Positionierung der humanistischen Bewegung

Burckhardt schrieb über den Humanismus:

Es war also eine neue Sache in der Welt und eine neue Menschenklasse, welche dieselbe vertrat.

Wenn man sich die neuere Literatur über den Humanismus ansieht, gewinnt man den Eindruck, daß sie überhaupt nur aus der Problematisierung dieses Satzes lebt, daraus, daß sie entweder auseinanderreißt und zu einer Alternative macht, was er so lakonisch zusammenfügt, oder daraus, daß sie eindeutige Abhängigkeitsverhältnisse sucht zwischen der Entstehung der Sache und der der Menschenklasse.

Es gibt Forscher, die konzentrieren sich allein auf den Humanismus als eine geistige oder kulturelle Bewegung und auf die Inahlte, um die sie sich gebildet hat. In dieser Richtung ist es dann eine Zusatzfrage, ob man diese Inhalte als spezifisch philosophische darstellen kann.

Andere halten das für eine aussichtsloses Unternehmen, weil die Inhalte zu wenig Profil haben - was ich gerade vorhin selbst über das Humanismus-Blabla gesagt habe ist ein Motiv dafür. Diese Leute empfehlen mehr Bescheidenheit und eine Prise Nominalismus: Der Humanismus muß als ein möglichst konkretes sozialgeschichtliches Phänomen studiert werden, udh vor allem: man muß sich die Leute ansehen, die sicht selbst als Humanisten bezeichnet haben, und man muß ihr Selbverständnis untersuchen, vor allem ihr professionelles Selbverständnis. Ich möchte meinen, daß das ein recht sympathischer Zugang ist, einer, auf den keinesfalls verzichtet werden kann. Denn in dieser Richtung lernt man auf jeden Fall Wichtiges und Handfestes über die Sache. Aber es muß auch auf Grenzen hingewiesen werden. Wir können nicht übersehen, daß der Humanismus als geistesgeschichtliches Syndrom weiterexistiert, auch wenn seine primären sozialen Träger nicht mehr identifizierbar sind, bzw wenn ihr Selbverständnis nicht mehr nachvollziehbar ist.

Es gibt auch noch grundsätzlich andere Standpunkte als diese zwei, natürlich. ZB ein Marxist würde wohl meinen, daß weder der ideelle Inhalt, noch die Selbstinterpretation seiner Träger ein ausreichender Erklärungsgrund für die Dynamik so einer Ideologie sein kann. Die eigentliche Entwicklungsbasis solcher Bewegungen muß in - ganz grob gesagt - ökonomischen, technologischen und sozialen Kategorien beschrieben werden, und als die Veränderung wechselseitiger Abhängigkeiten in diesen Dimensionen. Das ist gewiß eine völlig richtige Feststellung. Wenn man von der historischen Existenz so eines Syndroms wie des Humanismus ausgeht, dann ist klar, daß dafür eine Basis in der Struktur der Gesellschaft insgesamt angegeben werden muß. Historisch existiert der Humanismus nicht allein dadurch, daß jemand sich ein Weltbild ausdenkt. Man muß fragen: Warum denken sich die Leute das aus, und vor allem: Warum denken sie es erfolgreich.

Allerdings haben die marxistischen Versuche auf diesem Gebiet unleugbare Schwächen. Eine davon ist, daß sie relativ wenig sagen zu der interessanten Differenz zwischen bloßen Denkmöglichkeiten und Weltbildentwürfen einerseits, und ihrer ideologischen Verfestigung anderseits. Sie haben die Tendenz, immer schon von einer realen Konfiguration auszugehen. Aber gerade beim Humanismus, und übrigens auch bei dem Syndrom, das wir Liberalismus nennen, ist es eindeutig, daß gewisse Kernideen gleichsam schon da sind, bevor die gesellschaftlichen Voraussetzungen ihr Zusammentreten zu einem allgemeinen Deutungssystem veranlassen. Es wurde zu wenig auf die Transformationen eingegangen, in denen solche abstrakte ideologische Gehalte sich stabilisieren. Die wichtigsten Umsetzungsvorgänge, die da stattfinden, sind eben keine Automatismen, die man dann theoretisch mit einem Basis - Überbau - Schema oder dgl erfassen könnte. Das sind vielmehr Prozesse, in denen ideelle und materielle Elemente in fast unentwirrbarer Verflechtung zusammenwirken, wie zb in den Vorstellungen und realen Institutionen, die eine Gesellschaft zur Erziehung entwickelt, oder in der Gestaltung und Bedeutung von Kommunikations- und Traditionssystemen. Also wollen wir es dabei belassen und jetzt langsam auf die Sache zugehen.

Die Bildungsbewegung

Erstaunlich ist: Wenn man den Humanismus als ein sozialgeschichtliches Phänomen betrachtet, dann hat man da am Anfang wirklich eine sehr kleine Bewegung, da kann man die Leute richtiggehend aufzählen. Wir haben die Geschichte zum Teil schon miterzählt bei der Entstehung des neuzeitlichen Platonismus: Petrarca, Boccaccio, Salutati, Landino, Bruni. Petrarca kennt und hebt hervor ein paar Vorgänger, zB einen gewissen Lovato Lovati, der von 1241 bis 1309 in Padua gelebt hat, ein Jurist und Dichter, der schon ein signifikantes Interesse an römischen Altertümern hatte. Oder, auch in Padua, Rolando da Piazzola, der systematisch Grabinschriften untersucht hat, und der eine der ersten Dichterkrönungen organisiert hat, 1315 für Albertino Mussato. Sie wissen ja, diese Dichterkrönungen waren eine der wichtigen Formen, in denen der Humanismus sich institutionalisiert hat, der Lorbeer etc.

Aber wie gesagt, das waren wenige, und es ist vor allem am Anfang nicht zu sehen, wo die gesellschaftliche Relevanz dieser Beschäftigungen gelegen haben sollte. Es ist aber nicht viel Zeit vergangen, und da war das eine Bewegung von hoher politischer Bedeutung. Das kann man sich nur so erklären, daß die sachlichen Interessen der Humanisten doch Themen bzw Bereiche berührt haben, die - entgegen dem ersten Anschein - zentrale Interessen der sich umwälzenden Gesellschaft gewesen sind.

Wenn ich mich auf einen einzigen Begriff festlegen müßte, um diese Koinzidenz zu erfassen, dann würde ich den Begriff “Bildung” wählen. Der Humanismus war eine Bildungsbewegung, und seine Bedeutung besteht primär darin, daß er Probleme der Bildung und Erziehung in eine völlig neue Form gebracht hat. Auch das ist aber eigentlich noch zu schwach ausgedrückt, denn in Wahrheit haben die Humanisten das erst definiert, was wir mit Bildung bezeichnen.

Man muß da gleichsam verschiedene Querschnitte durch ein und dieselbe Sache legen. Eine ganz triviale Schicht ist gegeben durch die Erinnerung an jene, wie ich gesagt habe: rhetorische Geste Petrarcas in Bezug auf das Altertum, und Plato insbesondere. Da war dieser Gedanke, Erneuerung kann nur vom Uralten erhofft werden, und da ist vor allem wichtig der handfeste und unübersehbare Aufgabencharakter, fast möchte ich sagen: Problemlösungsaspekt, den das hat. Denn da liegt der Schatz fest verschlossen vor uns, und was drinnen ist, das ist nicht ein Weihnachtsgeschenk, das man dann einfach nimmt und benützt oder an dem man sich dadurch, daß man es hat erfreut; sondern die Erwartung ist ja schon ganz präzise die, daß man sich im Aufschließen dieses Schatzes selbst verändern wird. Ich möchte das stark unterstreichen, diesen konkret-banalen Aspekt: Da ist das unaufgeschlossene Bildungsgut Platos und der Alten überhaupt, und da wollen wir doch jetzt mal drangehen und uns das aneignen, aber “aneignen” ist nicht ganz das rechte Wort, denn wir wissen und haben auch die Absicht: Wir werden uns dadurch zu anderen Menschen machen.

Diese Ausgangslage definiert schon der Tendenz nach einen neuen Sinn von Bildung: Bildung kann hier nicht verstanden werden als etwas, wo man von selbst hineinwächst, sie ist nicht etwas von selbst Vorhandenes, sondern sie kann ergriffen werden, ist eine Aktivität des Menschen selbst. Und wenn man das nun wirklich tut, wenn man das Projekt in Angriff nimmt, dann ergeben sich eine Menge Resultate von sehr unterschiedlicher Art, auf verschiedenen Ebenen gleichsam.

Zuerst einmal lernt man da gewisse Verfahren auf einer formalen Ebene. Also zB lernt man sog hermeneutische Techniken, wie man gezielt und schrittweise eine Verständigung aufbauen kann mit einem Gesprächspratner, der eine andere Sprache spricht, ein völlig anderes Weltbild hat, und der noch dazu ganz einfach nicht mehr da ist. Hieher gehören philologische Verfahren im engeren Sinne, aber auch höherstufige Interpretationsleistungen: also zB die Bemühungen um die Integration gegensätzlicher religiöser Vorstellungen.

Es ist ziemlich klar, daß den Fluchtpunkt so eines Projektes ein allgemeiner Begriff von Kultur bilden wird, Kultur als ein Zustand von sehr verschiedenen Prägungen, so daß man wirklich von einander fremden Kulturen reden kann, aber doch wieder so daß jede Ausprägung von Kultur eine Potenz hat, sich für jede andere öffnen zu können.

Es ist gewiß kein Zufall, es hängt mit dieser formalen Dimension zusammen, daß mit der Wiederentdeckung der klassischen Sprachen eine wachsende Zuwendung zum Vernakulären einhergeht. Ein Vertrauen in die Muttersprache, ein Selbstbewußtsein, das man nur vor dem Hintergrund eines Vertrauens auf universale Übersetzbarkeit und Gültigkeit verstehen kann.

Ein anderer Aspekt desselben Lernprozesses ist der institutionelle. Das ist selbst wieder vielschichtig. Also zuerst einmal ist der Humanismus insofern revolutionär, als er die Möglichkeit erfolgreichen Bildungsgänge außerhalb des gegebenen institutionellen Rahmens vorführt. Bildung wird produziert nicht von einem Kloster oder sonst einer Korporation, sondern von Einzelnen. Oder sagen wir: Das worauf es ankommt ist die konkrete Lernaktivität des Einzelnen, nicht seine Zugehörigkeit zu und Vereidigung auf eine bestimmte Institution. Wir würden heute vielleicht sagen: Das ist zuerst mal ein grundsätzlicher Demokratisierungseffekt, auch wenn es hier natürlich noch lange nicht um bildungspolitische Demokratisierung geht, wie wir sie im Auge haben. Das Wichtige ist zunächst einmal, daß der Bildungsprozeß überhaupt losgetrennt gesehen werden kann von der Institution, daß man ihn analysieren kann als - sagen wir - eine Interaktion zwischen einem Lehrer und einem Schüler und einem Thema. In dem Moment, wo man diesen Blickpunkt einmal hat, da kann man sich dann als nächstes fragen, wie man die Sache institutionell am besten gestaltet. Also dann kehrt sich das Verhältnis um: Die Struktur des Wissenserwerbs bestimmt die Form der Institution, nicht umgekehrt.

Der historische Zeitraum, in dem diese zwei Schritte vollzogen werden, ist sehr lang, er endet vorläufig bei der Gründung der großen Nationalen Wissenschaftlichen Gesellschaften im 17. Jh (zB die “Royal Society”), also Institutionen, die außerhalb auch der Universitäten angesiedelt sind, nicht zuletzt deshalb, weil sie Orte für innovative Forschung sein sollen.

Also zuerst ist dies natürlich gewiß kein bewußt gesteuerter Prozeß, sondern da kann man nur von außen beobachten, wie zB eine gewisse Professionalisierung der Humanisten eintritt. Das sind dann Leute, in deren Ausbildung ein Patron ein gewisses Kapital investiert, und dann trägt das Früchte, die kann man in Geld aufwiegen, die Dienste eines Kopisten, Redenschreibers, Bildungsmanagers. Auch die Lehrer findet man auf einem Markt, und auch die Universitäten müssen mehr zahlen, wenn sie einen besseren Cicero-Fachmann haben wollen. Im Lauf der Jahrzehnte bildet der Humanismus seine eigenen Institutionalisierungsformen aus, und die können sich dann als mehr oder weniger funktional erweisen. Das Erstarren vieler dieser Humanistenschulen, die Ritualisierung des Dichterwettbewerbs etc, das trägt dann auch wieder zum Absterben der Bewegung im 16. Jh. bei, aber das Entscheidende ist doch jene Eröffnung einer prinzipiell neuen Sichtweise auf die Bildung.

Es gibt noch einen wichtigen Nebenaspekt in der Sache, der oberflächlich aussieht, aber tief geht: nämlich die Rolle, die im Humanismus das Buch als Bildungsinstitution spielt. Schon vor der Erfindung und breiten Nutzung des Buchdrucks ist für den Humanismus ein gewisser Bücherfimmel sehr bezeichnend, es wird ungeheuer viel mehr geschrieben und vor allem gelesen. Das ist auf lange Sicht auch deshalb wichtig, weil hier der Keim zu einer noch weitergehenden Autonomisierung von Bildung liegt. Wenn man sich den Wissenserwerb als einen Prozeß zwischen Lernendem und Buch vorstellen kann, dann wird tendenziell auch der persönliche Lehrer überflüssig, und dann wird Bildung noch viel disponibler. Dann bekommt der Vorgang der Traditionsbildung eine neue Qualität. Nicht nur eine andere quantitative Dimension, sondern es treten dann auch interessante Rückkoppelungseffekte ein, zB mit Formen wissenschaftlicher Darstellung etc.

Der Typus

Also bis jetzt habe ich sehr allgemein einen - mE den wichtigsten - Aspekt der Bedeutung des Humanismus skizziert, wobei als Basis nur jene bestimmte Selbstbildungsabsicht des Petrarca gedient hat. Bevor ich auf spezielle Inhalte eingehe, noch etwas zum sozialen Typus des Humanisten. Ich lese Ihnen da eine Stelle vor aus dem Buch von Batkin (Batkin, Leonid. Die italienische Renaissance. Frankfurt/Main; 1981):

Da versammelten sie sich in der Werkstatt des Kopisten Vespasiano da Bisticci, um, wie Gleiche unter Gleichen, eine interessante wissenschaftliche Unterhaltung zu führen - Bruni, Cosimo Medici, Marsigli, Niccoli, Malpaccini. Was hatten sie gemeinsam?

Einige unter ihnen gehörten ehrwürdigen Korporationen an. Was sie jedoch zu Humanisten machte und miteinander verband, stand in keiner Beziehung zu den Zünften und Universitäten. Sie versammelten sich bald in einer Villa außerhalb der Stadt, bald in einer Klosterbibliothek, in einem Buchladen, einem Schloß oder auch in einer Privatwohnung, um eine angenehme Unterhaltung zu führen, in Manuskripten zu blättern, antike Münzen zu betrachten. In Anlehnung an die Antike begannen sie ihre Zusammenkünfte “Akademien” zu nennen. Nicht die Zugehörigkeit zu Akademien schuf Humanisten, sondern die Humanisten schufen die Akademie. Wer in ihren engen Kreis gelangen wollte, mußte eine Voraussetzung erfüllen: Er mußte durch Kenntnisse und Fähigkeiten auf demGebiete der Studia humanitatis hervorragen.

Mit anderen Worten, das einzige obligatorische und beständige Merkmal, das die Humanisten zu einer besonderen Gruppe verband, lag im Humanismus selbst beschlossen. Das ist keine Tautologie. Konstituierendes Merkmal war einzig und allein die geistige Gemeinsamkeit, die sich zum Teil sozialisierte und zur Gemeinsamkeit einer realen Gruppe wurde, auf Grund ihres zu breiten und ephemeren Charakters jedoch nicht voll und ganz materialisiert und fixiert werden konnte. Die Grenzen zwischen dem Humanismus als Geistesrichtung auf der einen und Tätigkeit auf der anderen Seite sind relativ. Der Humanismus war gleichsam Ausdruck einer unbestimmten, allgemeinen sozialen Funktion, die zuvor unbekannt und in der Anatomie der Gesellschaft nicht vorauszusehen war. Eben darum wurde die Realisierung dieser Funktion von Leuten übernommen, die hinsichtlich ihrer sozialen Stellung und ihres Ranges völlig unterschiedlich waren und diese auch nicht aufgaben. Ihre Rollen erlangten Doppelcharakter: Zum einen waren sie Kaufleute, Beamte, Geistliche und so weiter, zum anderen Humanisten. Sie waren nicht Humanisten, weil es ihnen anstand, sich mit dem Humanismus zu befassen, sie waren es nicht auf Grund eines in der sozialen Struktur fixierten Platzes, ganz im Gegenteil, sie waren es außerhalb dieses Platzes und außerhalb der festgelegten Struktur. Warum aber traf das auf den einen und anderen, und nicht auf viele andere zu? Warum auf Kardinal Bembo, und nicht auf Kardinal Ippolito d'Este, auf den Kaufmann Ciriaco, und nicht auf den Kaufmann Morelli, auf Toscanielli, Malpaccini, Brunelleschi, und nicht auf viele andere Ärzte, Lehrer und Künstler? Die Zugehörigkeit zu diesem neuen Milieu hing vorwiegend von den geistigen Eigenschaften dieser Persönlichkeiten ab. Ausgangsmoment für die Konstituierung der humanistischen Intelligenz war die Persönlichkeit, der Austausch und die Kopplung persönlicher Positionen

In dem Buch von Peter Burke (Burke, Peter. The Italian Renaissance. Oxford; 1987) finden Sie noch eine Menge zusätzliches statistisches Material. Auf jeden Fall kann man die Dinge noch ein bißchen genauer beschreiben und differenzieren als Batkin. Es gab eindeutig drei Hauptgruppen unter den Humanisten, nämlich die Universitätslehrer, die Kanzler (also Politiker bzw politische “Macher”), und die Amateure. Die Produkte, die typischen Hervorbringungen der humanistischen Einstellung und Gelehrsamkeit, waren: Reden und Briefe; Geschichtswerke (sehr wichtig! die Geschichten von Städten, von Individuen, von Familien etc); verschiedene juristische genres; dann muß hier natürlich erwähnt werden die Editionstätigkeit, darauf haben wir ja nebenher schon oft genug hingewiesen, und da gehört auch das Verfassen von Kommentaren dazu. Und last but not least: die Erziehungstätigkeit. Sowohl privat wie öffentlich. Ich verweise beispielhaft auf das, was Burckhardt über Vittorino da Feltre schreibt.

Aber noch einmal getrennt von dieser Liste möchte ich hervorheben die Prägung eines in seiner Art überhaupt neuen Typus, des intellektuellen Reisenden. Angesprochen haben wir das bereits in den Personen von Petrarca und Boccaccio, als frühe Fälle; ganz späte Fälle wären dann etwa Montaigne und Bruno. Das Reisen war natürlich in alten Zeiten überhaupt auf ganz andere Weise mit dem Austausch und Erwerb von Information verknüpft als heute, und Information hat mit dem Komplex von Bildung und Intellektualität auf jeden Fall eng zu tun. Aber in jener Zeit hat sich doch eine besondere Kultur dieser Beziehungen herausgebildet. Wenn man das Reisen iA betrachtet, dann waren die Hauptgruppen die Soldaten, die Pilger, die Kaufleute, die politischen Gesandten. Vor allem die beiden letzten Gruppen haben mehr und mehr mit den Humanisten kooperiert, dh sie haben sie vor allem mitgenommen und zugleich ihre Dienste genützt. So gab es zB auch im 15. Jh. in Italien sehr viele Ausländer, die als Schreiber gearbeitet haben, und später auch deutsche Buchdrucker. Die sind hauptsächlich in Handelsdelegationen und politischen Delegationen mitgereist und dann geblieben, wenn es günstige Angebote gab. Zwei berühmte Beispiele für Reisende Studenten noch: Georg Agricola und Kopernikus.

Inhalte

Wir sollten nun ein bißchen mehr zu Inhalten der humanistischen Gelehrsamkeit kommen. Da kann man sagen: Neben der antiken Literatur und Philosophie ist das schon bei Petrarca die Kunst und Architektur. Als Zeitgenossen und Freund Petrarcas begegnet man einem gewissen Giovanni Dondi, der alte Baudenkmäler vermessen hat, oder etwas später dem Niccolo Beccari, einem Numismatiker. Oder Mitte des 15. Jh. gibt ein großer Humanist, Poggio Bracciolini, ein Buch heraus, das heißt De varietate fortunae, das ist ein archäologisches Werk über die Ruinen Roms. Zur selben Zeit gibt es Flavio Biondos Roma instaurata.

Aber wenn wir nach den Inhalten fragen, dann meinen wir ja vor allem etwas anderes: diejenigen Inhalte, die sie zu ihren eigenen gemacht haben, woran sie die Leitlinien ihres Denkens gebildet haben, das was den Inhalt der verwirklichten Bildung eigentlich ausmachen sollte. Wir können das in drei Dimensionen studieren, die alle im Selbstbewußtsein der Humanisten sich reflektieren.

Kanonische Bestimmungen: Es gab so etwas wie einen Bildungskanon, eine aufzählende Definition dessen, was die studia humanitatis ausmacht. Im Wesentlichen ist das die Definition der “litterae”.
Die Verhältnisbestimmung von Welt und erworbenem Weltbild. Hier geht es um die Verweltlichung, um die Kultur jener Praxis, von der ich schon in der ersten Stunde gesprochen habe als typisch für die Renaissance.
Das Medium: Sprache, Rhetorik

Diese Dimensionen kann man theoretisch fassen, und aus ihnen kommen die Gehalte, die man als philosophische identifizieren kann, auch wenn sie ursprünglich nicht Philosophie gewesen sein sollten. Ein Zitat von P.O.Kristeller:

Wenigstens in seinem Ursprung und in seinen typischen Vertretern möchte ich daher den Renaissance-Humanismus als eine breit angelegte kulturelle und literarische Bewegung verstehen, die im Grunde keine philosophische war, aber bedeutende Auswirkungen und Konsequenzen für die Philosophie hatte.

Fächerkanon

Also nun sagen wir etwas zu dem ersten dieser Punkte. Wie sah der Fächerkanon aus? Die studia humanitatis beinhalteten vor allem: Grammatik, Rhetorik, Poesie, Geschichte, Moralphilosophie. In allen diesen Fächern ging es sowohl um Wissen wie auch Können (Anwendung, Fertigkeit), und sie waren eben zusammengefaßt in dem Begriff der litterae. Sie waren Voraussetzung und auch Ziel von Bildung. Voraussetzung in dem Sinn, daß man diese Fächer beherrschen muß, um dann auch anderes anpacken zu können - etwa die Architektur. Also es gibt natürlich ein Bewußtsein davon, daß auch in anderen Bereichen nützliches Wissen erworben werden muß, aber das kann eben der Humanist auch besser. Ziel insofern, als jede andere Bildung ihre Erfüllung in der literarischen Form findet. Das ist ein sehr wichtiger und nicht trivialer Punkt, und da sind natürlich verschiedenartige Phänomene gemeint. ZB ist da auch mitgemeint der Ruhm; der Ruhm, der etwa einem Maler oder Politiker zuteil wird, der ist die Krönung seines Werkes, und der existiert ja typischerweise in literarischer, sprachlicher Gestalt. Oder das Verhältnis ist direkter, indem die literarische Gestalt als Veredelung eines Werkes von dessen Autor selbst hervorgebracht wird: etwa eine Philosophie der Liebe, die ihre höchste formale Gestalt klarerweise in einem Gedicht hat.