Richard HEINRICH

SPRACHE DER VERFÜHRUNG. Gorgias über den Fall der Helena

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FUSSNOTEN

 

1 Vgl. MacDowell, 9

2 Zur Echtheit vgl Blass, S.75: ‘Gegen die Echtheit der gorgianischen Helena sind irgend haltbare Argumente nicht weiter erbracht worden.’

3 Rhetorica, 1358a36ff

4 Das "Verfahren" ist schon Ilias 3, 160ff. im Gange

5 Natürlich ist diese Zweideutigkeit immer Gegenstand der Auseinandersetzung gewesen. Die Frage der Ernsthaftigkeit der Argumentation hängt damit zusammen, die Einschätzung des Gorgias als eigentlicher Schöpfer der "Kunstprosa" etc. Zur Frage der Ernsthaftigkeit markieren etwa Blass und Gomperz (bes. S.12: "rein scherzhaft") einerseits und Untersteiner (S.172: "La difesa di Elena, nota secondo la tradizione col titolo impreciso di Encomio di Elena...") auf der andern Seite extreme Gegenpositionen. Es gibt auch Kompromiss-Versuche: etwa die Aufassung der ersten zwei Absätze als lobend, des Restes als apologetisch. Vgl. dazu Donadi, S.7

6 Gorgias sagt nicht, daß jeder Fall von Verführung aus einer verührerischen Kraft der Rede zu erklären sei; er sagt es nicht einmal von dem einen Fall, den er behandelt - auch da ist die Überredung nur eine von mehreren Möglichkeiten. Aber sie ist diejenige, auf die sein ganzes Augenmerk gerichtet ist, weil er nämlich vor allem die Allgemeinheit der umgekehrten Beziehung erhärten möchte: daß der Rede verführerische Kraft innewohnt. An diesem Punkt kann man - gegen Gomperz - genau sehen, daß selbst dann, wenn es Gorgias nicht um eine ernsthafte Verteidigung der Helena ging, keinerlei Grund besteht, ihm bloße Scherzhaftigkeit zu unterstellen.

7 Klar festgestellt wird diese Selbstbezüglichkeit etwa von de Romilly: "...his theory is too complete and too eloquently put forward not to have represented, more or less exactly, it's authors view about speech and speeches." (21 f.)

8 Daß die Argumentation simpel ist soll hier nicht heißen, daß eindeutig die logische Form angegeben werden kann, der sie folgt. Vgl. dazu Wesowolska

9 Meine Übersetzung ist frei. Zum Vergleich die genauere von Donadi: "con la parola, gli tocca l'accusa; con la legge, l'infamia; con l'azione, la pena".

10 Die Angabe eines Maßstabes ist nicht der einzige interessante Aspekt an diesen einleitenden Worten. Grundsätzlich ist ja Gorgias' Helena vor allem bedeutend als erste konsequente Aneignung poetischer Effekte und Funktionen in der prosaischen Sprache. Aus diesem Winkel betrachtet nehmen die einleitenden Sätze die Stelle der Anrufung der Musen ein, und die bemerkenswerte Botschaft besteht darin, daß Wahrheit nicht irgendein Beurteilungskriterium der Rede ist, sondern eben ihr Schmuck.

11 Dazu Aristoteles, Rhetorik, 1406b5ff.

12 De Romilly hat gut festgehalten, daß man hinter der Aneignung der poetischen Stilmittel einen Akt der Neukonstitution sehen muß: "And we should, after Gorgias, draw a firm line between inspiration and elevated style." (21)

13 Untersteiner, S.174

14 Kerferd, S.79: "... the emphasis on truth is emphatic, and shows that that there is no denial intended by Gorgias of the existence of that which is the case." Das ist natürlich wichtig im Zusammenhang mit den "philosophischen Fragmenten" des Gorgias (Diels, Kranz S.279ff.)

15 De Romilly in ihrem Gorgias-Kapitel, bes. S.4

16 Rankin, S.43: "His own analysis of the moral responsibility of Helen ... frees her from guilt, and tends to make her seem to be the product of social and psychological forces ..."

17 Die in diesem Absatz folgenden Überlegungen schließen an Untersteiner an, bes. S.178ff.

18 Verdenius zeigt, daß Gorgias' Hinweis auf die Tragödie als Paradigma der APATE nicht bedeutet, daß er den Begriff in der Tat aus diesem Kontext aufgegriffen haben muß. Er meint, daß Gorgias den Begriff aus einem philosophischen Zusammenhang angeeignet hat (Parmenides) und die Tragödie als den Modellfall seiner Anwendung erkannte. Tuszynska-Maciejewska stellt die Verbindung zu Gorgias eigenen philosophischen Positionen in den Vordergrund.

19 Für eine zeitgenössische und nicht-sophistische Wiederaufnahme dieses Gedankens vgl. Deleuze, bes. 189ff.

20 Allgemein zur Positionierung der Sophistik vgl. Kerferd

21 Die beste Darstellung der Probleme, die mit dem Begriff PAIGNION verbunden sind, gibt Noel (insgesamt eine hervorragende Stellungnahme zu Gorgias' Helena). Aus der Perspektive der "ordinary language philosophy" des 20. Jh. setzt sich H.Frankfurt mit Begriffen wie Unwahrhaftigkeit, Nonsense, "bluff" etc auseinander.

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