Richard HEINRICH |
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'Der Wert dieser Arbeit': Philosophische Analyse in Wittgensteins 'Tractatus' |
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Richard Heinrich: ''Der Wert dieser Arbeit': Philosophische Analyse in Wittgensteins 'Tractatus' '. Vortrag, gehalten am 28. September 2007 in der Wiener Urania im Rahmen des 15. Symposiums Kulturraum Donau mit dem Thema 'Ludwig Wittgenstein oder Die Trivialität der Philosophie'. Zitiert nach URI: https://home.phl.univie.ac.at/~heinrir4/per/rh/mei/ur_te.html. 1.Der Titel meines Vortrags ist eine Anspielung auf das Vorwort des TLP, ein `Fast-Zitat', dort heisst es:
Das ist ein merkwürdiges Stück Text, und in seiner Merkwürdigkeit typisch für den ganzen TLP. Demonstrative Einfachheit, Klarheit, Bescheidenheit -- aber wenn man es wirklich zu lesen versucht, sieht man schnell, daß da Vieles nicht so ohne weiters zusammen passt und daß, wenn es überhaupt als Ganzes einen Sinn ergibt, dieser wohl eher kompliziert sein wird. (Etwas bösartig könnte man dieses Stück Text verdächtigen, geradezu als Beleg für die in ihm anklingende leise Selbstkritik geschrieben zu sein.) Die Eigentümlichkeit hat vor allem mit dem zu tun, was er über die Gedanken sagt: Der Wert der Arbeit besteht darin, dass in ihr Gedanken ausgedrückt sind -- aber das Maß des Wertes ist nicht eine Qualität dieser Gedanken, sondern die Qualität ihres Ausdrucks. Wittgenstein sagt auch nicht, dass es darauf ankäme, dass er diese Gedanken selbst gefunden hätte -- im Gegenteil, das hat er im Absatz davor ausdrücklich als uninteressant bezeichnet ('was ich hier geschrieben habe, macht im Einzelnen überhaupt nicht den Anspruch auf Neuheit'). Nur der Ausdruck ist das Maß des Wertes. Dazu zwei Bemerkungen. Die erste ist kurz und vielleicht ein bisschen zu schnippisch für Ihren Geschmack -- für meinen eigentlich auch --, aber es steht einfach da: Genau an diesem Punkt setzt er selbst den Wert der Arbeit eher niedrig an; genau in der Hinsicht, auf die's ankommt, ist er 'weit hinter dem Möglichen zurück' geblieben. Der andere Punkt ist ein bisschen anspruchsvoller. Da geht es um die Implikationen der Aussage selbst, also was es eigentlich bedeuten soll, dass der Wert einer philosophischen Arbeit im Ausdruck der Gedanken, aber nicht in einer Qualität der Gedanken selbst liegt. Aufs Geratewohl würde man eher sagen: Worauf's ankommt, das muss doch sein, was für Gedanken das sind, ob sie wichtig sind, ob sie neu sind, ob sie wahr sind, ob sie ausgetüftelt sind oder trivial. Aber nein. Das alles bleibt ausgeblendet. Und hier muss man aber achtgeben, und damit rechnen, dass in der Philosophie vielleicht wirklich ein bisschen andere Maßstäbe gelten als beim Raisonnieren aufs Geratewohl. Insbesondere könnte man bei Platon oder Plotin oder bei Gottlob Frege Anregungen gefunden haben in die folgende Richtung: Dass nämlich Gedanken etwas objektives, aber abstraktes und zeitloses sind. Ein Gedanke in diesem Sinn ist nicht etwas, was mir durch den Kopf zischt und allein deshalb schon niemals durch Ihren Kopf zischen kann (sowie Sie auch nie meine Zahnweh haben können), sondern ein Gedanke ist in dem Sinn objektiv und zeitlos, dass wenn Sie den Gedanken fassen, dass man das Quadrat -- kurz gesagt -- über seiner Diagonale verdoppelt, dass Sie dann ein und denselben Gedanken fassen wie ich jetzt, und wie Sokrates und der ak\'oloutos des Menon vor mehr als zweitausendreihundert Jahren. Wenn man Gedanken einmal als solche abstrakte Sachen sieht, die unbekümmert um uns durch die Jahrtausende hindurch (ewig?) vor sich hin bestehen, dann ist es gar nicht mehr so verwunderlich, wenn jemand ihren Ausdruck für das Wichtigste hält -- das, was an ihnen intrinsisch wesentlich ist, kann man offenbar sowieso nicht ändern oder beeinflussen. Wichtig ist allerdings, dass es Gedanken sind, und so liegt die Pointe in der Aussage Wittgensteins wohl vor allem in einem Gegensatz, im Gegensatz nämlich zu dem Fall, wo jemand nur seine Meinungen oder Stimmungen oder sowas ausgedrückt hat. Aber er hat Gedanken ausgedrückt. Und an diesem Punkt könnte man, glaube ich, sogar nachvollziehen, dass es dann darauf ankommt, den Gedanken gut auszudrücken, nämlich so auszudrücken, dass auch klar wird, dass es ein Gedanke ist und eben nicht nur eine Meinung oder ein Vorurteil oder sowas. Also zusammengefasst würde das für diesen ersten Absatz eine Deutung etwa folgender Art ergeben: Er ist stolz darauf, sich der Aufgabe überhaupt gestellt zu haben, Gedanken auszudrücken und nicht nur irgendwas zu schreiben. Und zweitens weiss er aber auch, dass er dadurch allein keinen besonderen Ehrentitel erwerben kann, denn da sind ja alle, die einen bestimmten Gedanken fassen, in genau der gleichen Situation -- gerade um das so klar wie möglich zu machen, hat Sokrates nicht den Menon, sondern dessen ak\'oloutos befragt. Eine Differenz zwischen den verschiedenen `Fassern ein und desselben Gedankens' kann es nur in ihrer Fähigkeit geben, diesen konstanten Gedanken als solchen deutlich und als Gedanken -- nicht Gerede -- darzustellen, auszudrücken. Und da gibt er sich kein besonders tolles rating. Der zweite Absatz stellt allerdings manches, was wir eben zu verstehen beginnen, wieder in Frage. Warum ist es denn auf einmal wichtig, dass die von ihm mitgeteilten Gedanken wahr sind? Ich meine jetzt nicht (ich will überhaupt nicht sagen): Wenn es nur um den Ausdruck geht, warum nicht auch `falsche' Gedanken. Das wäre eine Überschreitung der Grenze zwischen Frivolität und Blödheit. Ich meine eher so etwas wie: Wenn Gedanken etwas Objektives und Zeitloses sind, dann war an ihrer Wahrheit ja wohl sowieso nie etwas zu ändern oder sonstwie herumzutun. Wäre es, unter diesen Voraussetzungen, denn überhaupt möglich, dass man einen Gedanken erfasst und nicht sicher ist, ob er wahr ist? Mit dieser Frage finden wir uns an einem ersten heiklen Punkt. In der Tat versteht Wittgenstein unter einem Gedanken etwas, was wahr oder falsch ist -- genau so, wie der Satz, der diesen Gedanken ausdrückt. Es gibt ja sogar seinen eigenen Satz 4: 'Der Gedanke ist der sinnvolle Satz'. Und ob ein Gedanke (ein sinnvoller Satz) nun wahr ist oder nicht, das hängt noch dazu immer von etwas ab, das wirklich (und unabhängig von ihm) der Fall ist. Also aus dieser Sicht muss man die Interpretation des ersten Absatzes zumindest sehr sorgfältig qualifizieren, wenn nicht korrigieren. Ein Gedanke ist zwar etwas Objektives in dem Sinn, dass er von dem `Gefasst-Werden' unabhängig ist -- dh die Sache mit der Verdoppelung des Quadrats war schon ein richtiger Hinweis; aber er ist nicht so eine abstrakte, in sich abgeschlossene Sache, dass man, wenn man ihn einmal erfasst hat, auch schon alles hätte, was an ihm wichtig ist. Ob er wahr ist -- das bleibt immer noch offen, wenn man den Gedanken gefasst hat. Und insofern könnte man jetzt meinen, dass Wittgenstein mit der definitiven Wahrheit der 'hier mitgeteilten Gedanken' doch was hat, was einen echten Wert ausmacht, was nicht trivial ist, und worauf er stolz sein könnte. Es gibt zwei Gründe, die gegen diese Deutung sprechen, und einen, der -- zumindest auf den ersten Anschein -- dafür spricht. Ein erstes Hindernis für diese Auffassung richtet sich beim Lesen direkt vor uns auf: Wir sind ja interpretierend noch gar nicht an dem Punkt angelangt, wo der 'zweite Wert' (von dem 'zweierlei') benannt wird. Sie wissen freilich -- aus dem, was ich am Anfang vorgelesen habe --, dass dieser zweite Wert nicht die Wahrheit der Gedanken ist. Der andere Gegen-Grund ist die berühmte rhetorische Geste am Ende des Buches, wo er sagt, dass ihn zu verstehen bedeutet, seine Sätze als unsinnig zu erkennen -- also zu erkennen, dass sie eben keine Gedanken ausdrücken. Und das ist genau in dem Sinn gemeint, den wir gerade besprochen haben: Unsinnige Sätze sind -- was immer sie sonst, quasi positiv, sein mögen -- keine sinnvollen Sätze, und insbesondere kann bei ihnen nicht von wahr und falsch die Rede sein. Das ist ein fundamentaler Einwand: Man kann nicht auf die Wahrheit von Gedanken stolz sein, denen man zugleich abspricht, überhaupt Gedanken zu sein. Weiter diskutieren müssen wir also unter der Annahme, dass er hier im Vorwort unter 'Gedanke' etwas anderes versteht, als wenn er sagt: 'Der Gedanke ist der sinnvolle Satz'. Aber in Bezug auf diese `andere Art von Gedanken'> kann natürlich auch 'Wahrheit' nicht mehr dasselbe bedeuten, und insbesondere wird es fraglich sein, ob sie noch in demselben Verhältnis zu einer möglichen Falschheit steht, wie das bei den gewöhnlichen sinnvollen Sätzen ist. Aus dieser Perspektive können wir wirklich nicht mehr sicher sein, dass die etwas bombastischen Wörter 'unantastbar' und 'definitiv' auch verbürgen, dass er der Wahrheit dieser Gedanken ein besonders hohes Gewicht beimisst. Aber es scheint auch einen Grund für die gegenteilige Deutung zu geben, dass nämlich die 'Wahrheit der hier mitgeteilten Gedanken' doch eine Rolle spielt für die Bewertung seiner eigenen Tätigkeit oder seines Erfolges. Und zwar ist das der Zusammenhang zwischen diesen Gedanken und der Lösung von Problemen. Es gab Probleme: Das würde normalerweise heissen: Es gab eine Gruppe von Gedanken, bei denen nicht so recht klar war, ob sie nun falsch oder wahr wären, bzw. welche von ihnen falsch und welche wahr wären. Und die Probleme gelöst zu haben würde heissen: Die Wahrheit gewisser dieser Sätze oder Gedanken definitiv gestellt zu haben, sodass also in dem ganzen Kontext von ursprünglichen Unklarheiten nun Ordnung herrscht. Da könnte man dann sagen, also ist vielleicht doch die Wahrheit der Gedanken ein Ergebnis der Lösung von Problemen, und insofern ein Verdienst (Wert dieser Arbeit). Wir müssen nur weiterhin im Auge behalten, dass wir nicht sicher sein können bezüglich der Bedeutung von 'Gedanke', das ist ja die Konsequenz, die wir soeben vom Schluss des TLP her gezogen haben. Aber diesen Zusammenhang von Wahrheit und Problemlösung müssen wir sowieso gleich wieder neu bewerten, wenn wir an den Anfang des Vorworts zurück blättern, wo es nämlich heisst:
Die Probleme, um die es sich handelt, waren offenbar gerade nicht von der Art, dass ihre Lösung darin bestünde, wahre Sätze als Antwort zu finden. Sondern das waren Fragen, die nur auf der Grundlage eines sehr tief gehenden Mißverständnisses überhaupt gestellt werden konnten, und ihre Lösung hat nicht in der Präsentation von (richtigen) Antworten bestanden, sondern in der Aufklärung des Mißverständnisses. Wir sahen uns mit Fragen konfrontiert -- den philosophischen Problemen --, aber in Wahrheit waren es gar keine Fragen, es waren Scheinfragen (dazu TLP 4.003). Die Lösung hat nicht in der Beanwortung der Fragen, sondern in ihrem Verschwinden bestanden. Das, diese letzte Beschreibung, ist auf jeden Fall zutreffend in dem Sinn, dass sie Wittgensteins Sicht der Dinge wiedergibt, das sagt er ja immer wieder so gut wie wörtlich. Und das passt auch zu dem, was er schließlich, am Ende des Vorwortes, als zweiten Wert seiner Arbeit deklariert: dass 'sie zeigt, wie wenig damit getan ist, daß die Probleme gelöst sind'. Nichts von dem, was aus sich heraus wert ist, getan zu werden, wurde getan; es ist nur ein falscher Schein zum Verschwinden gebracht worden, und man weiss nicht einmal genau, wer es war, oder wie viele es waren, die auf diesen falschen Schein jemals hereingefallen sind oder noch immer hereinfallen oder in Zukunft hereinfallen könnten. Vielleicht eh niemand. Aber es ist ein Wert, das schon. Dass wir uns da so schön im Einverständnis mit vielen Äußerungen Wittgensteins an den verschiedensten Stellen fühlen können, ist aber nur ein schwacher Trost angesichts der Tatsache, dass wir uns auf diese Weise ziemlich weit entfernen von einer konsistenten Deutung der Stelle, die wir gerade jetzt vor der Nase haben und interpretieren wollen. Wo soll bei einer solchen rein kritischen Leistung dieser dogmatische Anspruch herkommen: 'Dagegen scheint mir die Wahrheit der hier mitgeteilten Gedanken unantastbar und definitiv?' Was sollen wir da die 'Gedanken' nennen? Wie kann in einem Vorgang des bloßen Verschwindens positiv etwas zum Ausdruck kommen? Nun, diese Fragen werde ich nicht in ihrer Allgemeinheit verfolgen, ich mache nur drei kleine, hinweisartige Bemerkungen dazu, und dem letzten dieser Hinweise werde ich dann noch ein Stückchen weiter nachgehen. Also Bemerkung 1: Es gibt viele Leute, die an dem Punkt, wo wir jetzt sind, sich energisch für den `zweiten Wert' entscheiden, den `kritischen Wert', könnte man auch kurz sagen. Aufdeckung des Schein-Charakters der philosophischen Probleme, mit anschliessendem Verschwinden dieser Probleme -- und mit der begleitenden Einsicht, dass damit wenig getan ist. Das ist natürlich auch eine schöne Lesart -- sicher nicht die einzige! -- für das Triviale in der und an der Philosophie. Dahinterkommen, dass da eigentlich nichts war. Was wirklich da war, was nicht nur ein Schein war, bleibt wie es ist; und gerade in Hinblick auf das Vorwort darf man hinzu fügen: Was in diesem Sinn wirklich da war, schliesst natürlich auch ein, was wirklich zu tun gefordert war bzw. was Wittgenstein einmal 'unsere Lebensprobleme' nennt. (In dieser Hinsicht ändert sich Wittgensteins kritische Haltung überhaupt nicht im Laufe seines Lebens). Es gibt ein Wort, das zumindest symbolisch andeutet, worin diese kritische Arbeit besteht. Das ist das Wort 'Erläutern'. ('Meine Sätze erläutern...': 6.54). Statt: Gedanken ausdrücken, die definitiv wahr sind. Es ist eine gute Idee, über diese Sache mit der Erläuterung nachzudenken, das ist enorm wichtig (Hinweise zu Kant und Frege). Aber es steht ausser Frage, dass es zunächst einmal dem `ersten Wert' widerspricht; und vor allem: So lange nicht gründlicher darüber nachgedacht worden ist, was das Wort 'Gedanke' nun in dem Kontext mit der 'definitiven Wahrheit' eigentlich verloren hat und bedeutet -- so lange kann ich nicht mein Geld auf eine TLP-Interpretation setzen, die nur auf den Begriff der Erläuterung baut. Bemerkung 2: Gerade, wenn man von diesem Begriff der Erläuterung erwartet, dass er Wittgensteins eigene Einschätzung von Besonderheit und Wert seiner Arbeit verständlich machen kann, gerade dann ist es wichtig, ihn im Verhältnis zu allen anderen Begriffen und Konzeptionen zu sehen, mit denen er im TLP auf seine Arbeit reflektiert. Und die wichtigste derartige Konzeption ist auf jeden Fall die Idee von der Grenze des Denkens, die nur in der Sprache gezogen werden kann. (LIES ev. Vorwort). Es ist sehr wichtig, dass man die absolut zentrale Stellung dieser Idee erkennt: Das ist nämlich ganz konkret die Methode, mit der die Aufdeckung jener tiefen Mißverständnisse gelingen soll, auf denen die philosophischen Probleme beruhen. Also da sagt er etwas über sein wirkliches Instrument. Die philosophischen Probleme waren oder sind in Wirklichkeit gar keine Fragen, die mit sinnvollen Sätzen beanwortet werden können, sie zielen gar nicht auf Gedanken, die wahr oder falsch sind. Es handelt sich um Unsinn. Wenn es aber darum geht, Sinn und Unsinn voneinander zu trennen (dh natürlich: ein allgemeines Verfahren oder ein Prinzip ihrer Unterscheidung anzugeben), dann, so meint Wittgenstein, kann das nicht so gehen, dass man sie gewissermassen miteinander vergleicht oder eine gewisse Grenze angibt, auf deren einer Seite die `echten' Gedanken stehen, und auf der anderen der Unsinn. Das geht deshalb nicht, weil den Unsinn, das Undenkbare, in eine solche Beziehung zum Denken zu bringen, ihn schon einbezieht in die Struktur des Denkens, ihm schon wieder den Anschein des Denkbaren gibt. Dieses Herstellen von Beziehungen ist das Denken. Und deshalb ist für ihn die Idee entscheidend, absolut fundamental, von jener Grenze, die nur in der Sprache gezogen werden kann. In den Sätzen 4.113 bis 4.116 des TLP wird das noch einmal ganz klar gesagt und als Aufgabe der Philosophie bestimmt: 'Sie soll das Denkbare abgrenzen und damit das Undenkbare. Sie soll das Undenkbare von innen durch das Denkbare begrenzen. Sie wird das Unsagbare bedeuten, indem sie das Sagbare klar darstellt.' Wichtig: Der letzte Satz wiederholt nicht in anderen Worten, was vorher gesagt wurde, sondern er zieht die entscheidende Konsequenz daraus. Man kann nicht denken, was sich nicht denken lässt, und daher kann man sich nicht hinstellen und zwischen dem Denkbaren und dem Undenkbaren, dem Sinnvollen und dem Unsinnigen, eine Linie ziehen. Die Grenze kann nur `von Innen', von innerhalb des Denkbaren, gezogen werden. Aber wenn ich immer innen bleibe, dann hat es keinen Sinn davon zu sprechen, wovon mich die Grenze trennt -- sofern ich überhaupt eine Erfahrung der Grenze als Grenze machen kann. Das kann ich gar nicht. Diese Erfahrung kann nur deshalb gemacht werden, weil der Gedanke in einem sinnvollen Satz seinen Ausdruck findet, in der Sprache. In der Sprache nämlich gibt es sehr wohl auch noch Gebilde, die keine Gedanken ausdrücken -- alle möglichen Arten von sinn- und bedeutungslosen Zeichenfolgen. In der Sprache kann man einen Gegensatz bilden, den man für das Denken als solches nicht bilden kann, und deshalb kann man diese Grenze in der Sprache und nur in der Sprache ziehen. Sie sehen natürlich von selbst, dass der entscheidende Punkt hinter dieser Sache mit der Grenze, die nur in der Sprache gezogen werden kann, der ist, dass die Sprache ein jeweils konkretes Zeichensystem mit seinen eigenen Regeln ist. 3.1: 'Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus'. Weil diese sinnlich wahrnehmbaren Zeichen auf die verschiedensten Weisen verbunden werden können, und keineswegs jede dieser Verbindungsweisen einen Gedanken ausdrückt, so kann man hier eine solche Grenze ziehen. Und natürlich wird sie gezogen werden, indem man auf eine allgemeine Weise die Frage beantwortet, was ein sinnvoller Satz ist. Und das wissen Sie ja, dass Wittgenstein diese Antwort wirklich gibt im TLP, er gibt die allgemeine Form des sinnvollen Satzes an. Und ein sprachliches Gebilde, das dieser Form nicht entspricht, ist unsinnig oder sinnlos. Das heisst: Das Sagbare kar darstellen. Und wenn hier, in dieser Aussage, der Begriff 'Unsinn' vorkommt, dann braucht man sich nicht davor fürchten, dass man ihn, nur weil man davon redet, schon wieder `salonfähig' gemacht hat, sondern man kann genau zeigen, was man meint, indem man unsinnige oder sinnlose Zeichenfolgen mit sinnvollen Sätzen vergleicht -- und natürlich auch zeigt, wo und wie sie voneinander prinzipiell abweichen. Also das ist im Grund eine recht einfache Sache, aber das muss man dafür auch unbedingt verstanden haben, um überhaupt einen Zugang zu finden zu dem ganzen Buch: dass an diesem Punkt ein nicht relativierbarer Anspruch erhoben wird, eine Sache vollständig klar gemacht zu haben: Was die allgemeine Form eines sinnvollen Satzes -- und daher auch eines Gedankens -- ist; und dass alles, was davon abweicht, eben kein Gedanke ist. Und hier haben wir natürlich schon etwas in der Hand, wo man sagen kann: Aha, das muss er im Sinn gehabt haben, als er schrieb, ein Wert seiner Arbeit bestünde darin, dass in ihr Gedanken ausgedrückt sind. Es ist schon klar, dass da noch Probleme bestehen, sowohl für Wittgenstein immanent, wie auch für die Interpretation. Es hat keinen Sinn, dass ich da jetzt etwas Verbindliches zu sagen versuche, ich mache nur gleichsam in Fussnote zwei Mini-Andeutungen. Eine wirklich schwierige Aufgabe für die Interpretation besteht darin, dass einerseits die enorme Bedeutung der Unterscheidung von Gedanken (Denken) und Sprache als Ausdruck der Gedanken völlig ausser Frage steht, Wittgenstein aber anderseits den hier entscheidenden Begriff des Ausdrucks extrem schwer zu fassen macht, indem er sowohl sagt: Der sinnvolle Satz ist der sinnliche Ausdruck des Gedankens, ok; wie auch: Der Gedanke ist der sinnvolle Satz. Das ist ein Interpretationsproblem, das man durch Nachdenken über diese, von mir beschriebene Konstellation gar nicht lösen kann, sondern nur in dem viel weiteren Rahmen einer Reflexion darauf, was Wittgenstein überhaupt unter Ausdruck versteht im TLP, und letztlich also einer Reflexion der im TLP impliziten Symboltheorie. Eine ganz andere Geschichte ist das Folgende: Also es kann zB jemand kommen und sagen: Na was ist jetzt mit den Sätzen des TLP, in denen diese allgemeine Form des sinnvollen Satzes beschrieben wird? Sind das nun selbst sinnvolle Sätze oder nicht? Doch eher nicht, denn sie können ja gar nicht falsch sein -- lautet dann oft der Verdacht. Meine Auffassung an diesem Punkt ist, dass es keinen Sinn hat, von so einer Überlegung aus jetzt irgendwelche subtilen Unterscheidungen von verschiedenen Arten von instruktivem oder nicht instruktivem Unsinn zu machen oder so; aber ich bin auch nicht der Auffassung, dass man sie deshalb `einfach als Unsinn' qualifizieren sollte. Also dass man die Sache damit erledigt, dass man sagt: Unsinn ist Unsinn, basta. Sondern man muss diese Sätze von dem her sehen, was sie klar machen, was sie zum Ausdruck bringen, auf welche Weise immer; und das ist unumstösslich, dass sie etwas ganz Bestimmtes in aller wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck bringen: Nämlich welche Form ein Gedanke im Allgemeinen hat, im Unterschied zu Unsinn. Und ein sehr wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass Wittgenstein sich in gewissen Kontexten bemüht zu zeigen, dass das, was zB in logischen Sätzen zum Audruck kommt, auch in einer Darstellungsweise zum Ausdruck gebracht werden kann, die nicht propositional ist, sondern operational. Das ist ein wichtiger Punkt in seiner Auffassung über Verwandtschaft und Unterschied mathematischer und logischer Sätze. Aber auch das war nur eine Andeutung. Worauf es mir wirklich ankommt ist, dass man von diesem Motiv der `Grenze in der Sprache' ('das Sagbare klar darstellen') aus doch eine Verbindung herstellen kann zwischen dem zweiten Wert, dem kritischen Wert, und der dogmatischen Behauptung: in dieser Arbeit sind Gedanken ausgedrückt. Bemerkung 3: Meine dritte Bemerkung ist zunächst nichts anderes als die Erinnerung, dass aber doch diese ganze Idee mit der Aufdeckung der Scheinprobleme, die auf einem Mißverständnis der Sprachlogik beruhen, keineswegs so etwas umwerfend Neues ist im TLP. Zwar hat der Ausdruck 'Analytische Philosophie' um 1920 noch keine feste Bedeutung als Bezeichnung einer bestimmten Denk- oder Schultradition gehabt, wie etwa seit den fünfziger Jahren bis heute, aber je auf ihre Weise haben die bahnbrechenden Arbeiten von Frege und Russell genau diesen Punkt angezielt: Dass Mißverständnisse, die die Logik unserer Sprache betreffen, in systematischer Weise Scheinprobleme auslösen können, oder bestimmte verkehrte Auffassungen sachlicher Probleme nahelegen. Der Typ von Mißverständnis, den Frege und Russell da im Auge haben, besteht nicht einfach darin, dass wir falsche Theorien über die Logik der Sprache hätten, sondern darin, dass die Sprache als solche uns diese Vorurteile gleichsam entgegenbringt. Dass, kurz gesagt, diese Mißverständnisse gleichsam in der Sprache selbst stecken, und zwar auf die Art einer Inkongruenz von grammatischer und logischer Form der Sprache. Und daher nimmt die Beseitungung solcher Mißverständnisse die Gestalt einer Analyse der Sprache an: Hinter der grammatischen Form die logische Form sichtbar werden zu lassen. Die einfachsten Beispiele wären die versteckte Komplexität von Allsätzen oder der Schein, dass eine Beschreibung, der der bestimmte Artikel vorangestellt ist, selbständig einen bestimmten einzelnen Gegenstand benennt. Zwischen Frege und Russell gibt es allerdings signifikante Unterschiede in der Einstellung, in der Politik der Analyse gewissermassen. Frege denkt etwas mehr konstruktiv, ergänzend: Wenn es eine irreduzible Zweideutigkeit gibt in der Sprache, dann erfindet er zur Not auch einmal eine zusätzliche Entität, um die Eindeutigkeit wieder herzustellen -- wie etwa in der berühmten Verdoppelung des Bedeutungsbegriffes selbst, oder wenn er `das Wahre' und `das Falsche' als die Gegenstände festsetzt, die als Bedeutung von Sätzen in Frage kommen. Also er hat eine Vorstellung von der logischen Struktur, und er versucht durch Ergänzungen und Tilgungen in der Sprache diese der logischen Struktur sozusagen aktiv anzugleichen. Das ergibt natürlich insbesondere dort Sinn, wo es statt um unsere gewöhnliche Sprache um die Sprache einer Wissenschaft geht. Bei Russell ist das ein bisschen anders, obwohl ja auch für ihn die Logik der mathematischen Sprache ein wesentliches Ziel der Analyse ist. Russell geht zumindest in einigen ganz wesentlichen Zusammenhängen eher so vor: Wenn die Sprache, von ihrer Grammatik her, eine gewisse logische Struktur suggeriert, und wir stellen aber fest, dass das prinzipiell in Schwierigkeiten führt, dann ist die Strategie Russell's die, nach einer alternativen logischen Struktur zu suchen, die auch mit der Sprache verträglich ist, aber diese Probleme vermeidet. (Beispiel: On Denoting, und die Frage: wie kommt man mit dem Problem des fehlenden Referenten für einen Subjekt-Ausdruck zurecht). Ich glaube, man kann ganz gut sehen, dass auf diese Einstellung das Wort 'analytisch' noch besser passt als auf die Freges. Wir haben den Satz, zB: Der Bruder von Richard Heinrich ist blond. Die sprachliche Form suggeriert eine gewisse Logik: 'Der Bruder von Richard Heinrich', als grammatisches Subjekt, referiert wie ein Name auf ein Individuum. Aber es kommt ein prinzipielles Problem auf, wenn wir uns fragen: Wenn ich keinen Bruder habe, ist der Satz dann wahr oder falsch? Und was ist dann mit seiner Verneinung? Und Russell löst das, indem er dem Satz eine völlig andere logische Struktur zuweist, in der 'Der Bruder von Richard Heinrich' eben nicht das logische Subjekt, das Argument, ist. Die Sprache kann uns bezüglich der logischen Form ein Missverständnis nahe legen, und durch Analyse können wir es beseitigen. Aber wenn wir den Satz bisher immer problemlos verstanden haben, dann haben wir ihn, auch wenn uns das nicht bewusst war, immer von dieser richtigen logischen Struktur her verstanden. Dieser Unterschied zwischen Freges und Russells `analytischem Stil', möchte ich sagen, ist für Wittgenstein sehr wichtig, ich meine: Russell ist an diesem Punkt ein nicht wegzudenkender Einfluss. Aber was beim frühen Wittgensteins wirklich charakteristisch ist für seine Auffassung von Analyse, das kann nicht einfach als Fortsetzung dieser Strategie Russells verstanden werden. Es ist eine Idee, die irgendwie sowohl bei Frege, wie auch bei Russell schon da ist, der er aber einen völlig neuen Stellenwert verleiht. 2.Und zwar ist das der an sich recht simple Gedanke, dass der Leitfaden zur Klärung der logischen Form eines sinnvollen Satzes die Situation ist, in der wir die Wahrheit des Satzes feststellen -- oder feststellen würden. Und zwar wirklich die Wahrheit dieses Satzes im Unterschied zu allen anderen Sätzen. Dasjenige, von dem wir schliesslich (vielleicht hat es ja lang gedauert) herausgefunden haben, dass es den Ausschlag gibt für die Wahrheit des Satzes -- das ist es, was nach Wittgensteins Auffassung die logische Struktur des Satzes prägt und ausmacht. Lassen Sie mich, bevor ich das nach seinem Inhalt und ein paar Konsequenzen ein wenig erläutere, zwei Vorbemerkungen machen, das erste ist nur Terminologie: Es ist ja mühsam und dem Zuhören nicht förderlich, immer zu sagen: Dasjenige, was den Ausschlag gibt... Dafür nehmen wir, so wie auch Wittgenstein selbst, ein einfaches Wort in Gebrauch, das Wort 'Wahrheitsbedingungen'. Und das andere ist nur sichheitshalber ein Hinweis, vor jeder wirklichen Diskussion, warum das keine sachfremde oder hanebüchene Auffassung ist, dass die Wahrheitsbedingungen so entscheidend sind für die logische Form: Nämlich wenn man das Verhalten des Satzes in weiteren Kontexten, vor allem natürlich in schluss- oder folgerungsartigen Kontexten, untersucht, dann sind es ja seine Wahrheitsbedingungen im Verhältnis zu den Wahrheitsbedingungen anderer Sätze das, worauf es ankommt. Inwiefern sich die Wahrheitsbedingungen von verschiedenen Sätzen überlappen oder ausschliessen oder so, das ist ja entscheidend für ihre logischen Beziehungen. Wichtig an dieser Idee ist, dass sie den Unterschied von sprachlicher und logischer Form scharf hervortreten lässt. Denn wenn für die logische Form nur die Wahrheitsbedingungen relevant sind, dann ist sofort einsichtig, dass umgekehrt die grammatische Form und überhaupt die Sprache, in der der Satz zunächst vorgelegt wurde, keine Rolle spielt. Und das deckt sich mit unseren gewöhnlichen Intuitionen -- dass es letztlich egal ist, ob ich's auf deutsch sag' oder auf englisch oder auf steirisch. Wenn's wahr ist, dann ist es auch auf steirisch wahr. Aber es ist dieser Satz, dessen Wahrheitsbedingungen ich angebe, er ist wahr, wenn ... Ich darf ihn sozusagen nicht verloren haben auf der Suche nach seinen Wahrheitsbedingungen. Es muss etwas gewesen sein, was ich aus diesem Satz heraus gelesen oder gehört habe, was mich diese Wahrheitsbedingungen hat finden lassen. Wenn nicht, dann wären sie ja die Wahrheitsbedingungen eines anderen Satzes. Natürlich kann es auch passieren, dass ich die Wahrheitsbedingungen nicht eindeutig angeben kann -- dann konnte ich dem Satz eben keine spezifische logische Form zuordnen, und dann hat er letztlich keine Identität als sinnvoller Satz. (Das heisst nicht, dass er gar keinen Nutzen mehr hat, keineswegs; er kann trotzdem noch wichtig sein in der Kommunikation oder für sonst alle möglichen Zwecke.) Und jetzt kommt der springende Punkt, und eigentlich ist das nicht ein zusätzlicher Gedanke, sondern nur eine Sache des Akzents. Wittgenstein sagt nämlich: Jedes sprachliche Gebilde, wie immer es beschaffen sein mag, das diese bestimmten Wahrheitsbedingungen indiziert oder zum Ausdruck bringt -- noch einmal: wie immer es das tut --, jedes solche Gebilde ist derselbe Satz (der logischen Struktur nach, natürlich; ausschauen kann ein und derselbe Satz nach dieser Auffassung ja ganz verschieden). Als nächstes muss ich jetzt natürlich etwas über die Beziehungen zwischen einem Satz und seinen Wahrheitsbedingungen sagen, aber schon davor kann ich, zwischendurch, eine Bemerkung machen zu einer Interpretationsfrage, die für viele Leute ein grosses Problem darstellt, und wo es um etwas generell sehr Wichtiges geht. In 5.5563 schreibt Wittgenstein: 'Alle Sätze unserer Umgangssprache sind tatsächlich, so wie sie sind, logisch vollkommen geordnet.' Anderseits schreibt er in 4.002: 'Die Umgangssprache ist ein Teil des menschlichen Organismus und nicht weniger kompliziert als dieser.- Es ist menschenunmöglich, die Sprachlogik aus ihr unmittelbar zu entnehmen.- Die Sprache verkleidet den Gedanken. Und zwar so, daß man nach der äußern Form des Kleides, nicht auf die Form des bekleideten Gedankens schließen kann ...'. Es ist nachfühlbar, wenn jemand hier einen Widerspruch sieht. Was soll 'logisch vollkommen geordnet' heissen, wenn doch zugleich die Form des Gedankens gerade verborgen wird? Aber jener Gedanke Wittgensteins, den ich zuletzt skizziert habe, erlaubt es tatsächlich diese zwei Äußerungen als nicht widersprüchlich neben einander stehen zu lassen. Jedes Verfahren, bestimmte Wahrheitsbedingungen zum Ausdruck zu bringen, ist derselbe Satz, ist dieselbe logische Form; und natürlich können diese verschiedenen Ausdrucksformen desselben Satzes vor allem in ihrer Kompliziertheit, in ihrer Umwegigkeit enorm variieren. Manchmal, in einem guten Symbolismus, lässt die Form des Kleides die Form des Gedankens sehen; manchmal gibt sie gar keine oder nur irreführende Hinweise; aber wenn es möglich ist, von dieser Ausdrucksform zu den Wahrheitsbedingungen zu finden, dann ist sie logisch genau so gut geordnet wie der optimale Symbolismus. Wo man hier allerdings aufpassen muss, bei diesem Zitat, das ist die Aussage über die Sprachlogik, und dass es menschenunmöglich ist, sie unmittelbar aus der Umgangssprache zu entnehmen. Da geht es um etwas anderes als die Frage, wie man einem Satz seine Wahrheitsbedingungen entnimmt. Sie sehen gleich und ohne Schwierigkeiten, dass das eine wichtige Frage ist in Hinblick auf die Konzeption von Analyse, wie sich diese beiden Dinge zu einander verhalten. Wie immer sie differieren, diese Aufgaben, jede muss als eine Aufgabe der Analyse verstanden werden. Also wenn da ein sprachliches Gebilde ist, von dem wir annehmen, es ist ein Satz, dann gibt es zuerst zwei Möglichkeiten: Entweder der Sinn ist sofort klar, dh der Satz bringt seine Wahrheitsbedingungen unmittelbar zum Ausdruck. Es gibt kein gutes Beispiel, jedes Beispiel ist hier schlecht, aber sagen wir behelfsmässig so etwas wie: 'Wien liegt an der Donau'. Es ist kein Beispiel, es ist eine Vorstellungshilfe. Oder, das ist die andere Möglichkeit, die Wahrheitsbedingungen sind noch nicht offenbar, aber wir haben auch keinen Grund zu prinzipiellem Mißtrauen. Was geschieht in dieser Situation? Was immer geschieht, es wird der erste Schritt der Analyse (in jener ersten Bedeutung) sein. Und Wittgensteins Botschaft ist schon im TLP (da freilich nicht ausgesprochen) völlig klar, und das muss man bei aller scheinbaren Belanglosigkeit und Trivialität als eine enorm wichtige Botschaft erkennen: In dieser Situation werden zunächst einmal weitere Sätze ins Spiel gebracht. Da ist ein Satz, dessen Sinn ist nicht klar. Und das, was konkret getan wird, um ihn zu klären, ist, dass man andere Sätze präsentiert. Natürlich nicht irgendwelche anderen Sätze, sondern solche, die auf eine gesetzmäßige Weise von dem Satz selbst als seine `Erklärer-Sätze' nahegelegt werden. Einer sagt was, der Andere sagt: Versteh' ich nicht. Der erste: Was verstehst Du nicht? Aha, das. Na das, das ist ein... Lauter Sätze. Und wenn jetzt nach der Äußerung dieser anderen Sätze die Wahrheitsbedingungen des ersten Satzes klar liegen, dann war das die Analyse. Und man kann das so ausdrücken, dass man sagt (das ist jetzt schon so ziemlich das Idiom Wittgensteins): Der Sinn des ersten Satzes hängt auf diese und jene Weise vom Sinn jener anderen Sätze ab. Wenn der Sinn des ersten Satzes noch nicht klar wird durch jene anderen Sätze, dann kann das nur daran liegen, dass deren eigene Wahrheitsbedingungen nicht offenkundig sind, und dann geht die Analyse weiter. Sie geht so lange weiter, bis ein set von Sätzen gefunden ist, deren Sinn klar ist, und in Abhängigkeit von deren Sinn ist dann auch der Sinn des ersten Satzes klar. Und mit Bezug auf diesen ganz banalen Sinn von Analyse kann man dann die letzten dieser Sätze, die erfolgreichen Sätze, wenn Sie wollen, die Elementarsätze nennen. Elementarsätze sind von dieser Überlegung her nichts anderes als Sätze, die ihren Sinn von selbst offenkundig machen. Wo man keine weiteren Sätze braucht, um ihn zu erklären. Dazu gibt es zwei Dinge zu bemerken. Das erste ist, dass wenn hier von Klärung durch eine Analyse die Rede ist, das nicht bedeuten muss, dass ursprünglich ein Mißverständnis vorgelegen hat (von der Art der Mißverständnisse, die den philosophischen Problemen zugrunde liegen); dass es sozusagen nicht möglich wäre, einen Satz verstanden zu haben, wenn man nicht so eine Analyse angeben kann. Es mag hinreichende externe Gründe gegeben haben, dem Satz zu vertrauen, dh die Möglichkeit einer solchen Analyse angenommen zu haben. Das gehört in die Perspektive, dass die Verkleidung der Gedanken durch die Sprache nicht in Widerspruch damit steht, dass sie logisch vollkommen geordnet ist. Das zweite ist aber natürlich die Frage, die weiter führt: Wie soll man sich denn das nun vorstellen, diese Gesetzmäßigkeit, nach der die erklärenden Sätze mit dem ursprünglichen Satz verbunden sind? Was ist die allgemeine Form oder das allgemeine Gesetz, das ausgerechnet diese Menge von weiteren Sätzen zu denen macht, die den ursprünglichen `analysieren'? An diesem Punkt kommen die wirklich starken und charakteristischen (und natürlich auch kontroversen) Annahmen Wittgensteins. Er war nämlich der Auffassung, dass es nur einen einzigen Typus von Abhängigkeit gibt, der die sinnklärenden Sätze mit dem ursprünglichen Satz verbinden kann, und das ist die wahrheitsfunktionale Beziehung. Nur sofern er eine Wahrheitsfunktion anderer Sätze ist, kann der Sinn eines Satzes von jenen anderen Sätzen abhängen. Was ist eine Wahrheitsfunktion? In vielen Logik-Lehrbüchern wird das intuitiv erklärt mithilfe des Begriffes der Zusammensetzung: Der Satz 'Ich bin groß und ich bin stark' ist eine Wahrheitsfunktion der zwei Sätze 'Ich bin groß' und 'Ich bin stark', und zwar geht es darum, dass er selbst genau dann wahr ist, wenn die anderen beiden je für sich wahr sind. Seine Wahrheit hängt von nichts anderem ab, als von der Wahrheit der beiden anderen, aus denen er zusammengesetzt ist. Diesen letzten Satz könnte man auch für Wittgenstein gelten lassen, ausser der Sache mit der Zusammensetzung. Das ist für ihn völlig unerheblich und eher irreführend (vor allem auch die Bezeichnung des 'und' hier als `Junktor'). Es gibt natürlich auch noch andere Wahrheitsfunktionen dieser selben zwei Sätze, dh ein Satz kann auch noch auf andere Weise von ihrer Wahrheit oder Falschheit abhängen, zB: 'Ich bin weder gross noch bin ich stark'. Auch das hängt nur von der Wahr- oder Falschheit jener zwei einzelnen Sätze ab, aber auf eine andere Weise. Ein entscheidener Punkt ist, dass alle Wahrheitsfunktionen einer beliebigen Anzahl von Elementarsätzen ein vollständiges System bilden, das heisst, dass man die Form der Wahrheitsfunktion allgemein angeben kann. Man kann nicht sozusagen noch eine Wahrheitsfunktion dazu erfinden zu denen, die es gibt. Das ergibt sich aus einfachen kombinatorischen Überlegungen. Und es ist auch nachvollziehbar, dass Wittgenstein in dem Satz 6, wo er die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion angibt, dann dazu sagt: 'Dies ist die allgemeine Form des Satzes'. Jeder Satz hat diese logische Form, denn wenn er nicht selbst ein Elementarsatz ist, dann wird seine logische Form durch weitere Sätze -- und letztlich Elementarsätze -- offenbar, und seine Form ist nichts anderes, als die Art und Weise, wie er von denen abhängt. Wittgenstein legt nicht nur grossen Wert darauf, dass Sätze nicht aus den anderen Sätzen zusammengesetzt sind, die in ihrer Analyse auftauchen, sondern dass diese Beziehung überhaupt keine 'materielle' Beziehung ist. 5.44: 'Die Wahrheitsfunktionen sind keine materiellen Funktionen'. Was er damit meint ist, dass gewissermassen der Analyseweg im Resultat der Analyse verschwindet. Sein Beispiel: Doppelte Verneinung. Die Zwischenglieder oder Zwischenstadien der Analyse sind unwesentlich in dem Moment, wo die Wahrheitsbedingungen offen liegen. In dem Moment, wo ich sehe, welche Verteilung von Wahrheit und Falschheit in den Elementarsätzen meinen Satz wahr macht, brauche ich überhaupt keine andere Ausdrucksweise mehr für das, was ich behaupten will, ich müsste nur diese Verteilung aufschreiben (das ist ein bisschen verkürzt aufs Wesentliche). Insofern könnte man auch sagen, dass jeder Satz die folgende szenarische Form hat: Man zeigt so eine Verteilung her, und sagt: Das behaupte ich. An dieser Stelle können Sie eine strukturelle Parallele sehen zwischen den beiden Ebenen der Analyse: Klärung des Sinnes eines Satzes einerseits, Klärung der Logik der Sprache im Allgemeinen auf der anderen Seite. In beiden Fällen handelt es sich ganz wesentlich darum, dass etwas sichtbar werden soll: Einmal ist das der Sinn eines Satzes, der nicht von Anfang an offenkundig war; das andere Mal ist es die allgemeine Form des Satzes als solche, über die wir uns, verleitet durch die oberflächlichen Formen der Sprache, falsche Vorstellungen gemacht haben (die Idee logischer Konstanten etc hat uns da irre geführt); und in beiden Fällen ist es wesentlich zu erkennen, dass wenn diese Sichtbarkeit einmal erreicht ist, die Zwischenstufen als unwesentlich und irreführend verschwinden. Wenn der Sinn des Satzes klar ist, ist jede -- auch die ursprüngliche -- Ausdrucksform des Satzes unwesentlich; so wie man jene Sätze, mit denen Wittgenstein seine Auffassung von der Wahrheitsfunktion und vom Wesen des Satzes erklärt, wie eine Leiter wegwerfen muss. Es gibt zwei Fragen, die stellen sich bei dieser Konzeption mit solcher Aufdringlichkeit, dass ich sie doch noch kurz ansprechen muss, bevor ich zu einem salbungsvollen Schlusswort ansetze. Das eine ist die Frage, wie denn nun eigentlich jene Elementarsätze ihre Wahrheitsbedingungen erkennen lassen; sie sind ja die einzigen Sätze, bei denen die Sache mit der Wahrheitsfunktion nicht befriedigend sein kann, weil ihr Sinn per definitionem nicht von einem anderen Satz abhängt. Sie zeigen ihre Wahrheitsbedingungen sozusagen direkt und unmittelbar auf: Das, diese Unmittelbarkeit, die keines Kommentars bedarf, ist der Grund, warum Wittgenstein sie als Bilder verstanden hat. Es ist klar, dass hier auch ein ganz neuer Erklärungsbedarf entsteht, in dieser Bildtheorie, aber da kann ich nichts mehr dazu sagen. Die einzige Botschaft, die ich Ihnen dazu indirekt übermittelt habe ist, dass man diese Bildtheorie zumindest auch als ein mehr oder weniger notwendiges oder plausibles Komplement der Theorie der Wahrheitsfunktion verstehen muss. Der andere Punkt ist, dass eigentlich die Frage noch immer nicht ganz beantwortet ist, wie die Analyse so eines gewöhnlichen Satzes funktioniert. Wir haben bisher zwei Elemente einer Antwort: Das erste ist sozusagen die Parole: Sätze erklären Sätze, und irgendwo endet das bei Sätzen, die von selbst ihre Wahrheitsbedingungen offen legen. Das andere ist das allgemeine Gesetz der Beziehungen zwischen diesen `Sätzen und Sätzen', die wahrheitsfunktionale Abhängigkeit. Wovon wir noch keine Vorstellung haben ist, wie dieses allgemeine Gesetz zur Anwendung kommt. Da ist der Grundgedanke Wittgensteins folgender: Einen Elementarsatz kann man nicht nur pragmatisch charakterisieren, nämlich als den Satz, wo das Erklären aufhört, sondern auch gewissermassen strukturell. Elementarsätze bestehen nur aus einfachen Zeichen, sie sind nichts anderes, als die Verbindung von einfachen Zeichen. Einfach heisst: steht für einen bestimmten Gegenstand und alles andere ist egal; ist nicht weiter zerlegbar. So wie im Bild der gemalte Kahlenberg für den echten Kahlenberg steht, von mir aus. Jeder Satz, der nur aus einfachen Zeichen besteht, ist ein Elementarsatz. Umgekehrt: Jeder Satz, der ein nicht-einfaches Zeichen enthält, ist kein Elementarsatz. Ein nicht-einfaches Zeichen ist ein Zeichen eines Komplexes. Und da ist Wittgensteins charakteristische These, dass die Auflösung eines nicht-einfachen Zeichens in einfache Zeichen nicht nach irgendeinem Paradigma von Zeichen-Zerlegung funktioniert, sondern indem der Komplex durch Sätze beschrieben wird. Das ist der eigentliche konkrete Vorgang: Wir haben einen Satz, und in dem kommt etwas vor, was zwar wie ein Name eines Gegenstandes ausschaut, aber in Wirklichkeit ist das kein einfacher Gegenstand, sondern ein komplexer Sachverhalt, und daher ist auch das Zeichen kein einfaches Zeichen (hier sollte man ein bisschen den Einfluss Russell's durchhören, übrigens). Und daher muss man den scheinbaren Namen durch eine Beschreibung des Sachverhaltes ersetzen. Diese Beschreibung besteht aus Sätzen, und die werden nun ihrerseits darauf überprüft, ob sie aus lauter einfachen Zeichen bestehen oder nicht. Und so weiter. Und das Gerüst dieser Sätze, die man da erhält, das ist der Analyseweg, und auf diesem Weg bestehen nur wahrheitsfunktionale Abhängigkeiten. Wenn die Analyse an einem Ende angelangt sein sollte, sind diese ganzen Schein-Gegenstände verschwunden, die in Wahrheit komplexe Sachverhalte waren. Über bleiben Sätze, die nur aus einfachen Zeichen bestehen, die einfache Gegenstände bezeichnen: 2.02: 'Der Gegenstand ist einfach'. 3.Schauen wir jetzt zurück auf unsere zwei Absätze aus dem Vorwort, und erinnern wir uns an die Spannung zwischen den zwei Werten, die er seiner Arbeit gerne zuerkennen möchte: dem kritischem Wert, der im Beseitigen von Missverständnissen besteht (womit `wenig getan ist') , und dem (gleichsam) dogmatischen Wert, der darin besteht, bestimmte Gedanken, deren Wahrheit definitiv ist, ausgedrückt zu haben. Wenn man die Spannung rein auf dieser Ebene durchzudenken und zu verstehen versucht, auf dieser Ebene der methodischen Selbstreflexion, dann kann man sehr leicht in verwirrende und ausweglose Aporien oder ins blosse Blabla geraten. Ich habe Ihnen stattdessen zu zeigen versucht, dass auf der Sachebene selbst, also der Ebene der definitiv wahren Gedanken, sich eine exakt parallele Konstellation findet: Die Klärung des Sinnes eines Satzes, den wir nicht unmittelbar verstanden haben, nimmt sich schliesslich als dieser bestimmte Weg genau so vor ihrem Resultat zurück, verschwindet vor ihm genau so, wie Wittgensteins theoretisch-kritischer Aufwand verschwindet (Wegwerfen der Leiter) vor der Einsicht in das Wesen des Satzes. So wie wir, wenn wir den Satz verstehen, letztlich sehen, was für seine Wahrheit ausschlaggebend ist, so sehen wir, wenn wir Wittgenstein gefolgt sind, und uns von der besonderen Darstellungsweise seiner Sätze unabhängig gemacht haben, die Welt richtig. Ich habe schon einmal gesagt: Diese Konzeption von philosophischer Analyse legt einen bestimmten Sinn des Trivialen nahe, nämlich dass es nur darum geht, dahinter zu kommen, dass da eigentlich nichts Besonderes war. Ein anderer Sinn des Trivialen wäre: Das Ganze hat sich nicht ausgezahlt. Aber das würde bedeuten, dass Wittgensteins Arbeit keinen Wert hatte, und das stimmt nicht. Aber natürlich, wenn man wie ich an einer europäischen Universtität Philosophie unterrichtet, dann darf man einen dritten Sinn des Trivialen nicht unerwähnt lassen: Die Zusammengehörigkeit von Grammatik, Logik und Rhetorik im Trivium der freien Künste. Und tatsächlich ist Wittgensteins TLP in seiner Trivialität vollständig und komplett gerade insofern, als er das Verhältnis von logischer und grammatischer Form, das sein Konzept von Analyse bestimmt, auf der Ebene einer Selbstreflexion sozusagen noch einmal rhetorisch, gleichsam in vergrössernden sprachlichen Bildern, verdoppelt hat. Diese Konstellation von Logik, Grammatik und Rhetorik ist aus aller seiner späteren Philosophie, von der Mitte der zwanziger Jahre an, verschwunden. |