Die Schulen

Nun, das waren Gedanken über die Möglichkeiten, wie man eine Philosophie vielleicht auch dort mit Bestimmtheit wahrnehmen kann, wo kein doktrinaler Gehalt faßbar ist. Es ist ein Charakteristikum der Philosophie im 15.und 16. Jh, daß sie uns zu solchen ungewohnten Wahrnehmungsweisen zwingt, und insofern, sage ich, ist ihr Verhältnis zur “Schule” prekär.

Aber man muß nun, um das Bild zu vervollständigen, doch auch noch etwas ganz anderes in Betracht ziehen. Nämlich zugleich nehmen wir an der Renaissance-Philosophie etwas scheinbar ganz Gegensätzliches wahr, eine richtige Versessenheit darauf, alle Philosophie einzuteilen in philosophische Schulen, jeden diskutierbaren Inhalt zuzuordnen einer philosophischen Schule, und alle Differenzen auszutragen in der Form von Schulstreitigkeiten, die dann auch oft mit richtigem Pomp und Trara inszeniert werden. Averroisten gegen Thomisten, Epikureer gegen Stoiker, Platoniker gegen Aristoteliker. Das ist sehr auffällig, und auch verwirrend, und auf den ersten Blick widerspricht es ganz dem, was ich bisher gesagt habe.

Unter dieser Hinsicht entsteht eher der Eindruck, daß die Philosophie für diese Leute überhaupt nur handhabbar ist, wenn sie in solchen kleinen Packerln von Thesen daherkommt, alle fein säuberlich mit einem Schuletickett versehen. Aber es ist ziemlich leicht zu sehen, daß es sich hier um eine etwas andere Verwendung des Begriffs “Schule” handelt: nämlich hier ist tatsächlich die Bezeichnung für etwas gemeint, das man ebensogut als “Strömung” oder “Richtung” bezeichnen könnte. Besonders interessant ist der tatsächlich oft gebrauchte Begriff der “Sekte” . Daß man eine philosophische Position oder Strömung in diesem Sinne als Schule bezeichnet, muß nicht unbedingt voraussetzen, daß die entsprechenden charakteristischen Inhalte auch in einer schulmäßigen Form aufbereitet sind. Also zB bei den sogenannten Hermetikern ist das gewiß nicht der Fall.

Man kann sogar noch ein bißchen weiter kommen bei der Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs, nämlich wenn man beachtet, daß es fast immer Eigennamen sind, die zur Bezeichnung dieser Schulen dienen. Es bedeutet für die Renaissance-Philosophen nämlich schon einen Schritt in Richtung der Auflösung schulmäßigen Philosophierens, wenn sie die Philosophien als Creationen von Individuen wahrzunehmen beginnen (Cassirer über Pico). Die Philosophie ist nicht ein abstraktes Lehrgebäude, das Gott und Aristoteles festgelegt haben, und von dem wir mehr oder weniger genaue Eindrücke haben - sondern sie ist eine menschliche Hervorbringung, ein geschichtliches Phänomen, das eine große Vielfalt von Ausrichtungen aufweist, die vielleicht gar nicht aufeinander reduziert werden können (sodaß dann eine Art höherer Eklektizismus in der Philosophie durchaus ein Ziel sein kann).

Wir sollten also unterscheiden zwischen zwei Bedeutungen des Schulbegriffes, der Schule als Strömung, und der Schule oder der Schulmäßigkeit als einer inneren Verfassung von Philosophie, die sie haben oder auch nicht haben, anstreben oder vernachlässigen kann.