Vorlesung 9. Sprache, Logik, Wissenschaft

Inhalt
Sprache
Logik

Wir haben uns vorige Woche, in dieser verkürzten Stunde, mit Lorenzo Valla beschäftigt, und zwar in Hinblick auf seine Philosophie der Sprache. Sie erinnern sich, daß wir auf das Thema “Sprache” vom Humanismus her gekommen sind; es war die letzte von drei Dimensionen, in denen wir den Humanismus inhaltlich charakterisieren wollten (die anderen beiden Dimensionen waren der Fächerkanon und die Tendenz der Verweltlichung).

Sprache

Das Verständnis, das der Humanismus von der Sprache hatte, haben wir vor allem an dem Begriff des Dialogs erläutert, dann habe ich auch noch kurz gesprochen zu Begriff und Praxis der Übersetzung. Bei Valla haben wir freilich etwas gesehen, was über diese Dinge hinausgeht, fast schon eine Philosophie der Sprache, ein Bewußtsein, daß im rechten Verständnis der Sprache sehr viele Probleme zu lösen sind, die in der traditionellen Philosophie nur ganz abstrakt behandelt werden. Wir haben insbesondere eine Stelle angesprochen, wo er über die sog Transzendentalien und deren mögliche Reduktion auf die res spricht. Wenn man das Argument, das er da verwendet, zu Ende denkt, dann ist wirklich alle Bedeutung in der Sprache gegründet, und die Erklärung der Sprache als solcher greift auch nicht zurück auf außersprachliche Instanzen, sondern letztlich auf den Gebrauch der Sprache durch die Menschen. Ich lese da noch ein Zitat vor von einem anderen Autor, von Sperone Speroni, 16. Jh:

Sprachen kommen nicht in die Welt wie Bäume, von denen manche fragil und schwach sind, andere gesund und stark und besser geeignet, das Gewicht unserer menschlichen Begriffe zu tragen. Sondern ihre ganze Kraft kommt durch den Willen der Menschen in die Welt.

Also er meint, die Frage nach der Eignung der Sprache zum Ausdruck des menschlichen Geistes sei ganz sinnlos, weil die Sprache sowieso durch die Menschen und mit genau diesem Zweck gemacht wird. Das ist ja auch, wenn ich darauf noch einmal zurück kommen darf, der Hintergrund in jener neuen Auffassung der Übersetzung, die ich angesprochen hatte, und da liegt irgendwie auch ein wesentlicher Ursprung von Philologie überhaupt. Die Sache mit der Konstantinischen Schenkung ist typisch, das betrifft jetzt auch Valla.

Sie wissen, da handelt es sich um ein Dokument aus dem vierten Jahrhundert, in dem der Kaiser Konstantin dem Papst, der Kirche also, eine ganze Menge Land geschenkt hat; eine nicht unwesentliche Sache, das machte viel von der territorialen Substanz des Kirchenstaates aus. Verschiedene Autoren, zB Nikolaus von Kues, hatten schon vor Valla die Echtheit dieser Schenkung bezweifelt, aber bei Valla gibt es doch Besonderheiten. Zuerst vor allem im motivationalen Bereich, denn er stand in den Diensten des Königs Alfons von Aragonien und Sizilien (so um 1440 war das), der Neapel erobern wollte, und darauf erhob eben auch der Papst Anspruch. Valla hat die Grundlage dieses Anspruchs bestritten, in einem Text mit dem Titel “De falso credita Constantini Donatione declamatio”. Er hat überhaupt die territorialen Ansprüche und das territoriale Selbverständnis des Papsttums attackiert, insbesondere die Identifikation mit Rom, aber das interessiert uns nicht im Einzelnen. Das Entscheidende für uns ist, daß Valla als erster die Unechtheit des Dokuments bewiesen hat, und zwar mit rein philologischen Mitteln. Er hat einfach gezeigt, daß das ein Latein aus einer wesentlich späteren Zeit ist. Es hat ihm ein Riesenvergnügen gemacht, die Fälschung in der Luft zu zerreissen, denn Valla war ein prononcierter Anhänger eines möglichst klassischen Latein, da hatte er auch unter den Humanisten eine besondere Stellung. Tatsächlich ist das Dokument ja aus dem achten Jahrhundert, aus einer Zeit, wo sich die Macht des Papsttums beträchtlich reduziert und auf eine recht enge Region in Mittelitalien beschränkt hatte, wo also durchaus Bedarf an zusätzlicher Legitimation für Landbesitz bestand.

Aber Vallas Beweis, und das ist der für uns wichtige Punkt, konnte nur geführt werden aus der Perspektive heraus, daß die Sprache etwas ist, was sich historisch entwickelt aufgrund des sich wandelnden Gebrauches, den die Menschen von ihr (besser: mit ihr) machen. Und dafür haben wir vorige Stunde den theoretischen Überbau gesehen, ein Stück davon. Ich lese Ihnen jetzt noch eine Stelle vor, die ein wenig plakativer ist als die von voriger Woche, auch aus den “Dialecticae Disputationes”:

Manchmal haben die Hausfrauen ein besseres Verständnis von der Bedeutung der Worte als die größten Philosophen. Denn sie gebrauchen die Wörter zu einem Zweck, die letzteren [die Philosophen] aber nur zum Spielen, wie Aristoteles wenn er sagt, daß die Zahl zählbar ist. Ich stehe auf der Seite der Hausfrauen und bestreite das; ich zähle das Gezählte, und nicht die Zahl selbst. Ein Maß wird nicht gemessen und ist nicht meßbar; ein Gewichtsmaß wird nicht gewogen. Sondern mit dem Maß messen und wägen wir andere Dinge.

Itaque melius de intellectu verborum mulierculae nonnunquam sentiunt, quam summi philosophi. Illae enim verba ad usum trahunt: isti ad lusum. Cuiusmodi est, quod ait Aristoteles numerum numerari, seu numerabilem esse. Hoc ego cum mulierculis nego intelligere: numero quod numeratur, non ipse numerus: sic nec mensura metitur, seu mensibilis est: nec pondus appenditur, seu appensibile est: sed ipsa mesura, et ipso pondere, alia metimur atque appendimus.[DD, I, ii, 649]

Wieder ist hier die Botschaft, daß die Bedeutung am Gebrauch hängt. Die Stelle habe ich auch deshalb noch extra vorgelesen, weil diese Denkfigur in der Renaissance überhaupt eine sehr große Bedeutung hat, weit über unser gegenwärtiges theoretisches Feld hinaus. ZB in der Wissenschaftsphilosophie, in der Wissenschaftslogik. Hören Sie mal eine Stelle von Galilei, mehr als hundert Jahre später, und zu einem eigentlich ganz anderen Thema:

Die Logik ist das Organ, mit dem man philosophiert, aber man lernt nicht die Orgel spielen von denjenigen, die Orgeln zu bauen wissen, sondern von denjenigen, die sie spielen können; so lernt man das Dichten aus der fortwährenden Lektüre der Dichter; das Malen durch das fortgesetzte Zeichnen und Malen; und die Beweisführung aus den mit Beweisen angefüllten Büchern, das heißt aus den mathematischen und nicht aus den logischen.

Das sind jetzt glaube ich wirklich sehr deutliche Belege für etwas, was ich in den ersten Stunden des Semesters gesagt habe über die “praktischen Tendenzen”, die es überall in der Philosophie gibt in jener Epoche, in den verschiedensten Winkeln und Bereichen philosophischer Reflexion. Aber wenn es einen besonders privilegierten, authentischen Ort dieser Wendung des Denkens gibt, dann ist das eben die Sprache. Die Wörter sind schon die Begriffe, die Sprache ist schon das Wissen, und die Menschen machen die Sprache. Daß die Philosophie des Humanismus aufhört, metaphysische Spekulation zu sein haben wir schon bei anderen Autoren gesehen, aber bei Valla wird das reflektiert und explizit gemacht. Freilich dürfen Sie nicht glauben, das sei Gemeingut gewesen in der Zeit. Ganz und gar nicht, Valla war eine Erscheinung für sich; aber das heißt anderseits auch wieder nicht, daß er keinen Einfluß hatte. Sein Einfluß war, wenn man etwas größere Zeiträume nimmt, enorm - zB auf Erasmus. Die Interpretation ( der Hl. Schrift) muß beginnen mit dem genauen grammatischen und historischen Kontext und kann erst von da aufsteigen zu höheren - zB allegorischen - Dimensionen der Bedeutung. Von da aus sollte man dann weitergehen und weiter sehen zu Luther, aber das lassen wir jetzt liegen.