Vorlesung 1. Einleitende Bemerkungen

Inhalt
Die Renaissance in der Geschichte der Philosophie
Einheit der Philosophie
Plan, Didaktik, Literatur etc

Ich möchte in dieser Stunde etwas sagen über die allgemeine Orientierung der LV. Denn obwohl der Titel, Einführung in die Philosophie der Renaissance, so harmlos klingt, gibt es da vieles, was der Klärung bedarf.

Die Renaissance in der Geschichte der Philosophie

Zum Beispiel ist es nicht selbverständlich, und es ist auch nicht ganz einfach, die Renaissancephilosphie in einen umfassenden Kursus zur Geschichte der Philosophie einzufügen. Die üblichen Einteilungen der Geschichte der Philosophie sehen eine antike Philosophie, eine mittelalterliche, und eine neuzeitliche, und eventuell noch eine Gegenwartsphilosophie vor. Aristoteles und Platon sind die antiken Philosophen, Thomas von Aquin ist der mittelalterliche, Descartes, Spinoza, Leibniz, Locke, Hume, Kant, Hegel sind die neuzeitlichen.

Sartre, Bertrand Russell und Saul Kripke sind Gegenwartsphilosophen. Leute wie Nietzsche und Marx bereiten im Grunde auch keine großen Schwierigkeiten, sie lassen sich je nach Bedarf als Nachfahren und/oder Vorläufer einordnen. Bei den Renaissancephilosophen ist es insofern schwieriger, als man meistens nicht einmal die Namen kennt. Und wo kein Philosoph, dort auch keine Philosophie. Von der gängigen Darstellung der Philosophiegeschichte her scheint durchaus zweifelhaft, ob es überhaupt dafür steht, von einer Renaissancephilosophie zu sprechen. Eine kleine Fußnote ist hier angebracht zu dem Spruch: “Wo kein Philosoph, dort auch keine Philosophie”. Wo kein Philosoph ist oder war, könnte ja eine Philosophin sein oder gewesen sein; diese Einsicht setzt sich leider erst sehr sehr langsam durch, aber gerade in Studien zur Geschichte der Renaissance ist in den letzten Jahrzehnten enorm viel geleistet worden in dieser Richtung, und das wird sich bald einmal auch auf dem engeren Gebiet der Philosophiegeschichte auswirken.

Anderseits kann so eine Disziplin wie die Philosophiegeschichtsschreibung natürlich nicht wirklich sagen: Na, da hat es eine Zeitlang, sagen wir vom vierzehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert, eben keine Philosophie gegeben. Da war Pause. Das widerstreitet irgendwie dem Ehrgefühl so einer Wissenschaft, zuzugeben, daß sie sich mit einem Gegenstand befaßt, der auch mal eine Zeitlang nicht existieren kann. Das wäre ein zu unverläßlicher, und damit wohl auch ein zu unwichtiger Gegenstand. Also der Kompromiß sieht so aus, daß man eben ein paar Seiten mit irgendwelchen kuriosen Lehrmeinungen füllt und im Übrigen stillschweigend übereinkommt, daß es zwar nicht gar keine Philosophie war, aber jedenfalls eine schlechte.

Vorurteile

Wenn man sich mit diesem Vorurteil auseinandersetzen will, muß man allerdings ein paar Differenzierungen anbringen. So wie ich mich bisher ausgedrückt habe, betrifft das Vorurteil dasjenige, was faktisch an Philosophie in einem bestimmten, noch näher einzuschränkeneden Zeitraum - sagen wir von 1450 bis 1600 - produziert worden ist. Es besagt dann im Grunde nichts anderes als eben, daß in dieser Zeit nicht viel los war philosophisch - da hat es keinen Aristoteles gegeben, keinen Kant, keinen Gottlob Frege...

Das Vorurteil über die Renaissancephilosophie hat aber oft einen anderen und bestimmteren Akzent. Manche Leute meinen gar nicht, daß die Philosophen in jener Zeit weniger interessant oder originell waren als in irgendwelchen anderen Perioden; z.B. habe ich irgendwo einmal gelesen, Giacomo Zabarella sei einer der drei bedeutendsten Aristoteliker der Philosophiegeschichte gewesen - der dritte neben Aristoteles selbst und Thomas von Aquino : das ist schon ein Gütesiegel, würde ich sagen. Den Kranz würde sich so mancher gerne aufsetzen, also zB Leibniz oder Hegel wären vielleicht ein bißchen eifersüchtig gewesen, wenn sie das gehört hätten. Mit dieser Wertschätzung geht aber oft einher eine Ablehnung des Begriffes der Renaissancephilosophie. Man bestreitet die aufschließende Kraft des Ordnungsbegriffes, und zwar aus verschiedenen Gründen. Manchmal wird die Geschlossenheit vermißt, das innere Band oder auch das methodische Kriterium, durch das sich die philosophischen Tendenzen jener Zeit gleichsam zu einer erkennbaren Einheit formen. Manchmal sagt man, daß es einfach an der Originalität mangelt: die bedeutenden Leistungen ließen sich entweder als Früchte des späten Mittelalters, oder als bloße zaghafte Vorboten der sogenannten wirklich neuzeitlichen Philosophie interpretieren, und wozu dann einen eigenen Epochenbegriff.

Sie erkennen jetzt wohl auch selbst schon eine dritte Dimension, in der das Vorurteil gegenüber der Renaissancephilosophie artikuliert werden kann, nämlich indem man die Renaissance als Epochenbegriff überhaupt in Frage stellt. Ich würde das nicht erwähnen, wenn ich nicht absichtlich im Titel meiner Vorlesung das Wort Renaissance verwendet hätte. Ich hätte auch hinschreiben können: Philosophie der Frühneuzeit, oder Philosophie des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Aber ich glaube, daß man wesentliche Gehalte, wesentliche Tendenzen dieser Philosophie eben gerade aus dem heraus erkennen muß, was in der allgemeinen Geistes- und Kulturgeschichte als Renaissance bezeichnet wird. Sie sehen also, daß ich nicht der Ansicht bin, der allgemeine Epochenbegriff Renaissance sei nicht legitim, und im Grunde wird er heute auch nicht ernsthaft oder grundsätzlich bestritten. Es gibt zwar immer wieder einzelne Problembereiche, in denen sich zeigt, daß der Begriff keine besondere aufschliessende Kraft hat. Also z.B. die englische Lyrik des fünfzehnten Jahrhunderts und auch noch des vor-elisabethanischen sechzehnten kann man vielleicht wirklich besser analysieren, wenn man sich nicht von Kategorien leiten läßt, die in Bezug auf die italienische Renaissancelyrik angemessen wären. Aber das tut der Tatsache keinen Eintrag, daß wir mit dem Begriff Renaissance heute ein Syndrom vor Augen haben, das uns eine bestimmte geschichtliche Bewegung einfach besser zu verstehen erlaubt.

Sie wissen, daß dieser Epochenbegriff Renaissance im 19.Jahrhundert geprägt worden ist, von Jakob Burckhardt und Jules Michelet. Aber wenn man sich daran erinnert, muß man gleichzeitig auch immer bedenken, daß der Begriff der Renaissance als solcher keineswegs eine so späte Erfindung darstellt, sondern durchaus schon verankert ist im Selbstbewußtsein der Epoche, die er nachträglich als eine historische bezeichnet - das kann man im Grunde schon bei Petrarca kaum übersehen.