Vorlesung 3. Herausragende Thesen in Logique de la sensation

Inhalt
Figurativ und figural
Körper, Ort, Raum und Kraft
Körper, Organ, sensation
Literatur von und zu Deleuze

Wir gehen jetzt, in Anlehnung an Deleuze und die Darstellung, die ich in jenem "Vortrag" von seinem Buch über Bacon gegeben habe, ein paar besonders prominente Punkte durch.

Figurativ und figural

Zuerst das Postulat, sehr unverblümt, daß die Malerei Bacons nicht figurativ ist. Und jetzt denken Sie zurück an die Bilder, die ich bisher gezeigt habe, zB das Freud-Porträt aus der ersten Stunde, oder das Painting 1946 vorige Woche. Solche Bilder sind da gemeint - aber es besteht offensichtlich Erläuterungsbedarf, wenn man sagt, das ist nicht figurativ.

Für Deleuze handelt es sich freilich nicht um eine Beobachtung, die man neben anderen machen kann, wenn man die Bilder Bacon's studiert, sondern eine zentrale Frage. Und in der Tat sagt Bacon selbst auch ganz deutlich dasselbe: Nicht figurativ, nicht illustrierend, nicht erzählend sei seine Malerei. Also haben wir hier nicht nur ein Postulat für die Interpretation vor uns, eine Interpretationsmaxime, sondern ein Postulat, das der Maler selbst aufgestellt, an sich gerichtet hat. Und wenn der sagt, meine Bilder sind nicht figurativ darstellend, dann gibt er nicht bloß eine Absicht zu erkennen, sondern dann meint er daß es objektiv so ist, daß er sich davon überzeugt hat.

Aber klarerweise, wer das sagt, egal ob Bacon selbst oder jemand anderer, der meint nicht, daß er ein abstrakter Maler wäre. Er meint etwas anderes, und zwar muß da auch mit enthalten sein, daß die Alternative von figurativer und abstrakter Malerei nicht vollständig oder überhaupt nicht richtig aufgebaut ist. Ein Weg wäre die terminologische Bereinigung. Das macht Deleuze auch. Also wir nehmen auf den Bildern Figuren wahr, es sind erkennbare Figuren da - irgendwie müssen wir dem begrifflich Rechnung tragen. Der relevante Ausdruck ist das Wort figural; wir machen einen Unterschied zwischen figurativ und figural. Es sind zwar die Figuren da, aber in einer besonderen Weise, ganz anders als wenn wir normalerweise vom Figurativen sprechen. Natürlich werden wir genau angeben müssen, wo dieser Unterschied liegt, und daß er nicht nur ausgedacht ist, in der Absicht oder in der Interpretation, sondern real, im Bild. Das wird uns noch beschäftigen, eben die begrifflich-sachliche Klärung des Postulats. Aber man kann sich, auch schon bevor man in eine solche Überlegung eintritt, den Unterschied ein wenig plausibel machen durch ein historisches Beispiel wie Cezanne. Tatsächlich glaube ich daß es ein nachvollziehbares Gefühl ist, daß die Malerei Cezanne's nicht mehr figurativ ist im klassischen Sinne des Repräsentierens von etwas; aber die Figuren sind noch da, und es handelt sich nicht um Abstraktion.

Man kann ein kleines Schema bilden, in das dieser Begriff des Figuralen hineingepaßt werden muß: Wenn die figurative Tradition verlassen werden soll, dann gibt es zwei Wege. Der eine führt in die Abstraktion, zu einer reinen Form, wie Deleuze sagt (Kandinsky). Der andere zu einer Figur, die von der Beziehung oder Aufgabe der Repräsentation gelöst ist - wie bei Cezanne und Bacon. In einem zweiten Teil des Schemas besteht eine andere Alternative: die Figur ist entweder auf ein Objekt bezogen, das sie repräsentiert, oder direkt auf die Empfindung (sensation); im zweiten Fall sprechen wir eben von figural.

Es deutet sich also an, daß die Auseinandersetzung hauptsächlich mit dem Begriff der Repräsentation geführt werden muß. Repräsentation ist jenes Element in der Figuration, das wir eliminieren müssen, um den Begriff des Figuralen in Gebrauch nehmen zu können. Worum handelt es sich da? Vielleicht sage ich am besten so: Um Repräsentation handelt es sich, wenn die Figur ihren Stellenwert, ihre Rechtfertigung dadurch hat, daß sie etwas Anderes darstellt, vertritt, und zwar ihm Rahmen einer bestimmten Ordnung. Ich meine: primär wird das andere als in einer Ordnung befindlich dargestellt, aber das ist oft zugleich auch eine Ordnung, in der die Figur selbst ihren Platz hat. Jenes Andere bestimmt dann der Figur tatsächlich sowohl ihre Stelle wie ihren Wert. Ohne den Papst Innozenz X wäre das Porträt von Velazquez einfach und buchstäblich nichts, es wäre nicht vorhanden. Das ist die klassische Variante, dieses Ineinandergreifen der dargestellten Ordnung und des Bildes selbst als Element dieser Ordnung, ausgeführt im Modus der Figur.

Oft ist es aber auch anders, Repräsentation muß nicht diesen Aspekt der Macht hervorkehren, es kann auch vordergründung zB um die Erzählung gehen: Die Figur stellt etwas dar im Rahmen einer Erzählung, die man mit-wissen muß, um sie überhaupt zu verstehen. Oder sie stellt etwas dar in codierter Weise, sodaß man also den code kennen muß, um die Figur zu verstehen. Ich glaube, jetzt haben wir ein vorläufig hinreichendes Verständnis von diesem Unterschied figural-figurativ.

Wichtig ist, daß Bacon in all diesen Punkten der Abwehr der Repräsentation sehr explizit ist. ZB:

... the moment the story is elaborated, the boredom sets in; the story talks louder than the paint...

Ein anderer wichtiger Bereich: Das Brechen einer sehr starken Assoziaton - so eine Assoziation ist auch eine von diesen Ordnungen, zB der Schrei. Die Assoziation ist: der Schrei - der Horror. Da gibt es diesen berühmten Ausspruch von Bacon: Ich wollte den Schrei malen, nicht den Schrecken. Das muß in diesem Zusammenhang interpretiert werden, und da ist es auch ganz einfach zu verstehen. Die Figur des Schreis - und der Schrei hat ja eine Figur - von dem Ordnungszusammenhang lösen.

Abbildung 3-1. Aus Triptychon 1953

Das fällt uns nur in diesem Fall so besonders schwer, weil es schwer ist, dem Schrei eine eigene Empfindung zuzuordnen, weil die immer überlagert bleibt von der Empfindung des Schreckens. Aber genau darum geht es bei Bacon, und darum hat er sich auch immer so dagegen gewehrt, daß man seine Bilder als Horror-Bilder bezeichnet.

Nun kann man natürlich, ja man muß die Frage aufwerfen, wo denn eigentlich diese Figuren herkommen, die wir auf der Leinwand erkennen, wenn sie nicht aus so einem Repräsentationszusammenhang kommen. Das ist eine Hauptfrage, die wir später genauer behandeln werden, aber ich möchte jetzt auch gleich etwas dazu sagen. Erstens, man muß sich davor hüten zu sagen: Nein, diese Frage brauche ich nicht zu beantworten, diese Figuren gibt es einfach, daß es die gibt, das ist sozusagene eine Voraussetzung von Malerei oder dgl. Diese Reaktion ist unmöglich, denn da verschwimmt die Grenze zur Abstraktion, dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Figur und reiner Form. Zweitens möchte ich einen Satz zitieren, den Bacon einmal als Antowrt auf diese Frage geäußert hat: I'm just trying to make images as accurately off my nervous system as I can. Das ist eine gute und aufschlußreiche Antwort, und Deleuze widmet ihr auch viel Aufmerksamkeit. Ich will da überhaupt nicht abschwächen, dieser direkte Zusammenhang zwischen der Figur, dem Nervensystem und der Empfindung ist enorm wichtig - man kann ja auch von woanders her abmalen, oder abzumalen meinen: vom Sehbild, von der Wand einer camera obscura etc. Aber etwas bleibt da auf jeden Fall noch unerklärt, und das ist die Ähnlichkeit dieser Figuren mit Personen, Gegenständen etc, von denen wir genau wissen, von diesen Gegenständen, daß die sich nicht im Nervensystem von F.B. befinden. Irgend etwas hat das Porträt von Lukian Freud mit Lukian Freud zu tun, auch wenn das außerhalb aller repräsentativen Beziehungen liegen sollte. Man könnte auch so formulieren: Diese Figuren sind in einem gewissen, nicht-repräsentativen Sinne doch auch Figuren von etwas. In welchem Sinn, und wovon sind sie die Figuren? Nur kurz, vorausblickend, zur zweiten dieser Fragen: vom Körper.