartes in Zweifel gezogen und als Gewißheit, auf der man Erkenntnis aufbauen könnte, disqualifiziert. Insbesondere das Wissen um die eigene Abstammung, das eigene Aussehen etc. Ja, da gibt es einen Augenblick, wo er meint, daß an einer Menge von Dingen nicht gezweifelt werden kann:

... daß ich jetzt hier bin, daß ich, mit meinem Winterrocke angeton, am Kamin sitze, daß ich dieses Papier in der Hand halte und ähnliches; vollends daß eben dies meine Hände und daß dieser gesamte Körper der meine ist, wie könnte man mir das abstreiten?

Aber dann ist ja doch gleich jener andere Augenblick da, wo er sagen muß: 'Vortrefflich! - Als ob ich nicht ein Mensch wäre, der des Naxchts zu schlafen pflegt...' Na Sie wissen ja wie das weitergeht. Sogar das Wissen, daß meine Hände meine Hände sind, ganz zu schweigen von dem Wissen wie sie aussehen, sogar dieses Wissen wird disqualifiziert.

Was übrig bleibt, scheint eine Selbstbezüglichkeit als reine Form zu sein. Aber was heißt das? Selbstbezüglichkeit als reine Form? Alles was ist, ist das, was es ist. Jedes Ding ist es selbst. Der Sektkorken, den ich gestern um halb elf weggeworfen habe, nach der Öffnung der letzten Flasche, die zur Vorbereitung dieser Vorlesung erforderlich war - der ist auch so ein Ding. Bin ich anders auf mich selbst bezogen als dieser Sektkorken auf sich? Und wenn ja, was wir ja wohl sagen werden, worin wollen wir denn diesen Unterschied ansetzen wenn nicht in einem Wissen besonderer Art, darin, daß es sich um Selbstbezüglichkeit als Wissen handelt? Aber Wissen worum oder wovon? Das sind Wahnsinnsfragen klarerweise, unglaublich neue Fragen sind das gewesen zu der Zeit, wo Velazquez sein Bild gemalt hat. Aber er ist, neben Descartes, gewiß einer derjenigen, die diese Fragen in Szene gesetzt haben.

Der Maler schaut mich an, und warum wird der Maler mich wohl anschauen? Aber das Bild, das hier die Antwort wäre, ist mir abgewandt. Zugleich ist genau mir gegenüber ein Spiegel. In diesem Spiegel sehe ich mich aber nicht, sondern zwei andere Leute. Wie das Bild dieser Leute in den Spiegel kommt, wo eigentlich mein Bild sein sollte, ist unklar. Ich meine, vor irgendeinem anderen Bild wie etwa dem Porträt des Königs in Braun und Silber, kann ich auch fragen: Wer bin ich, der ich dieses Bild anschaue? In welche Position versetzt mich dieses Bild? Oder vor allem vor dem Innozenz-Porträt haben wir uns das ja auch fragen müssen. Aber da gab es nicht diesen Blick des Malers, kombiniert mit dem Spiegel.

Also ich denke schon, daß die 'Meninas' Anhaltspunkte bieten, über Subjektivität in der Betrachtung zu meditieren. Daß der Maler mich ansieht, ich aber nicht weiß, was er da sieht, daß zugleich dort, wo ich mich spiegeln müßte, der Anblick zweier anderer Personen erscheint, die zwar benennbar und historisch fixierbar sind - die aber, wenn sie das Bild wirklich betrachtet haben, auch nicht sagen konnten, ob das nun ihr aktueller Reflex ist, der sich da darstellen soll in dem Spiegel, oder der Reflex eines Bildes, auf dem sie zu sehen sind - all das ist eine unübersehbare Problematisierung von Subjektivität, und es enthält zugleich doch auch die Aussage, daß Subjektivität funktioniert, auch wenn sie von allen greifbaren Inhalten entleert ist. Das ist eben das, was ich cartesische Subjektivität genannt habe. Und ein ganz faszinierender Aspekt dabei ist natürlich der, wie schnell der Strukturwandel dieser Subjektivität in der Neuzeit sich vollzogen hat. Denn Subjektivität als diese eigene Dimension, als eigenständiges philosophisches Phänomen, das kommt ja erst so ab dem 15. Jahrhundert überhaupt auf, erst da taucht in den Philosophien die Vorstellung von so einem Innenraum auf, in dem der ganze Kosmos sich abbilden kann. Und zwei, drei Jahrhunderte später ist dieser Raum von allen den Bildern, die ihm seinen Wert und seinen Sinn gegeben haben, schon wieder entleert - aber so, daß es aussieht, als hätte er erst mit dieser Entleerung seine eigentliche Bestimmung, seine Funktion gefunden. Na ja, das ist nicht das Thema in unserer Vorlesung, das verfolgen wir nicht weiter.