Vorlesung 5. Repräsentation II

Ich habe vorige Woche, gegen Ende der Vorlesung, ein wenig über Velazquez nicht nur als Maler, sondern vor allem auch als Höfling erzählt. Das Wichtigste daran ist bestimmt sein Engagement in jenem Kreuzungsbereich von Innenarchitektur, Ordnung der Gemäldesammlung, Verwaltung der repräsentativen Räume und wohl auch Erwerb von Gemälden. Er war eben nicht nur der Maler, der durch die Produktion von Abbildern der Herrschenden sein Teil beträgt zur Repräsentation einer Macht - deren Ordnung ihrerseits das Repräsentative seiner Bilder fundiert -, sondern er war selbst einflußreicher Akteur in dieser Ordnung. Ich meine es ist klar, daß man das Bild der 'Meninas' vor diesem Hintergrund besprechen muß.

Dann habe ich in einem ersten Durchgang die wesentlichsten Elemente benannt, die man auf dem Bild sieht. Ich zeige das Bild noch einmal für diese Vorlesung, und zwar diesmal so, daß es auf Klick in einem eigenen Fenster erscheint, damit Sie nicht immer wieder den Rollbalken betätigen müssen, um es von einer weiter entfernten Text-Stelle aus zu finden. Hier also die 'Meninas':

Abbildung 5-1. Las Meninas (Vergrößerung in einem separaten Fenster)

Nachdem ich die Aufstellung der Personen etc beschrieben habe - wiederholen wollen wir hier nur die Namensgleichheit von Diego de Sylva Velazquez und Jose de Nieto Velazquez -, danach also habe ich gesagt: Man sieht in dem Spiegel den König und die Königin, und daran habe ich eine kleine philosophische Reflexion angeschlossen, die ich in der web-Version weggelassen habe, dafür stelle ich sie jetzt hieher.

Es könnte jemand sagen: Nein, das sieht man nicht, man sieht nur zwei Köpfe, Büsten; daß es das Herrscherpaar ist, muß man extra wissen. Damit ist die interessante philosophische Frage angeschnitten des kognitiven Gehalts der Wahrnehmung. Ich will diese Frage jetzt nicht aufnehmen in Hinblick auf eine mögliche Entscheidung, ich sage nur, man kann auch den Standpunkt vertreten, daß es im Sehen selbst ein Wissen gibt. Von diesem Standpunkt aus könnten wir, ohne daß wir in ein anderes Register wechseln müßten, meine Aufzählung des Gesehenen vertiefen. ZB in dem wir sagen: Wir sehen nicht nur irgendwelche Bilder, sondern wir sehen da im Hintergrund Kopien von Bildern von Rubens und Jordaens. Wir wollen aber in dieser Richtung nicht besonders weit gehen, sondern nur noch einen Umstand hervorheben, der den ganzen Raum als solchen betrifft. Es handelt sich dabei zwar nicht um das Atelier von Velazquez, aber doch einen seiner eigenen Räume. Er hatte diese Räume zugesprochen bekommen nach dem Tode eines der Söhne des Königs aus dessen erster Ehe, der da logiert hatte, Baltasar Carlos war sein Name, Velazquez hat viele sehr schöne Porträts von ihm gemalt, vor allem als Kind.

Las Meninas - Fortsetzung

Wir wollen, statt unser Sehen auf diese Weise zu vertiefen oder zu ergänzen, die andere Frage aufwerfen, was hier gemalt ist, was hier dargestellt ist. Also wir thematisieren wenigstens ansatzweise die Intentionen: Was soll das sein? Ein kleines bißchen könnte darüber natürlich der Titel des Bildes Aufschluß geben. Aber diesen Titel: 'Las Meninas' hat das Bild erst im 19. Jahrhundert bekommen. In einer Inventarliste von 1666 heißt es: 'Ihre königliche Hoheit mit ihren Damen und einem Zwerg'; in einer Liste aus den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts heißt es: 'Die Familie von König Philip IV'. Da liegt natürlich ein gewaltiger Unterschied, ich meine wenn jemand diesen zweiten Titel ernst meint, sachlich begründet findet, dann setzt das einen ziemlichen Abstand voraus zwischen dem, was man sieht und dem was dargestellt ist. Dann ist etwas Wesentliches vom Dargestellten nur ganz schwach im Hintergrund zu sehen (der König selbst und seine Gemahlin), während eine Menge, was nicht zum Dargestellten gehört, oder nicht zu dem zentral Dargestellten, überaus präzise und prominent im Vordergrund sichtbar ist, ein Hund zB. Aber beide Titel haben doch etwas gemeinsam, nämlich die platte und fraglose Einordnung in das genre von Gruppenporträts der Herrscherfamilie.

Rezeption; Interpretationsspielraum

Die Bewunderung, die das Bild von Anfang an ausgelöst hat, war zunächst vor allem von zwei Faktoren motiviert, die unabhängig von dieser Zuordnung sind. Von der Meisterschaft der Ausführung, und von der Souveränität, mit der der Maler sich selbst in dieses Gruppenporträt eingefügt hat, was natürlich als eine endgültige Besiegelung des Anspruchs der Malerei auf den status einer freien und vornehmen Kunst gesehen und gefeiert wurde. Die Bemerkung von Luca Giordano, dieses Bild sei die Theologie der Malerei, weist zwar auf eine tiefere Wahrnehmungsschicht hin, aber die ist eben die längste Zeit nicht systematisch aufgeschlossen worden.

In einem 1888 erschienen einflußreichen Buch hat Karl Justi zunächst einen anderen Aspekt für lange Zeit in den Vordergrund gerückt, und zwar die überraschende Authentizität, mit der hier ein im Grund belangloser, durch nichts ausgezeichneter Augenblick im Leben einer Familie eingefangen ist; man hat das später als 'Schnappschuß-Qualität' bezeichnet. Zu einem Hauptreiz des Gemäldes wird dann ein Kontrast, der eine Art Sandwich-Effekt hat: Die hohe Aufgabenstellung eines Gruppenporträts der Herrscherfamilie, und - konsequent - die enormen, majestätischen Maße des Gemäldes; gleichsam zwischen diese beiden Erhabenheiten gezwängt, und doch in fast frivoler Weise sie beide dominierend, die Wahl eines absolut banalen, alltäglichen Moments. Keine vorgegebene Pose, kein ausgezeichneter Anlaß. Aber dieser banale Moment präsentiert sich mit einer in der Tat eindrucksvollen Direktheit und, was mehr ist: Man kann ihm nicht ausweichen. Man muß ihn zur Kenntnis nehmen und ihm Respekt zollen, weil man sonst nichts verstehen kann an dem Bild.

Der banale Moment hat auch einen Namen, er heißt: 'Jemand kommt bei der Tür herein' - oder so ähnlich. Jemand kommt zur Tür herein und: Der Maler tritt hinter der Staffelei hervor und schaut; die Infantin hat ihrer Kopfhaltung nach eben noch den Hund angesehen, wendet aber jetzt ihre Augen den Eintretenden zu; der Zwerg im blauen Gewand hat sich überhaupt schon aufgerichtet, gleichsam Haltung angenommen, so weit ist das rechte Fräulein noch nicht; das linke Fräulein hingegen scheint überhaupt nichts bemerkt zu haben ...

Erinnern Sie sich, wie ich in der zweiten Stunde jene Fotos erwähnt habe, die Bacon interessiert haben, Schnappschüsse von berühmten Persönlichkeiten in Momenten, wo sie sich unbeobachtet glauben? Hier ist es so ähnlich. Gleich werden sie alle richtig herausschauen aus dem Bild, sie werden eine Pose des Schauens eingenommen haben, in der natürlich ihrerseits noch eine kleine Differenz steckt: Es wird einmal die Art des Schauens sein, die sich diesen besonderen Eintretenden gegenüber geziemt - also es wird, um den Punkt klar zu machen, bestimmt niemand auf diesem Bild herablassend dreinschauen; zweitens wird es natürlich eine Pose des Herausschauens aus dem Bild sein, so wie Porträtierte aus dem Bild heraus und irgendwie den Betrachter an-schauen. Doch dieser Punkt ist hier noch nicht erreicht, und das macht die Beziehung zwischen uns und der kleinen Gruppe so ungemein lebendig. Aber, wie angedeutet, es ist nicht nur diese Qualität als solche, sondern auch der mit ihr verbundene Effekt, daß der Raum vor der Bildfläche so enorm wichtig wird - und das spielt dann auch für Deutungen eine Rolle, die andere, relflexionsartige Züge an dem Bild betonen.

Charles de Tolnay hat 1949 in der Gazette des Beaux Arts einen Artikel veröffentlicht, der zum ersten Mal das Gemälde konsequent aus der Perspektive einer Allegorie der künstlerischen Kreativität, aus der Perspektive der Selbstreflexion der Malerei interpretiert.

Ich mache eine Nebenbemerkung, die der Vermeidung von Mißverständnissen dient: Daß die 'Meninas' erst so spät aus diesem Gesichtspunkt heraus interpretiert worden sind, bedeutet überhaupt nicht, daß erst das 20. Jahrhundert solche Phänomene der Reflexivität in der Malerei entdeckt hat. Ein schönes Buch, das die lange Geschichte dieser Selbstreflexion erzählt, ist Das selbstbewußte Bild von Victor Stoichita, da gibt es auch interessante Bemerkungen zu den 'Meninas' selbst, ich werde darauf zurückkommen. Schluß der Nebenbemerkung.

Wenn man das Bild jetzt nicht mehr im genre des Gruppenporträts sieht, sondern in einer eigenen Kategorie, sagen wir der reflexiven Malerei, oder der Metamalerei, wie Stoichita das nennt, dann ist aber noch immer nicht klarer, was es konkret darstellt. Was ist der Punkt der Reflexion? Besteht es allein darin, daß man den Maler sieht? Darin, daß man ihn am Werk sieht? Gewiß nicht. Man muß die Reflexivität erst einmal ausbuchstabieren.

Diese Aufgabe kann man von verschiedenen Seiten angehen. Ich erwähne nur zwei, und ich will weder sagen, daß das alle sind, noch daß sie sich ausschließen. Das eine wäre die Konzentration auf den Spiegel im Hintergrund. Wenn das Gemälde ein Werk der Reflexion ist, dann ist wohl nichts natürlicher, als daß es sich fokussiert in dem klassischen Mittel der Reflexion, im Spiegel. Schon allein dadurch, daß es einen Spiegel aufnimmt, deutet es seinen eigenen reflexiven Charakter an, und es wird dann nur konsequent sein, wenn es die Entfaltung seiner Reflexion immer in Bezug auf diesen Spiegel verzeichnet, registriert sozusagen. Wenn Sie für diesen Ausgangspunkt sich entscheiden, dann wird natürlich die erste Hauptfrage sein: Was ist es, was sich in jenem Spiegel reflektiert? Und in der Tat ist das zu einer geradezu klassischen Frage an die 'Meninas' geworden, mit einer angeblich klaren Alternative. Reflektiert der Spiegel zwei Personen, die in dem realen Raum stehen, der in Verlängerung des Bildraums zur Betrachterin hin sich erstreckt - zwei Personen also, die der Infantin und dem Maler und all den anderen Personen gegenüber getreten sind? Ich betone, daß die Realität dieses Raumes historisch ist, daß sie keineswegs nur eine Hypostasierung des imaginären Raumes ist, den wir als Betrachterinnen auf jeden Fall konstruieren können von unserem Standpunkt aus, und von dem wir dann sagen: Das muß in Richtung auf uns hin so und so weiter gegangen sein... Nein, im konkreten Fall handelt es sich um eine handfeste historische Realität, denn man weiß, daß der Raum, in dem die Szene spielt, in Verlängerung der rechten Seite noch mehr Fenster hatte. Oder, das ist das andere Horn der Alternative, reflektiert der Spiegel das Gemälde, dessen Rückseite wir auf der linken Seite unseres Bildes sehen? Klar, bei dieser zweiten Variante kann gleichwohl der objektive Tatbestand, der die erste bewahrheitet, noch immer bestehen. Das Herrscherpaar könnte da stehen, in dieser Verlängerung des Raumes, die das Bild nicht mehr einfängt, und trotzdem könnte in dem Spiegel statt ihres unmittelbaren Anblicks dessen Wiedergabe auf der Leinwand sich reflektieren. Das ist ein wichtiger Punkt. Denn offensichtlich besteht ja trotzdem ein enormer Unterschied zwischen den beiden Sichtweisen, und genau so offensichtlich gibt es auf jeden Fall auch eine Aussage, die von der Entscheidung unabhängig ist: Daß das Bild im Sinne des Anblicks, dessen wir gewahr sind, in eine Schwebe geraten ist bezüglich seines sogenannten Ursprungs.

Aber das ist eben nur ein möglicher Ausgangspunkt. Mit ebensoviel Berechtigung kann man beginnen beim sujet. Wenn es sich bei dem Bild um Selbstreflexion der Malerei handelt, aufgrund welcher Notwendigkeit sind dann die verschiedenen dargestellten items hereingekommen? Was machen die Leute da, und warum machen sie es? Der Maler hat ja offensichtlich gerade aufgehört zu malen. Was sind überhaupt die Möglichkeiten für das Aussehen der uns nicht sichtbaren Seite der Leinwand? Was kann denn da drauf zu sehen sein? Ist denkbar, daß Velazquez das in einer völligen Beliebigkeit belassen hat? Gibt es in der Gestaltung der Szene selbst Brüche, aus denen die Reflexivität heraus entwickelt wird?

Philosophische Deutungen

Stoichita

Die paar Seiten, die Stoichita in seinem Buch Das selbstbewußte Bild den 'Meninas' widmet, enthalten nicht eigentlich eine philosophische Interpretation, ja in gewisser Weise scheint mir sogar absichtliche Enthaltsamkeit gegenüber philosophischen Ansprüchen vorzuliegen. Aber es sind recht nützliche Überlegungen - vielleicht gerade deswegen.

Stoichita ist der Auffasung, daß in dem Spiegel sich nicht das eintretende Königspaar reflektiert, sondern die uns nicht sichtbare Vorderseite des Gemäldes, an dem Velazquez arbeitet; und er sagt, das sei belegbar durch Untersuchungen, die man über die perspektivische Konstruktion angestellt hat. Tatsächlich sind in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts derartige Berechnungen angestellt worden und haben zunächst zu diesem Ergebnis geführt. Aber das ist nicht allgemein akzeptiert worden, und es haben spätere Berechnungen zu dem anderen Resultat geführt, nämlich daß es sehr wohl die im nach vorn verlängerten Bildraum stehenden Personen sind, die der Spiegel zeigt. Ich selber kann dazu nicht mehr sagen, aber Jonathan Brown hat etwas gesagt, was ich ziemlich plausibel finde. Er zitiert eine Untersuchung, die vor allem einmal klargestellt hat, daß der Aufbau der Perspektive für das ganze Bild nicht konsistent ist. Daß es da auf jeden Fall Brüche gibt, perspektivische Unmöglichkeiten oder zumindest Mehrdeutigkeiten. Das hat was mit den Fenstern auf der rechten Seite zu, ich weiß das nicht mehr so genau. Und dann sagt er, wenn sich in der Tat für den Spiegel beide Varianten beweisen lassen, dann wäre das doch vor diesem Hintergrund ein starkes Argument dafür, daß Velazquez die Unentscheidbarkeit beabsichtigt hat. Hier spielt eine wesentliche Rolle etwas, was ich in der vorigen Woche hervorgehoben habe, nämlich Velazquez's hohe Expertise in Fragen der Raumperspektive, und daß ihm da nicht unabsichtlich ein Fehler unterlaufen sein kann. Brown macht das zur Grundlage einer sehr attraktiven Interpretation, er sagt: Diese Zweideutigkeit bedeutet, daß wenn der König selbst vor dem fertigen Bild stand, er sich sagen konnte, daß er sich darin spiegelt. Daß aber jedem anderen Betrachter die andere Möglichkeit aufgezwungen wird, nämlich in dem Spiegel einen Teil eines Porträts des Königs, das gerade in Arbeit ist, zu sehen.

Stoichita sagt zwar, daß ihm die Entscheidung, ob sich nun die Herrscher spiegeln oder das Bild der Herrscher, daß ihm die nicht so wichtig erscheint - und damit hat er sicher recht; aber es gibt einen Punkt, wo seine eigene Interpretation doch davon abhängt, daß es das Bild ist. Und das ist das, was er über den Spiegel als solchen sagt, sehr interessant, was er da sagt. Er legt den Finger darauf, daß der Spiegel in einer unorthodoxen Weise vorkommt in diesem Bild, und in den naheliegenden Weisen nicht vorkommt. Bedenken Sie zB, daß hier doch ein Selbstbildnis integriert ist, ich möchte nicht sagen, das wäre absurd, daß es sich überhaupt um ein Selbstporträt handelt. Ich sage vorsichtig: Da ist ein Selbstbildnis des Malers integriert; und das Requisit schlechthin des Selbstbildnisses ist der Spiegel (locus classicus: das Selbstporträt im Spiegel von Parmigianino von 1524, im KHM in Wien):

Abbildung 5-2. Parmigianino

Aber so ist er hier nicht verwendet. Ein zweiter Punkt ist der Gebrauch, den vor allem niederländische Maler von Spiegeln gemacht haben, in Bildern die auch so einen reflexiven Charakter haben. Hier wäre ein klassischer Fall, noch einmal hundert Jahre früher, das Doppelporträt des Ehepaars Arnolfini von van Eyck:

Abbildung 5-3. Van Eyck: Die Eheleute Arnolfini (Vergrößerung in einem separaten Fenster)

Ich zeige Ihnen diese zwei Bilder hier in der Form von thumbnails, weil die Bilder selbst ziemlich groß sind, und vielleicht wollen Sie das ja nicht unbedingt laden. Aber wenn Sie auf die thumbnails klicken, dann kommen in einem jeweils eigenen Fenster die großen Bilder.

Bei van Eyck ist im Hintergrund, in der Mitte hinter dem Ehepaar, ein Spiegel an der Wand, und auf dem kann man zwei Figuren erkennen, eine davon ist der Maler; aber es ist der Maler nicht beim Malen, sondern wie er da eben steht, gegenüber den Porträtierten. Der Spiegel weist sozusagen hinaus oder zurück in eine Wirklichkeit, eine soziale Wirklichkeit auch, innerhalb derer das Bild seinen Platz hat. Bei Velazquez ist das nicht so, nach Stoichita's Deutung, denn da wird gerade umgekehrt das Gemälde reflektiert, nicht die Wirklichkeit. Und nun gibt es drittens allerdings auch Vorbilder, wo in Spiegeln tatsächlich Bilder sich reflektieren, aber auch da weicht Velazquez signifikant ab. Und zwar handelt es sich bei diesen Vorbildern um die Darstellungen von Gemäldesammlungen, Sie wissen schon, das ist so ein eigenes genre, die Liebhaber-Kabinette, in Wien hängt ja glaube ich auch so ein berühmtes Exemplar davon. Da ist es aber wieder so, daß der Spiegel immer mehrere der Gemälde zeigt, die man ohne ihn nicht in den Blick bekäme; während in den 'Meninas' man nur einen Teil eines in Arbeit befindlichen Gemäldes sieht.

Also ich möchte mich jetzt wirklich nicht endgültig der These anschließen, daß der Spiegel einen Teil des Gemäldes zeigt; ich finde Stoichita's Überlegungen trotzdem gut und wichtig, die allerwichtigsten Punkte scheinen mir in der Tat von dieser Entscheidung unabhängig zu sein. Das ist einmal die zentrale Bedeutung des Spiegel als solche, und deren Steigerung noch durch den unorthodoxen Gebrauch, den er davon macht. Darüber hinaus geht aber noch der spezifische Punkt, daß dieser Gebrauch des Spiegels auf jeden Fall so verstanden werden muß, daß dadurch das Bild - jetzt im Sinne des Anblicks dieser zwei Büsten - in eine Schwebe kommt. Der Anblick kommt in eine Schwebe auf markante Art, wenn wir der Deutung von Brown uns anschließen, daß eine multiple Interpretation sozusagen eingeplant war: Sieht der König das Bild, spiegelt er sich; sehen wir es, sehen wir die Spiegelung seines Porträts. Der Anblick schwebt im Spiegel, als könnte er seine beiden alternativen Ursprünge gegeneinander ausspielen, sich womöglich gar über ihre Konkurrenz, die immer nur kontingent, ad hoc, entschieden wird, lustig machen.

Aber auch wenn man sich darauf festlegt, daß ein Teil des Gemäldes reflektiert wird, ist die Botschaft im Grunde dieselbe. Wenn es so ist, dann gibt es für den Anblick im Spiegel eine eindeutige Genese: Irgendwann sind die zwei Personen in ungefähr dieser Position, in der sie jetzt sind, dem Maler gegenübergestanden; er hat mit seinen Augen ihren Anblick aufgenommen und ihn weitergeleitet über - wie Bacon sagen würde - sein Nervensystem an seine Hand; von der Hand ist er über den Pinsel etc auf die Leinwand gekommen und von dort auf den Spiegel. Aber daß er uns, den Betrachtern des Bildes, im Spiegel gezeigt wird, ist eine hoch prononcierte Aussage, weil der Spiegel eben dasjenige Gerät ist, das uns den Anblick auch direkt zurückwerfen könnte, ohne diesen ganzen Umweg. Also auch unter dieser Voraussetzung ist die Botschaft meines Erachtens eindeutig die - wie ich sagen würde - Lösung des Anblicks von seinem Ursprung, seine Emanzipation vom Ursprung. Besonders wenn man der zweiten Deutung, der von Stoichita, anhängt, kann man noch spezifischer werden: Dann ist es die Emanzipation des Anblicks von der Alternative natürlichen oder technischen Ursprungs. Spiegelung ist ja ein natürliches Phänomen, im Unterschied zur klassischen Tafelbildmalerei. Der Anblick ist sozusagen gleichgültig dagegen, ob er natürlich oder technisch generiert wurde. Und wenn das so ist, dann kann das vielleicht technisch ausgenutzt werden, dann ist der Anblick, das Bild im Sinne des Anblicks, vielleicht der Punkt eines labilen Gleichgewichtes, über den Technik sich an die Stelle der Natur setzen kann.

Ich füge zur Verstärkung noch etwas hinzu, einen kleinen Vorgriff auf Michel Foucault. Ein Umstand, auf den er eigens hinweist ist, daß diesem Spiegel schon allein deshalb unendliche Bedeutung zukommen muß, weil er in dem ganze Tableau der 'Meninas' das einzige zur Repräsentation bestimmte Ding ist, das diese Funktion auch wirklich erfüllt. Er ist sozusagen der einzige dingliche 'Repräsentierer', dem das Repräsentieren gelingt. Er hat nicht viele Konkurrenten, freilich, aber wenn man den Punkt einmal bemerkt hat ist es erstaunlich: Das Bild an dem Velazquez arbeitet, zeigt uns nur seine öde Rückseite; und die Bilder, die an der Rückwand über den Türen aufgehängt sind, auf denen kann man wirklich kaum was sehen, die sind interessant gerade dadurch, daß sie uns den Anblick versagen, den sie speichern.

Und dann möchte ich Ihnen noch etwas sagen, was am besten ausgehend von Stoichita gesagt wird, und was da auch noch verstärkend wirkt. Ich habe glaube ich schon vorige Woche kurz erwähnt, daß er als wichtig hervorhebt, daß diese verkehrte Leinwand so ganz weit vorne steht im Bild, da ist nur ein winziger Abstand zur unteren Bildkante, nur die eine Pfote des Hundes reicht noch weiter nach vorn, und selbst bei dieser Hundepfote muß man dazusagen, daß sie über die Linie nicht hinausragt, nicht hervorragt, die die untere Kante des verkehrten Bildes verlängert. Das halte ich für ein wesentliches feature, diesen spitzen Winkel, der gebildet wird von der Unterkante der 'Meninas' einerseits, der Unterkante des Rahmens des unsichtbaren Bildes anderseits. Wenn Sie sich diese Unterkante verlängert vorstellen, dann wird sie die Unterkante der 'Meninas' schneiden noch vor dem Lot von der äußersten linken Falte des Kleides der Infantin, also irgendwo unterhalb des Kopfes des linken Fräuleins. Die Pfote des Hundes, die in den 'Meninas' das allervorderste Element ist, käme also schon ganz beträchtlich hinter dieses verkehrte Bild zu liegen, wenn es entsprechend breit wäre. Das ist eine ungeheure Dominanz, das gibt alle Richtungen vor, und die Dominanz wird noch gesteigert durch die Geringfügigkeit des tatsächlich sichtbar gemachten, gemalten Abstandes - der ist ja nur ein paar wenige Zentimeter da unten auf der linken Seite. Alles was wir sehen, mit Ausnahme dieses sehr kleinen, braunen, spitzwinkeligen Dreiecks links unten, ist davon dominiert. Und das im Verein mit der absoluten Größe der 'Meninas' rückt natürlich den Betrachter geradezu schockierend nahe heran an die Sache. Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß ich gerade deshalb nicht unzufrieden bin damit, daß das digitalisierte Bild, das Sie hier in der web-Variante sehen, so groß ist - da wird zumindest dieser Eindruck recht gut vermittelt.

Aber ich wollte eigentlich etwas anderes hervorheben an dieser Nähe der Rückseite des Bildes zur Vordergrenze des dargestellten Raumes: Nämlich daß damit die Rückseite der gemalten Leinwand so provozierend nahe heranrückt an die Rückseite der Leinwand, auf der die 'Meninas' gemalt sind. Sie werden nicht identisch, die gemalte und die bemalte Leinwand, sie fallen nicht zusammen, diese beiden Rückwände, und wichtig ist, daß sie gar nicht zusammenfallen können, eben wegen der Schrägstellung. Aber es ist unübersehbar, daß wir auf diesen Gedanken gestoßen werden, wir sind aufgefordert, die Überlegung zu vollziehen: Kann das zusammenfallen? Nein, es kann nicht zusammenfallen, es kann in alle Ewigkeit, solange die euklidische Geometrie gilt, nicht zusammenfallen. Und nun glaube ich sind es zwei Dinge, ziemlich verschiedene Sachen, die wir hier denken sollten.

Das eine hat ein bißchen den Charakter eines mutwilligen Scherzes: Na wie wäre es denn, wenn sie trotzdem, wider alle geometrischen Gesetze, zusammenfielen? Was wäre dann mit den beiden Vorderseiten? Wäre es dasselbe Bild? Es hat Leute gegeben, entnehme ich Brown, die tatsächlich den Gedanken ventiliert haben, das Bild, an dem Velazquez in den 'Meninas' arbeitet, seien die 'Meninas'. Ich glaube, es gibt nur ein realistisches Indiz, das man für diese Auffassung ins Treffen führen kann, und das ist die Größe des Rahmens; das ist wirklich ein distinktives Merkmal der 'Meninas', und das wird hier aufgegriffen. Weder in der zeitlichen, noch in der räumlichen Dimension ließe sich da eine kohärente Interpretation entwickeln. Ich will nicht eingehen auf diese Paradoxien. Ich vermerke an dieser Stelle nur noch einmal, daß ich der Ansicht bin, daß wenn man die Interpretation der 'Meninas' abhängig macht von der Entscheidung einer Frage wie: Was reflektiert der Spiegel? Was ist auf der uns abgewandten Vorderseite der Leinwand? - daß man dann schon verloren hat.

Das andere ist aber sehr ernst. Ich glaube etwas, was Velazquez auf jeden Fall erreichen will damit, daß er uns diese Gemälde-Rückwand so energisch auf's Aug druckt, ist die Trennung der Leinwand von dem, was man dann auf ihr sieht, wenn das Bild fertig ist. Ich würde ja am liebsten die Theorie von Brown annehmen, und noch eine drittes Horn hinzufügen zu seiner Alternative: Daß es sich ganz einfach um ein Porträt der Infantin handelt. Es gibt ein Indiz im Bild selbst, das diese Variante begünstigt, die Farben auf der Palette. Ich meine, mit meinen bescheidenen Ressourcen bin ich vielleicht schon widerlegt, bevor ich den Mund aufgemacht habe. Aber jedenfalls sind die Farben auf der Pallette so, daß sie für ein Porträt der Infanta geeignet wären. Und ich will ja überhaupt nicht sagen, daß das Porträt der Infantin wahrscheinlicher ist als irgendwas anderes, vielleicht hat er in Wahrheit an einem Porträt von Lukian Freud gemalt. Und bei der Sache mit dem Porträt der Infanta gibt gewichtige Gegen-Indizien: Warum zB so ein großes Bild für so ein kleines Mäderl? Ich will nur eines sagen: Sogar wenn es sich um ein Porträt der Infantin handelt - das wären natürlich nicht die 'Meninas' selbst, sondern vielleicht ein Bild das wir in Wien haben im Kunsthistorischen Museum -, sogar dann wäre die aufdringlichste Botschaft die von der Entfernung zwischen der Leinwand und dem Bild, dem Anblick, das oder der auf ihr erscheint. Immer wenn wir annehmen, daß er auf der Vorderseite der Leinwand etwas malt, wovon wir auf irgendeine Weise einen visuellen Eindruck auch in den 'Meninas' bekommen, immer dann müssen wir auch eine unerklärliche Kluft zwischen dem was er malt und dem was wir sehen akzeptieren. Wenn er das Herrscherpaar malt, dann sehen wir es weder auf dem Bild, das er malt, noch sehen wir es direkt in dem Bild das wir betrachten, sondern wir sehen es in einem Spiegel. Und wenn er die Infantin malt, dann sicher nicht zugleich so wie wir sie sehen, denn das wäre der doch ziemlich unmögliche Fall eines Porträts von rechts hinten oben. Wenn wir, mit einem Wort, annehmen wollen, daß das was er malt, etwas ist, was wir sehen, sind wir auf jeden Fall gezwungen, einen Bruch in Kauf zu nehmen, dessen Überwindung vollständig in seiner Hand liegt, zu dessen Überwindung wir allein auf ihn vertrauen können. Und das ist etwas, was er uns meines Erachtens einbläut auch dadurch, daß er uns die bildlose Seite der Leinwand so direkt auf's Aug' haut.

Da bin ich jetzt schon bei einem zweiten Punkt, den ich bei Stoichita würdigen möchte. Das ist seine Insistenz darauf, daß der Maler hier beim Machen des Gemäldes sich zeigt. Es ist eine einfache Aussage, die ich da herausholen möchte, aber in ihrer Bedeutung fundamental: Wir sehen, daß er malt, wir sehen, unter welchen Voraussetzungen er malt, und wir sehen auch was er malt. In dem was er malt gibt es Alternativen, aber sie sind begrenzt - wenn wir jetzt den Lukian Freud mal beiseite lassen. Aber nur er ist es, er als Macher, der zwischen den objektiven Gegebenheiten und dem was man sieht jene Synthese herstellen kann, die das Gemälde ist. Er zeigt uns alles, was er hat: Seine Palette, die Leinwand, den Spiegel, die erhabensten denkbaren Modelle, das Licht und die Vorbilder in der Tradition der Malerei; und natürlich auch das fertige Bild selbst, das fertige Bild ist die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Voraussetzungen in einem gewissen Sinn, der Erkenntnis seiner Voraussetzungen; aber wie das synthetisiert wird, das ist nicht sichtbar, das ist Kunst. Also ich werde ja am Schluß dieser Vorlesung oder dieses kleinen Teiles noch ein paar Worte sagen aus meiner eigenen bescheidenen Sicht, aber das kann ich auch schon jetzt sagen, daß das ein kapitaler Punkt ist. Wir können nicht davon ausgehen, daß das was wir sehen, unser Vermögen Bestimmtes zu sehen, eine Grundlage ist, an der wir das Vermögen der Abbildung sozusagen messen können. Sondern das Vermögen der Abbildung, der Repräsentation, ist eine Kunst. Eine Kunst ist ganz was anderes. Vielleicht, so möchte ich zumindest auf dem jetzigen Stand der Auseinandersetzung sagen, vielleicht ist eine Kunst immer etwas ganz Fremdes.

Na gut, eine letzte Anregung noch aus dem Stoichita: Das ist die Profilierung des anderen Velazquez, des Jose de Nieto Velazquez. Man könnte die Anregung natürlich auch aus jeder anderen Interpretation der 'Meninas' nehmen, so offenkundig ist die Bedeutung dieser Figur. Wenn Sie die vorne links stehende verkehrte Leinwand als raum-konstituierendes Element einmal anerkannt haben, dann laufen wirklich alle wichtigen Linien des Bildes in der Hand des Jose de Nieto zusammen, die gerade an einen Vorhang gelegt ist: Er ist ein Meister, der über Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit entscheidet. Aber nicht der einzige derartige Meister, der Witz besteht in der Parallelisierung und Gegenüberstellung mit dem Maler. Die Aufgabe von Jose de Nieto ist es, das Original zur Erscheinung zu bringen, ohne daß er sich mit dem Problem der Abbildlichkeit herumschlagen müßte. Und in gewisser Weise kann er die Mächtigkeit der Abbildung auch nicht egalisieren: Wenn er seinen Vorhang zumacht, fallen läßt, sehen wir noch immer was wir sehen. Das Licht in dem Raum oder Korridor hinter ihm erleuchtet nicht den Raum des Bildes, es ist das Licht eines anderen Raumes. Unser Raum hat sein Licht von dem Fenster rechts vorn und von einem nicht mehr im Bildraum angedeuteten Fenster noch näher zu uns. Das mindeste, worauf uns diese Figur aufmerksam macht, ist die Vielfalt von Person, Erscheinung und Abbild: Daß die Handhabung der Erscheinung noch nicht dasselbe ist wie die Handhabung des oder Meisterschaft über das Abbild.

Also gut, eine quasi philosophische Aussage können wir auch dem philosophisch enthaltsamen Victor Stoichita bereits entnehmen, ich meine als Aussage, die Velazquez mit diesem Bild macht: Wenn Du glaubst die Abbildlichkeit der Malerei an dem Maßstab messen zu können, der mit Deiner Fähigkeit gegeben ist, etwas als das was es ist zu erkennen mit freiem Auge - dann bist Du ein armes Würstel. Das ist jetzt natürlich nicht als Summe dessen gemeint, was Stoichita sagt, das wäre zu billig, wir haben ja gerade sehr viel interessantere Dinge gehört, das ist so nur gesagt als Überleitung zu Foucault.

Foucault

Wenn ich jetzt über Foucault spreche, dann zunächst noch nicht über die Bedeutung, die seine Interpretation der 'Meninas' im Rahmen des ganzen Buches Les mots et les choses hat, diese Bedeutung ist natürlich groß. Da lese ich jetzt mal nur eine Kostprobe vor, für diese Dimension:

Vielleicht gibt es in diesem Bild von Velazquez gewissermaßen die Repräsentation der klassischen Repräsentation und die Definition des Raums, den sie eröffnet. Sie unternimmt in der Tat, sich darin in all ihren Elementen zu repräsentieren, mit ihren Bildern, den Blicken, denen sie sich anbietet, den Gesichtern, die sie sichtbar macht, den Gesten, die die Repräsentation entstehen lassen. ....

Aber wie gesagt, das wollen wir nicht zum Ausgangspunkt machen, sondern eher Sachen, die er direkt über das Bild sagt. Und was mir da am wichtigsten erscheint, ist einfach mal eine etwas andere Akzentuierung von Dingen, die ich bei Stoichita schon erwähnt habe, und zwar eine Akzentuierung mithilfe des Begriffspaares sichtbar - unsichtbar. Foucault beginnt mit dem Maler Velazquez und kontrastiert: Der Maler wird im Bild sichtbar dadurch, daß er hinter der Leinwand hervortritt; dadurch wird für ihn aber das Bild unsichtbar, an dem er gerade arbeitet. Foucault sagt: So herrscht er an der Grenze zweier unvereinbarer Sichtbarkeiten. Ich will gleich hier mal unterbrechen und eine Fußnote anbringen: Diese Unvereinbarkeit gilt natürlich nicht von jedem erdenklichen Standpunkt aus. Es könnte ja sein, daß der Maler sichtbar wird, ohne die Malerei, an der er gerade arbeitet aus dem Blick zu verlieren. Sondern wenn hier von Unvereinbarkeit die Rede ist, dann meint Foucault zunächst immer eine Unvereinbarkeit, die das Bild darstellt. Das Bild stellt dar, daß der Maler, indem er hinter der Leinwand hervortritt, den Blick auf sie verliert. Das ist deshalb wichtig, weil so eine Klausel für fast alle Elemente der Interpretation gemacht werden muß. Wenn hier von Notwendigkeiten oder Möglichkeiten oder Fakten die Rede ist, dann geht es primär - natürlich nicht ausschließlich - immer um vom Bild geschaffene Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Fakten etc. Also der Maler wird sichtbar, macht sich sichtbar auf Kosten der Sichtbarkeit dessen, was er malt. Dieses Unsichtbar-Werden des Gemalten hat aber nicht den Stellenwert eines Verschwindens in der Vergessenheit, sondern diese Unsichtbarkeit begegnet ihm jetzt gleichsam von vorn. Er blickt weg vom Bild, das in diesem banalen Sinne ihm nicht mehr sichtbar ist, und blickt also anderswo hin, und zwar auf etwas Unsichtbares. Foucault sagt: 'Er fixiert einen unsichtbaren Punkt.' Dieser Punkt ist gleichwohl exakt bestimmt, das bin ich, der Betrachter. Mich schaut er an; ich könnte natürlich auch sagen: Uns schaut er an, uns alle, die wir dieses Bild betrachten. Da macht Foucault tatsächlich noch etwas draus, aus dieser minimalen Differenz, aber darauf komme ich erst. Also ich bleibe beim 'ich'. Und nun schließt Foucault da gleich eine Bemerkung an, die auf den ersten Anhieb vielleicht gar nicht so leicht verständlich ist, er sagt: Also ist das von Velazquez betrachtete Schauspiel zweimal unsichtbar: erstens weil ich unsichtbar bin, und zweitens weil für mich selbst mein Blick als solcher unsichtbar ist. Man könnte sich wundern, wie er auf diese Idee kommt und meinen: Die Unsichtbarkeit meines Blickes für mich ist doch wirklich belanglos für das, was der Maler sieht. Wir sehen ihn ja auch blicken, wenn ich so sagen darf. Aber es wäre voreilig, ihm da einen Vorwurf zu machen; ich meine einen Vorwurf muß man ihm schon machen, nämlich daß er sich wirklich sehr mißverständlich und kryptisch ausdrückt, aber ich glaube ich kann erraten was er meint: Die Unsichtbarkeit meines Blickes für mich selbst ist deshalb relevant, weil es ja in der Tat mein Blick ist, der dem des Malers die Bestimmtheit gibt. Wenn der jeweilige Betrachter dieses Bestimmte ist, dann gibt es keine Bestimmtheit ohne Betrachter, udh so wie ich das jetzt auffasse: dann gibt es keine Bestimmtheit, ohne daß mein Blick auf das Bild fällt, und daß mein Blick mir unsichtbar ist, prinzipiell unsichtbar, spielt also doch eine Rolle für den Maler. Das Blicken des Malers läßt sich nicht vom Blicken des Betrachters trennen, sondern setzt es voraus, zumindest wenn wir es als bestimmtes auffassen wollen.

Also das ist eine erste wichtige Linie in den 'Meninas', diese Linie, sie läuft so ein bißchen schräg, kreuzt zuerst die gedachte Verlängerung der verkehrten Leinwand nach rechts und gleich danach den vorderen Bildrand. Sie gehört einem Dreieck an, dessen dritter Eckpunkt, neben meinen Augen und denen des Malers, auf der uns nicht sichtbaren Seite der Leinwand liegt. Foucault nennt diese Linie eine Linie der Sichtbarkeit, die 'dünne Linie der Sichtbarkeit'. Das heißt: Es ist die Linie, auf der wir sehen, ich und der Maler, aber determiniert ist sie, wie wir gerade gehört haben, natürlich genau so von Unsichtbarkeit wie von Sichtbarkeit. Ja eigentlich noch mehr: Die Sichtbarkeit ist die des Malers, die Unsichtbarkeit ist meine und die meines Blickes.

An dieser Stelle könnte man eigentlich schon einhalten und etwas resumieren. Man könnte sagen: Aha, die 'Meninas' sind ein Bild, das den Maler bei der Arbeit der malerischen Repräsentation zeigt, bei dem, was er wesentlich tut, und da geht es also klarerweise darum, etwas sichtbar zu machen, nicht nur darüber zu reden zB, was diese Arbeit ausmacht, und die Aussage ist offenbar, daß es dabei vor allem gilt, etwas Unsichtbares sichtbar zu machen. Und zwar nicht nur in dem einfachen Sinne, daß jetzt sichtbar wird, was eben noch oder die längste Zeit unsichtbar war, sondern daß die Unsichtbarkeit als Unsichtbarkeit sichtbar wird. Das ist meines Erachtens ein richtiger Gedanke, aber bei Foucault kommen zunächst noch andere Überlegungen zum Zug.