Körper, Ort, Raum und Kraft

Ich komme jetzt zu dem, was ich schon in der ersten Stunde genannt habe: Eine Art schematische Beschreibung, die Deleuze gleich am Anfang seines Buches gibt, fast eine Norm, nach der viele der Bilder aufgebaut sind. Es geht um folgendes: Drei grundlegend verschiedene Elemente sind immer zugleich da: Erstens so eine Art Raum oder Umraum, das, was man normalerweise als Hintergrund bezeichnet; und zwar sind das große, monochrome Farbflächen, sehr statisch; manchmal sind in diesen Flächen auch irgendwelche Gegenstände, die sind dann normalerweise immer auf eine sehr naiv-figurative Art präsent (die sind also nicht gemeint, wenn vom nicht-Figurativen die Rede ist); das zweite was da immer ist, ist ein Platz für eine Figur; und drittens eben die Figur selbst. Die Figur ist meist eine menschliche Figur, ein Kopf oder Körper, oft das bloße Fleisch eines Körpers; wenn es etwas anderes ist, kein Mensch sondern eine Sanddüne zB, dann hat es auch gewisse Qualitäten des Fleisches. Also das Bemerkenswerte ist vor allem, daß die Figur nicht irgendwie so im Raume steht, sondern daß sie explizit einen Platz hat, der sozusagen extra noch vorhanden ist, als malerisches Element. Und zwar meistens als Oval. Manchmal ist das die bloße Form des Ovals, manchmal ist es in gegenständlicher Form realisiert, als Sessel, Bett. Schauen wir uns das an einem Bild kurz an:

Abbildung 3-2. Mittlere Tafel aus: Studies for a Crucifixion, 1962

Da haben Sie den Umraum mit den großen Farbflächen; da sind drinnen zB diese Quasteln für die Jalousien; dann haben sie den Platz für die Figur, und auf dem ist die Figur selbst; ein menschlicher Körper, vielleicht zwei, aber eine Figur ist das, in einem ziemlich deformierten Zustand, da ist schon sehr stark das Fleisch präsent.

Jetzt möchte ich gleich hier etwas einfügen über diese Sache mit dem Platz, was aus Bacon's eigener Sicht wichtig ist: daß die Figur auf einem eigenen Platz ist, ist sein Hauptmittel, um die Figur zu isolieren. Und diese Isolation der Figur ist eine Weise, sie aus dem Repräsentationszusammenhang herauszunehmen. Wie schon angedeutet, es gibt Bilder, wo die Figur von zwei Körpern gebildet wird, verschlungene, gepaarte und sich paarende Körper sind das. Das sind keine Ausnahmen, das zählt als eine isolierte Figur.

Zweite Einfügung: manchmal ist ein solcher Platz nicht zu erkennen als das typische Oval, sondern eine Art Gestänge, Verstrebungen um die Figur herum. Das dient demselben Zweck. Schauen wir uns ein Beispiel an, ein Bild das wir schon kennen:

Abbildung 3-3. Studie zu einem Porträt von L. Freud

Es handelt sich nicht um einen Käfig, in den die Figur eingesperrt wäre, es ist einfach eine Methode, sie durch Fixierung auf einen Platz zu isolieren. Ein dritter Punkt, den Deleuze betont, betrifft den Umraum. Er ist nicht Hintergrund, er ist neben der Figur, grenzt an sie - ihren Platz - an. Er ist der Figur benachbart. Es ist so, wie wenn wir uns vorstellen sollten, daß wir gar nicht im Raum sind, sondern quasi daneben. Wir könnten hineingreifen.

Nun, das war der elementare Teil dieser Strukturbeschreibung. Ich möchte gleich noch einmal dazu sagen, daß das alles andere als vollständig ist oder verbindlich für uns. Das sind gewisse charakteristische und wiederkehrende Elemente, aber es gäbe andere, die man genau so gut nennen könnte: ZB Vorhänge oder Schleier. Immer wieder, in verschiedenen Ausprägungen und Graden der Deutlichkeit begegnen uns Vorhänge oder Schleier - der schon gezeigte Papst wäre ein Beispiel:

Abbildung 3-4. Papst 1953

Aber ich will das jetzt nicht prolematisieren, und die Beschreibung von Deleuze in einer anderen Richtung vervollständigen. Es gehört zu ihr noch etwas dazu, nämlich eine Angabe über die Dynamik, die sich in diesen Verhältnissen entfaltet. Es ist ja klar, daß die Bilder nicht alle nur ein solches Muster ausfüllen. Ganz und gar nicht. Dieser Teil des Schemas ist nur die Ausgangsbasis für eine Dynamik, die eigentlich das Geschehen in den Bildern ausmacht. Und zwar ist das in Wahrheit viel komplizierter, als ich Ihnen jetzt erklären kann, denn das ist eine Dynamik, die zugleich im einzelnen Bild stattfindet, zugleich aber auch in der Entwicklung von Bacon. Ich muß diesen Unterschied irgendwie in der Schwebe lassen, ich sage sage jetzt nur das Allerwesentlichste. Nämlich diese Dynamik hat zwei Komponenten. Die eine ist, daß der flache Raum sich um die Figur herum einkrümmt oder in sich verschiebt, und so, durch diese selbe Kraft, scheint auf der Figur selbst eine Deformation zu entstehen. Ein Beispiel:

Abbildung 3-5. Rechte Tafel aus einem Triptychon 1976

Hier haben wir die Figur auf zwei Ebenen. Lassen wir alle raffinierteren Spekulationen beiseite, sehen wir nur auf den Kopf auf dem Bild. Eine flache Deformation, der Kopf ist plattgeschlagen an der einen Seite, wie wenn ihm der Rasierspiegel raufgeknallt wäre. Und diese Plattheit der Deformation hat etwas zu tun damit, daß die Kraft aus dem Raum den Kopf eben auf den platten Platz der Leinwand gezwungen hat. Na ja, das muß auch nicht stimmen, im Prinzip geht es eben um diese Kraft im Raum, durch die er sich erstens einkrümmt um die Figur herum, und die zweitens auf der Figur selbst als Deformation erscheint.

Die andere dynamische Komponente geht gleichsam in der umgekehrten Richtung. Von der Figur, dem Körper, zum Raum hin. Und das ist wirklich eine fantastische Idee von Deleuze, die er da gehabt hat. Da handelt es sich um eine Kraft im Körper selbst, mit der er seinerseits trachtet, den Unterschied, die Isolation gegenüber dem Raum aufzuheben, in den Raum hinaus zu gelangen. Tatsächlich kann man in den Bildern, die das zeigen, auch beobachten, daß der Platz, bzw das Oval des Platzes, da entweder zerstört wird oder aufgerissen wird oder gar nicht mehr da ist. Oder es gibt noch eine Variante: daß er von dem Platz der Anwesenheit zu einer Öffnung wird, durch die der Körper in den Raum hinaus entweicht. Überhaupt ist es so, daß der Körper immer durch ein Loch hinausdrängt, aus sich selbst, aus seinem Ort, in den Raum hinaus. Dieses Loch kann man fast immer sehen, es ist eine Körperöffnung wie Mund oder After, oder ein aufgeschnittenes Blutgefäß, oder eben etwas, was mit dem Platz zu tun hat. Das tollste Beispiel hier ist die Figur am Waschbecken, die wir schon kennen:

Abbildung 3-6. Figur am Waschbecken

Das Waschbecken hat genau diese runde Form eines typischen Platzes für die Figur. Aber hier ist es eben nicht so eingesetzt, sondern hier ist seine Höhlung und das Loch des Ausflusses entscheidend. Der Körper ist hier nicht unter einer äußeren Kraft deformiert, sondern deformiert sich selbst, will aus sich heraus durch diese Öffnung, die sich ihm an dem Ort bietet.

Aber es gibt auch Beispiele, wo der Körper aus sich selbst heraus will durch eine seiner eigenen Öffnungen, und zwar vor allem durch den Mund. Die Schrei-Bilder muß man so sehen. Und hier ist noch etwas Weiterführendes zu bemerken: Nämlich dieses Aus Sich Herausbrechen des Körpers, das kann sich vollenden in seiner regelrechten Auflösung - wie in einer Sanddüne oder einem Wasserstrahl:

Abbildung 3-7. Sanddüne

Abbildung 3-8. Wasserstrahl

Ich meine, bei der Sanddüne kann man an der Farbe und Modellierung ja erkennen, daß das ein Körper aus Fleisch war, nur ist er eben schon total aus sich herausgebrochen, ergießt sich jetzt quasi in den Raum hinein. Manchmal jedoch kommt nur ein Teil heraus - der Schatten ist manchmal so zu interpretieren, besonders interessant aber ist, daß es gelegentlich, wie Deleuze sagt, das Tier ist, das in uns steckt, das wir beherbergen in uns. Da gebe ich jetzt keine Beispiele.

Also das war diese Beschreibung. Ich wiederhole die wichtigsten Punkte: Die Unterschiedung von Umraum, Figur, Platz; die zwei Dynamiken, die die Figur mit dem Raum in eine dramatische Beziehung bringen: die eine geht vom Raum aus, die andere von dem Körper, der sich selbst entweicht.