Der Körper

Ich komme jetzt zu der Frage, auf die das alles zusteuert - was ist bei Bacon die Figur? Wir können per viam negationis eigentlich schon eine Menge sagen. Sie ist erstens mal abgegrenzt gegen die Marke, sei das nun intentional gedacht wie bei Wollheim oder eher physiologisch wie bei Elkins. Sie ist dann, auf der nächsten Ebene, nicht die durch einen Code vermittelte Repräsentation eines Gegenstandes ('figural' sein heißt nicht: bildliche Repräsentation von etwas sein). Sie ist aber auch nicht das, was ich als Figur eingeführt habe vor zwei Stunden - geometrisch bestimmt oder bestimmbar. Das wird klar durch die Auseinandersetzung mit den Three Studies...: Wenn das noch nicht Figur ist, sondern bloß Studie der Figur, dann kann die Figur grundsätzlich nicht durch Begriffe bestimmbar sein, die die Konstitution des bloßen Anblicks erklären. Es reicht ja noch nicht einmal die Plastizität, Figur ist mehr als Plastizität.

Lassen Sie mich hier noch einmal eine Zwischenbemerkung zur Literatur einschieben. Von Michael Fried gibt es einen interessanten Aufsatz, mit dem Titel Bacon's Achievement, der ist auszugsweise und in französischer Übersetzung auch in dem Centre Pompidou Katalog, und da sagt er: 'Chez De Kooning on sent que la figure est le but recherché, même s'il ne'est que partiellement atteint ... , tandis que chez Bacon la figure est manifestement le point de départ a partir duquel il ne progresse pas.' Dieser Artikel ist insgesamt sehr kritisch gegenüber Bacon und es wäre ein wenig ungerecht, wenn an so einer Stelle wie der zitierten nur eine Denkfaulheit oder ein Konservativismus Bacon's gerügt würde. Aber ich sehe da durchaus etwas Richtiges festgestellt, ohne daß ich diese Konsequenz ziehen muß. In der Tat wird es schon so sein, daß Bacon Figuralität als solche nie in derselben Weise in Frage gestellt hat wie de Kooning. Aber das bedeutet noch lange nicht, daß es in seiner Einstellung zur Figur nicht auch eine hochinteressante Dynamik gegeben haben kann.

Also um jetzt zum Positiven zu kommen, ich möchte, mehr oder weniger mit Deleuze, sagen: Das Besondere an der Figur bei Bacon besteht darin, daß sie Körper ist, und zwar in einem sehr speziellen Sinn. Sie ist nicht einfach das Bild des 3-dimensionalen Körpers, sie kann nicht verstanden werden als die Evokation von Plastizität. Sie ist viel direkter selbst Körper.

Ich habe ja schon in der dritten Vorlesung auf jene Frage bezug genommen: 'Wie kommt der Körper auf die Leinwand?' Und da haben wir gesehen, daß der relevante Aspekt der Frage sich darauf richtet, wie der Körper des Malers sich auf der Leinwand realisiert. Abgesehen von dieser Feststellung, die wir bei Deleuze herausgearbeitet haben, gibt es aber überhaupt in der Literatur immer wieder diesen topos, bei dem heute schon zitierten Jean-Louis Schefer, bei Michel Leiris und anderen. Die Frage ist: Was soll das heißen, was für ein Verständnis von Körperlichkeit ist da vorausgesetzt? Ist überhaupt eines vorausgesetzt, oder ist das nur Geplapper, eine schöne Phrase, mit der man sich toll vorkommt?

Körper in der Philosophie

Ich glaube an diesem Punkt könnte es nützlich werden, in weiteren Dimensionen, vor allem auch philosophisch, nachzudenken. Klar, wir haben bei Deleuze und auch bei Bacon selbst Hinweise bekommen auf Begriffe wie Intensität, Empfindung, Kraft etc, die das charakterisieren könnten, was da als Körperlichkeit in Frage kommt. Aber wie kann man das mit unserem gewöhnlichen Verständnis in Kontakt bringen?

In der Philosophiegeschichte ist es ein wichtiges Faktum, daß der Begriff des Körpers die längste Zeit höchst vieldeutig und für sehr verschiedene Dinge verwendet wurde. Aus den Elementen zusammengesetzte Körper sind was ganz anderes als die Himmelkörper zB, und da gibt's noch viel mehr Unterschiede. Und dann ist der Begriff aber in einer bestimmten historischen Phase, im 17. Jahrhundert, sehr schnell, geradezu schlagartig, vereinheitlicht, standartisiert worden. Man kann dieses Ereignis ohne Schaden mit dem Namen von Descartes markieren. Er hat den Begriff des Körpers eindeutig gemacht. Der Körper ist eine Substanz; er ist durch ein einziges Attribut wesensmäßig bestimmt, nämlich die Ausdehnung; und alle Verhältnisse, die man in Bezug auf die Ausdehnung des Körpers eventuell unterscheiden kann, sind in der Sprache der Geometrie auszudrücken. Mit einem Wort: Der Körper ist als solcher geometrisch bestimmt. Diese Vereinheitlichung hat sich durchgesetzt, Sie finden eine späte Besiegelung zB noch in jenem berühmten Beispiel, das Kant für ein analytisches Urteil gibt: 'Der Körper ist ausgedehnt'.

Aber daß Descartes's Vereinheitlichung Epoche gemacht hat heißt nicht, daß er inhaltlich das letzte Wort behalten hat. Bald wurde eine fundamentale Schwäche seiner Auffassung gefühlt, die vor allem mit dem Interesse zu tun hat, das die Physik am Körper-Begriff nimmt. Ein rein geometrischer Begriff des Körpers ist physikalisch nicht brauchbar. In dieser Kritik an Descartes haben sich allerdings durchaus verschiedene, untereinander nicht kompatible Akzente herausgestellt. Ich kann da jetzt nichts erklären in dieser letzten Stunde, ich gebe Ihnen wieder einmal nur den Hinweis.

Newton und die Newtonianer haben an Descartes viel zu kritisieren gehabt, was direkt oder indirekt mit dessen 'Geometrisierungs-Tendenz' zu tun hat, vor allem Probleme mit dem Bewegungsbegriff standen da im Zentrum; aber ein einzelner und sehr auffälliger Punkt ist natürlich die Zuschreibung eines weiteren wesentlichen Attributes an den Körper, nämlich die Masse. Undurchdringlichkeit, Widerstand sind Prädikate, die damit einhergehen. Ein physikalischer Körper ist, im Unterschied zu einem geometrischen, immer auch der Masse nach zu bestimmen. Die Geometrie gibt uns sozusagen als Ganze nur eine Dimension der Beschreibung des Körpers. Es bleibt nach der geometrischen Beschreibung immer noch die Frage sinnvoll, was das ist, das als dieses dreidimensionale Gebilde beschrieben wurde. Ob der Begriff der Masse diese Frage dann auch schon endgültig klärt, ist nicht gesagt - aber mit ihm kommen wir auf jeden Fall weiter.

Die Kritik von Leibniz an Descartes ist in negativer Hinsicht (Ablehnung einer geometrisierten Physik) durchaus übereinstimmend; und es gibt wohl auch noch positive Übereinstimmungen. Aber für uns wichtig ist, daß Leibniz noch einen Akzent gesetzt hat, der in eine völlig andere Richtung geht. Er hat nämlich das Verhältnis zwischen Ausdehnung und demjenigen, dem wir sie zuschreiben ('das Ausgedehnte'), als ein dynamisches verstehen wollen. Das Körperliche der ausgedehnten Substanz besteht nicht allein in ihrer Ausgedehntheit und auch nicht in der Ausgedehntheit plus Masse, sondern in ihrer Tendenz zur Ausdehnung. Was den Körper sozusagen metaphysisch am tiefsten charakterisiert, ist Kraft, und zwar die Kraft zur Ausdehnung: sich auszudehnen oder von mir aus auch: Ausdehnung sich widerfahren zu lassen.

Hier bin auch schon wieder am Ende mit meinem Hinweis, ich kann diese Angelegenheit weder in Bezug auf Leibniz vertiefen, noch kann ich, was wichtiger wäre, Spinoza als weitere Figur in diese Skizze einbauen. Ich kann nur ganz grob betonen, daß wir in der Philosophiegeschichte eben durchaus Ansätze finden, den Körper fundamental als Kraft zu bestimmen (nicht nur als ein Etwas, auf das Kräfte wirken), und daß wir von solchen Ansätzen aus beginnen müßten, Bacon's Figur als Körper zu rekonstruieren. Ob das letztlich überhaupt gelingen kann, will ich jetzt gar nicht gesagt haben.

Figur, Körper, Fläche

Aber mir scheint, wenn es gelingt, werden sich in zwei oder drei wesentlichen Punkten Klärungen ergeben, die ich schnell noch benenne.

Körper ist nicht gleichbedeutend mit Figur; was Bacon als Figur realisieren will, ist ein spezifischer Zustand des Körpers, oder vielleicht sollte man sagen: ein Vorgang oder Ereignis mit dem Körper (événement figuratif hat Lawrence Gowing gesagt); und zwar wäre das dann das Ereignis von Körperlichkeit auf der Fläche. Das Entscheidende dabei - vielleicht schon ein zweiter Punkt - ist, daß der Körper in diesem Ereignis nicht aufhört Körper zu sein: Weil die Dreidimensionalität eben nicht sein wesentlichstes Attribut ist! Der Körper könnte geometrisch so viele Dimensionen haben wie er will, als Ganze wäre diese geometrische Beschreibung immer in einem gewissen Sinne flach gegenüber dem, was der Körper wahrhaft ist, nämlich Kraft. Hingegen bedeutet es natürlich sehr wohl eine signifikante Zustandsänderung, wenn der Körper auf die Fläche kommt, auch wenn das nicht eine Reduktion seiner Körperlickeit als solcher ist, nicht unbedingt eine Einengung (es gibt viele Bilder von Bacon wo ich das Gefühl habe, daß das Flachwerden des Körpers auf der Leinwand für ihn auch etwas Befreiendes haben kann, daß dann etwas ausfließen kann zB, was er in seiner dreidimensionalen Verfassung stauen, eingrenzen mußte). Malerei ist diese Zustandsänderung. Sie ist eine Sache mit hohem Risiko, eine unwahrscheinliche Sache gewissermaßen. Die Ausbildung von Regeln, von stützenden Bezugssystemen, von begleitender wissenschaftlicher Reflexion haben sie für eine gewisse Periode in unserer Kultur sozusagen wahrscheinlicher werden lassen, erwartbarer, wenn Sie mir so ein grausliches Wort verzeichen; zugleich damit ist sie, die Malerei, aber auch zunehmend in Bezügen und aus Perspektiven wahrgenommen worden, die ihr Wesen verdecken, vergessen lassen. Wenn diese Stützen (wir haben in dieser Richtung uns vor allem um den Begriff der Repräsentation bemüht) ihre Verbindlichkeit verlieren, dann ist entweder Schluß mit der Malerei, oder es wird ihre innere Dramatik und Unwahrscheinlichkeit wieder sichtbar. Ich glaube, so sollte man die Ansprüche verstehen, die Bacon gestellt hat. Und dann wird auf der anderen Seite auch die große interpretative Aufgabe etwas konkreter faßbar, die die Deformation in seinen Gemälden stellt. Der Körper kommt nicht so ohne weiters in die Fläche, wird nicht so ohne weiters Figur. Er kann dabei zerreißen, zerquetscht werden, zerfließen... Es kann auch sein, daß es gar nicht gelingt, und manchmal gelingt es nur, indem man ihn an einer bestimmten Stelle annagelt.