Vorlesung 12. Ort, Körper, Fläche bei Bacon

Inhalt
Ort bei Bacon
Der Körper
Schlussbemerkung am 3. 2. 2002
Literatur zu den letzten beiden Vorlesungen

Wir haben uns vor einer Woche damit vergnügt, den Begriff des Ortes in unsere Diskussion einzubeziehen, allerdings zuerst auf rein theoretische Weise in einer sehr skizzenhaften Gegenüberstellung mit dem Raumbegriff. Sie erinnern sich an die Vorstellung des Ortes als Hülle oder sonst einer Struktur, die Einsitz gewährt - wie sich das durch die Definition des Aristoteles nahelegt. Im Gegensatz dazu die Vorstellung eines leeren, homogenen und unstrukturierten Raumes, in dem das Hier-Sein eines Gegenstandes nur durch seine Entfernung von anderen Gegenständen spezifiziert werden kann.

Ich habe dann gesagt, daß man, um derartige Unterscheidungen fruchtbar zu machen in Bezug auf die Malerei, unbedingt zuerst nachfragen muß, was denn der Sinn von Räumlichkeit in der Malerei selbst für Differenzierungen enthält. Und da haben wir einen ersten Schritt getan, indem wir unterschieden haben zwischen Plastizität einerseits (Belege waren die Three Studies... von Bacon und der Pablo de Valladolid von Velazquez), und der Wo-Frage anderseits. In beiden Fällen haben wir überwältigende Plastizität, können aber nicht sagen, wo sich die entsprechenden Körper befinden. Also zwei voneinander unterscheidbare Elemente in der malerischen Raumvorstellung. An diesem Punkt machen wir weiter.

Ort bei Bacon

Der Exkurs über Ort und Raum läßt uns vermuten, daß es für die Gestaltung in dieser Dimension (des Wo) mindestens zwei Zugangsweisen geben wird: Einerseits die Einrichtung eines das ganze Bild erfassenden Gitters oder Netzwerks, durch das die wechselseitigen Verhältnisse aller Daten, die das Bild enthält, festgelegt sind. So ein Gitter oder Netz muß natürlich nicht als solches sichtbar sein, es muß nicht einem bestimmten Präzisionsmaßstab genügen und kann überhaupt auf recht verschiedene Weisen realisiert sein. Die moderne Zentralperspektive ist nur eine davon. Aber wenn es sowas gibt, zB in der Form eines Systems wechselseitiger Abdeckung aller erkennbaren Figuren, dann hat man damit eine Antwort auf die Wo-Frage. Wo ist das Pferd? Zwischen dem Baum und dem Haus.

Anderseits die Existenz einer Hülle oder einer Einsitz-gebenden Struktur. Wo ist der Vogel? In der Baumkrone. Wo ist der Mann? Im oder auf dem Bett.

Plätze im Raum

Ich habe schon gesagt oder zumindest angedeutet, daß Gesamtlösungen wie die Zentralperspektive die Frage in gewisser Weise auch neutralisieren, besonders dann, wenn eine manifeste Repräsentation des Gitters geboten wird, etwa durch geflieste Böden oder die Häuserflucht einer Avenue, die sich von uns weg erstreckt. Wo steht der Mann? An der vierten Strassenkreuzung. Vor der American Bar. Trotzdem haben wir oft noch eine zusätzliche Akzentuierung eines Ortes, einen Ort der als solcher malerisch gestaltet worden ist. Dafür kann es die verschiedensten Motive geben, ganz banale, ziemlich raffinierte. Also ein Grenzfall ist der, wo der gestaltete Ort gar nicht primär der Beantwortung der Wo-Frage dient, sondern einen narrativen Zweck erfüllt: Der Mann steht im Telefonhüttel, weil er telefoniert. Er liegt im Bett, weil er schläft. Das Beefsteak liegt in der Pfanne, weil schon alle auf das Hauptgericht warten.

Das sind Grenzfälle, wenn wir annehmen, daß die Positionierung des Mannes oder des Fleischstückes auch durch rein formale Mittel gelingen könnte. Aber es sind natürlich enorm wichtige Beispiele, wenn wir überhaupt eine narrative Dimension diskutieren wollen für Bilder. Wenn wir vom romanzo a fummetti absehen, dann können die Figuren, die Personen auf Bildern, ja nicht sagen, was sie tun; es kann nur durch die respektive Lokalisation von bedeutungshaltigen figurativen Elementen vermittelt werden. Und zu den elementaren Mitteln, die es da gibt, gehört die Festlegung eines Ortes - siehe Beispiel mit dem Telefonhüttel. Wo einer ist, was er oder sie in der Hand hält, wo sie hinschaut, standartisierte Gesten - das sind entscheidende Faktoren.

Aber Sie müssen beachten, daß hier, in diesem Zusammenhang, die Frage 'wo einer ist', eine Frage der Bedeutung ist, und nicht so sehr eine der Positionierung. Anders ausgedrückt: Bei dem 'Wo ist sie?' geht es nicht darum, die Person (in einem universalen System) zu orten, sondern die Art des Dinges festzustellen, auf oder in oder unter oder über dem sie ist.

So wird ganz banal klar, daß auch perspektivisch vollkommene Gemälde extra Veranstaltungen treffen, um Orte, Plätze etc prominent auszuzeichnen: Einfach schon deshalb, weil Gemälde keine Landkarten sind, sondern Geschichten erzählen oder Situationen evozieren wollen. Aber es gibt auch Fälle, wo der Ort eigens gestaltet wird, um die Anwesenheit einer Figur plausibel zu machen gegen die grundlegende räumliche Struktur des Gemäldes. Ich zeige Ihnen da einmal ein Bild, eine Verkündigung von Guido Reni:

Abbildung 12-1. Guido Reni, Verkündigung

Da haben sie so einen gefliesten Boden, der ein Gesamtsystem der räumlichen Orientierung tragen kann, noch dazu wo er direkt am unteren Bildrand ansetzt (indem wir in das Bild eintreten, treten wir auch schon in diesen Gesamtraum ein); und die Fensteröffnung, durch die man in eine Weite blickt, in der sich dieser Raum unendlich erstrecken könnte. Maria ist eine Figur in genau diesem Raum, und der Engel steht ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Aber es ist gleichwohl nicht so ohne weiters möglich, ihn einfach an die entsprechende Stelle in der Stube Marias zu stellen. Er ist eine Art von Gegenstand, die aus unabhängigen Gründen nicht so ohne weiters in diesen Raum einbezogen werden kann. Aber einen Ort muß er haben. Das ist die Wolke, auf der er steht. Also hier haben wir ein anderes Motiv, als das der Unterstreichung einer Zweckmäßigkeit, einer Absicht oder einer narrativen Struktur. Man könnte es das Motiv des Extra-Ortes nennen. Garantie einer Anwesenheit, eines Da-Seins, gegen die Gesetzlichkeit der universellen (dh für das ganze Gemälde verbindlichen) Raumstruktur. Aber beachten Sie, daß auch in diesem Fall die Besonderheit des Ortes vor allem von der Bedeutung gestützt wird. Das Engerl und die Wolke... Wenn er auf einem Tennisschläger stünde, wäre das Bild ein Rätsel. Hier handelt es sich wirklich um einen klassischen Fall von Gestaltung des Ortes als solchen, zusätzlich zum Raum.

Tausenderlei interessante Frage erheben sich da, auf die ich nicht mehr eingehen kann: Gibt es in der Malerei eine Resonanz auf das Gegenspiel von Geborgenheit an einem einhüllenden Ort und Verlorenheit im unendlichen Raum, das wir vorige Woche angesprochen haben? Gibt es noch zusätzliche Motive zur Akzentuierung eines Ortes, die wir bisher nicht erwähnt haben? Welches sind die möglichen Beziehungen zwischen einem solchen malerischen Ort und dem Ort des Trägers des Gemäldes selbst - vor allem interessant, wenn das Gemälde eine kultische, dh in der modernen Zeit: religiöse Bedeutung hat (als Altarbild etwa)? Was hat diese malerische Örtlichkeit zu tun mit der Hervorhebung des Ortes in der plastischen Kunst - mit den Sockeln, den Nischen etc für die Skulptur? Alle diese Fragen kann ich Ihnen nur ans Herz legen als wichtige Fragen, behandeln kann ich sie nicht.

Bacon's Sitze und Gestänge

Es ist völlig klar und keiner weiteren Erläuterung bedürftig, daß Bacon ein Maler des Ortes ist. Von Anfang an ist es so, daß dem Ort der Figur seine besondere Aufmerksamkeit gilt. Das Kreuz, an das die Figur genagelt ist, der Thron, auf dem sie sitzt, das Bett, auf dem sie liegt, das Oval, auf dem sie sich aufspreizt oder zerfießt. Und ich möchte ausdrücklich betonen, daß hinter dieser durchgängigen Aufmerksamkeit heterogene Motive liegen. Das Kreuz und das Bett etc sind vergleichsweise 'bedeutungsvolle Orte'; das Gestänge in einem Bild wie diesem schon mehrfach gezeigten:

Abbildung 12-2. Studie zu einem Porträt von Lukian Freud

kann man auf diese Weise nicht verstehen: das ist schon so etwas wie freie Gestaltung des Ortes um seiner selbst willen. Oder jene Bilder, wo wir nur so ein Oval haben, in das die Figur gebannt erscheint. Natürlich kann man sich das manchmal denken als Abbreviatur eines Bettes, aber wenn die Figur steht und sich über ein Waschbecken beugt, haut das nicht mehr hin. Ich will keine radikalen Trennungen Ihnen einreden, überhaupt nicht. Ich sehe da Kontinuität im Übergang zu qualitativ neuen Lösungen. Die Gestänge entwickeln sich aus den phantastischen Thron-Konstruktionen der Papst-Bilder. Die Ovale entwickeln sich aus den Betten, von mir aus. Das worauf es ankommt ist die Tendenz: Erstens der Figur einen Ort zu geben, und zweitens zu einer kreativen, immer mehr von Bedeutung und Assoziation unabhängigen Gestaltung dieses Ortes. Die Phantasie-Gestänge und die Ovale sind nur die Extreme dieser Entwicklung, die man als solche schon dort konstatieren kann, wo die Assoziationen von Sitzplatz und Käfig noch unabweisbar sind. Sehen Sie sich mal ein ganz berühmtes Bild an, den roten Papst in der zweiten Fassung von 1971:

Abbildung 12-3. Bacon, Roter Papst 1971 (Vergrößerung in einem separaten Fenster)

Da haben Sie ein rotes Oval auf dem ockerfarbenen Grund, auf dem könnte schon so eine typische Figur liegen; aber hier ist das nicht so. Da befindet sich auf dem Oval eine Art kreisrunder Drehbühne (beweglich oder nicht, das wissen wir nicht); auf eine nicht ganz durchschaubare Weise mit dieser Drehbühne verbunden ist das typische Gestänge - könnte sich der Kreis drehen, würde das Gestänge sich wohl mitdrehen; aber die Figur ist noch nicht da! Auf der Drehbühne steht ein Thron; aber auch auf dem sitzt die Figur nicht. Sondern auf dem Thron ist ein Polster; aber auf dem sitzt die Figur noch immer nicht. Sondern auf dem Polster ist noch ein zweiter Polster, und erst auf dem sitzt die Figur. Also wenn in diesem Bild etwas absichtlich gestaltet ist, dann ist es in erster Linie das Auf einem Platz Sitzen. Der Papst sitzt auf einem Polster der auf einem Polster sitzt der auf einem Thron sitzt der auf einer Bühne sitzt die auf einem Oval sitzt. Von den Komplikationen, die es mit dem Gestänge gibt in diesem Bild will ich gar nicht reden, die sind ungeheuer. Also obwohl wir hier immer an die Semantik des Sitzens gebunden bleiben, ist doch eine künstlerische Absicht manifest, die auf die Gestaltung des Ortes als solchen, und nicht die Übermittlung einer Botschaft geht. Und Sie können, wenn Sie über dieses Bild ein wenig meditieren, auch sehen, inwiefern durch die Schachtelung von Orten ein Raum eigener Art erzeugt wird.

Figur, Ort, Fläche

Three Studies, 1967

Um diese Insistenz auf dem Ort nicht nur zu konstatieren, sondern auch ansatzweise verständlich zu machen, wenden wir uns jetzt noch einmal den Three Studies... zu:

Abbildung 12-4. Bacon, Three Studies... (Vergrößerung in einem separaten Fenster)

Das Bild ist deshalb so faszinierend, weil hier die Figur ohne Ort existiert, bzw nur ein degenerierter Ort da ist in der Form der Stange, an der der oberste Körper hängt - evidenterweise ist diese Stange zu schwach als Ort. Wie schon gesagt, die Körper sind ja eindrucksvoll plastisch, aber die Frage, wo sie sich befinden kann überhaupt nicht beantwortet werden, wenn man davon absieht, daß man von dem einen gerade noch sagen kann: Er hängt an einer Stange; aber da meine ich ja eben, daß das frustrierend ist als Ortsangabe, viel weniger befriedigend als wenn man sagen könnte: Liegt auf dem Bett oder sowas. Er klammert sich an die Stange weil er gerade keinen Ort hat. Na gut, ich will das jetzt nicht überstrapazieren. Der Punkt, den ich machen will, ist prinzipiell: Daß in diesem Bild, wo kein Ort gestaltet ist, gleich jede Möglichkeit verloren geht, die Wo-Frage zu beantworten. Dh insbesondere: Daß es keinen gestalteten Raum gibt, der diese Funktion aushilfsweise übernehmen könnte. Es gibt nicht einmal die Spur eines Raumes. Also extremes Auseinandertreten zweier verschiedener in der Malerei relevanter Elemente von Räumlichkeit: Wir haben Räumlichkeit im Sinne der Plastizität der Körper; aber es fehlt die Räumlichkeit als Beziehungssystem, und wenn dann - so wie in diesem einen, ganz außergewöhnlichen Bild - auch noch die Räumlichkeit als Örtlichkeit wegfällt, dann gibt es keine Antwort mehr auf die Wo-Frage. Ich habe schon vorige Woche gesagt: Das geht soweit, daß man versucht ist dieses Bild mit einem Skizzenblatt zu vergleichen, also die Einheit des Grundes als solchen in Frage zu stellen; ich meine: wenn wir ein Skizzenblatt so verstehen, daß seine Einheit in der Tat nur die kontingente des gemeinsamen Trägers ist, und die Existenz der einen Figur nicht zur Entstehung eines Grundes führt, auf den auch die anderen Figuren logisch oder intentional (in dem Sinn, wie Wollheim das meinen würde) bezogen sind. Ich will nicht sagen, um Himmels willen nicht, daß dieses Bild ein Skizzenblatt ist in diesem Sinn, ich werde gleich etwas ganz anderes sagen, aber es ist wichtig den Gedanken als Grenzwert sozusagen ins Spiel zu bringen.

Das Bild läßt uns ja zB völlig ratlos über die Orientierung der Körper zueinander, sind die alle in einer Ebene, gibt es eine kontinuierliche Bewegung, die den einen in den anderen überführen könnte etc. Die Stange ist kein richtiger Ort, und sie ist zu schwach, um einen Raum zu erzeugen; man hat vielleicht einen Moment das Gefühl, sie könnte gerade stark genug sein, um indirekt einen Raum zu erzeugen, nämlich indem sie für eine Narration, eine story den Aufhänger abgibt: Da hängt er noch, dann fällt er, und schließlich sieht man die schlimmen Folgen. Aber das ist unter mindestens drei Gesichtspunkten absolut lämmern. Erstens weil Bacon sowieso derartige Interpretationen nicht zuläßt. Zweitens weil sogar bei prinzipieller Zulassung derartiger narrativer Interpretationen diese hier einfach zu blöd ist. Und drittens, und das ist letztlich das Ausschlaggebende, weil die Stange allein nicht einmal so eine Geschichte tragen kann, sie bietet sogar dafür zu wenig an räumlicher Vor-Strukturierung. Man weiß zB nicht einmal, ob es ein Körper in verschiedenen Stadien sein soll, oder drei verschiedene Körper etc.

Und jetzt sage ich Ihnen noch etwas sehr Wichtiges: Sie könnten auf die Idee kommen zu sagen: Nein, das ist alles vorschnell geurteilt, da ist eine interessante Möglichkeit ausgelassen, übersprungen in dieser Deutung. Statt zu sagen: Da ist gar kein Raum könnte man doch auch sagen: Da ist ein leerer Raum! Ich glaube, das kann man nicht. Ich will und kann das jetzt nicht im Detail ausargumentieren, ich gebe nur ein Indiz. Stellen Sie sich vor, da kämen noch ein paar solche Körper dazu, das Schwarz würde sich allmählich mit solchen Körpern füllen. Ich habe nicht das Gefühl, daß ich dann zwangsläufig sagen müßte: Der Raum, der vorher leer war, ist jetzt voll. Das würde ich schon allein deshalb nicht, weil er ja dann auch jetzt, mit nur drei Figuren, zumindest schon ein bisserl voll sein müßte. Ist er aber nicht. Das Schwarze dieses Bildes hat einfach nicht die Struktur eines Raumes. Das ist bemerkenswert insofern, und sehr spannend, als man hier sehen kann, daß die bloße Präsenz einer plastischen Figur auf einem Grund noch nicht genügt um Raum zu konstituieren. Obwohl ich diesen letzten Ausspruch nicht in aller Allgemeinheit riskieren würde, weil ich nämlich meine, daß es hier nicht nur um eine negative Tatsache geht, sondern auch um eine positive. Ich meine, Bacon hat hier nicht so einfach keinen Raum geschaffen, sondern er hat das Aufkommen von Raum verhindert, er hat statt des Raumes etwas anderes gemalt. Und wenn man nicht in diesem Sinne extra was dagegen tut, dann könnte es schon sein, daß im Großen und Ganzen die Präsenz einer plastischen Figur auf einem Grund einen Raum konstituieren wird.

Und jetzt ist es natürlich nicht mehr schwer zu verstehen, was Bacon da gemalt hat, bzw was dieses Schwarz ist: Es ist eine Fläche. Zur Fläche gestalteter Grund. Dieses Bild zeigt auf extreme Weise, wie stark bei Bacon die Fläche ist, und wie schwach der Raum. Die Fläche ist so stark, daß sie sogar bei äußerster Plastizität der Figur die Räumlichkeit unterdrücken kann. Die Flächigkeit hindert uns daran, zwischen den Körpern jene Art von Beziehung herzustellen, die ein ihnen gemeinsamer Raum wäre. Die Figuren, möchte ich sagen, perlen ab von dieser Fläche wie Quecksilber von einer Glasplatte.

Der dünne Raum

Von dieser Beobachtung aus gehen wir nacheinander in verschiedene Richtungen. Zuerst stelle ich die These auf, ich kann sie nicht ausreichend verteidigen freilich, daß der Raum bei Bacon immer schwach ist. Es gibt einen Sager von ihm selbst in der Richtung, daß der Raum bei ihm nur die Rolle spielt, die Erscheinung der Figur überhaupt zu ermöglichen. Das ist meines Erachtens nicht genau genug - um daraus etwas Interessantes machen zu können, muß man den Rahmen erweitern, muß man eben den Begriff des Ortes mit einbeziehen. Aber in ihrem negativen Grundton ist natürlich etwas Richtiges an der Aussage, daß der Raum als solcher nicht ein Gegenstand sozusagen substantieller Gestaltung ist bei Bacon. Was nicht heißt, daß nicht sehr interessante Konstruktionen von Räumen vorkommen, aber die werden indirekt erzielt, wie zb, das ist wahrscheinlich der eindrucksvollste Fall, in dem roten Papst. Da geht es über die Gestaltung des Ortes. Sehr viel häufiger sind Räume bei ihm aber konstruiert in einem Widerspiel von Ort und Fläche. Die Flächen sind wie Paravents, bilden dadurch Verschläge, die man als Räume ansprechen kann, denen dann durch einen Ort, auf dem die Figur ist, noch zusätzliche Struktur gegeben werden kann. Der Raum bei Bacon ist nicht substantiell gestaltet, er hat keine selbständige Präsenz, er ist mit einem Wort dünn. Ein wahrscheinlich unübertreffiches Bild für das, was ich meine, hat Jean-Louis Schefer gefunden, in seinem Beitrag zu dem Centre Pompidou Katalog, er spricht von einem '... espace raréfié, l'air aspiré par une pompe... '. Die Fläche hingegen ist ein Gegenstand allerintensivster Aufmerksamkeit und Gestaltung bei Bacon. Ich zeige Ihnen noch ein Beispiel, wo sie diese Dominanz der Fläche über den Raum sehen können; hier gibt es, im Unterschied zu den Three Studies..., sehr wohl einen Ort und einen Raum:

Abbildung 12-5. Mitteltafel Triptychon, 1972

Da haben wir so einen typischen dünnen Raum. Es gibt die Trennung von Boden und Hintergrund, rechts und links ist der Hintergrund wie bei ihm üblich so eine monochrome Fläche etc. Es gibt die Figur mit der Andeutung des Ortes in Gestalt dieses rosa, zungenartigen Flecks. Und dann gibt es hinter der Figur das große Schwarz. Wir können einen Türrahmen erkennen, und dadurch sind wir aufgefordert, das Schwarz als den leeren Raum zu verstehen, hinter der Schwelle dieser Tür. Aber genau das findet nicht statt. Die Figur - einfache oder Doppel-Figur - hat keine Beziehung zu irgendeiner Tiefe dieses Raumes. Man kann sich von gar nichts vorstellen, daß es in diesen leeren Raum hineinragt. Ich verstehe das Bild so, daß da keineswegs ein Mangel vorliegt - daß es ihm nicht gelungen wäre, den Raum in dieser Türöffnung zu malen; sondern genau umgekehrt, es ist ihm etwas besonders Schwieriges gelungen, nämlich dort eine Fläche zu malen, wo wirklich alles, vor allem natürlich der Türrahmen, darauf hinarbeitet, daß dort ein Raum ist. Er hat sich die Fläche sozusagen erkämpft. Also das ist die eine Sache, bzw die eine Richtung gewesen.

Ort und Figur

Das zweite ist wichtiger und betrifft die Aufklärung, die uns so ein Bild wie die Three Studies... über das Verhältnis von Ort und Figur geben kann, gerade durch das Fehlen des Ortes. Meine These - auch hier übertreibe ich natürlich wieder - ist sehr einfach: Es gibt bei Bacon gar keine wirkliche Realisierung der Figur im Gemälde ohne einen Ort. Das ist es, was die Three Studies... zeigen. Sie müssen bedenken, daß in diesem Bild wirklich die tiefste Unsicherheit besteht bezüglich der Identität der Figur. Ist es eine, sind es drei? Die Figur gewinnt als Figur keine wirkliche Identität. Ich glaube, ein wichtiger Begriff hier wäre der der Studie als solcher. Klar, das sind Ansätze zu Figuren oder zu einer Figur. Aber sie sind, um einen Ausdruck zu verwenden, der bei Bacon selbst gerechtfertigt werden kann, sie sind nicht festgenagelt auf eine Identität, und das sind sie deshalb nicht, weil sie nicht angenagelt sind an einem Ort. Es sind Studien zu Figuren oder zu einer Figur, aber es ist noch nicht wirklich eine Figur realisiert.

Bacon ist immer wieder gefragt worden, wozu diese 'Gestänge' und die ovalen Orte eigentlich gut sind. Und er hat da so eine Standardantwort parat gehabt, die lautet: 'Ich setze meine Figuren auf diese Ovale oder in diese Käfige, damit man sie sehen kann.' Also das ist übrigens so eine Stelle hier, wo klar wird, daß das, was die Figur sichtbar zu machen erlaubt, eben in letzter Instanz nicht der Raum ist, sondern der Ort. Aber das interessiert uns jetzt nicht, sondern der positive Inhalt der Auskunft. Sie ist ja erkenntbar schnippisch, ein bißchen kokett. Aber etwas steckt auf jeden Fall drin, nämlich daß die immanente Gestaltung der Figur, das was wir zB als die Plastizität bezeichnet haben, noch nicht das ganz wiedergibt oder umsetzt malerisch, was er unter Figur versteht. Er impliziert mit seiner Antwort, daß solche Körper wie die in den Three Studies... eben noch nicht automatisch als Figur sichtbar sind. Die Figur gewinnt ihre Identität als sichtbare Figur erst durch so einen Ort.

Das ist natürlich jetzt eine Bemerkung, die mehr Fragen aufwirft, als sie klärt. Wenn das so ist, muß er ein Verständnis von Figur gehabt haben, das sehr anspruchsvoll ist, das weit über alles hinausgeht, was wir bisher in Betracht gezogen haben. Und so ist es in der Tat. Bevor ich mich aber dieser Frage zuwende, mache ich eine kleine Nebenbemerkung zum historischen Hintergrund.

Historischer Hintergrund

Die Spannungen, die wir zuletzt notiert haben zwischen Flächigkeit, Raum, Plastizität sind fundamentale Probleme der post-impressionistischen Malerei insgesamt gewesen. Klarerweise sind sie in der langen Zeit seither auf die verschiedensten Weisen empfunden und artikuliert worden, ganz zu schweigen von der Vielfalt der Lösungen. Aber da Bacon hier in der Tat eine eigenartige Position einnimmt, ist das doch eine Möglichkeit, ihn auf eine übergreifende Entwicklung zu beziehen. Ich möchte zwei Punkte hervorheben, in denen die Nachfolger um die Jahrhundertwende und bis zum ersten Weltkrieg sich gegenüber dem Impressionismus profilieren wollten. Sie hängen miteinander zusammen, diese zwei Punkte, aber auf die Details des Zusammenhangs gehe ich nicht ein. Also erstens der Wunsch, wieder eine Objektivität zu gewinnen, die im Impressionismus preisgegeben schien. Der Wiedergabe einer zwar komplexen, aber doch augenblicklichen Empfindung (augenblicklich im buchstäblichen Sinn) eine Wiedergabe oder Schöpfung der Gegenstände oder Situationen so wie sie (an sich) sind gegenüberzustellen. Dieses Bestreben kann sehr verschiedene Formen annehmen, es ist bei Matisse ebenso lebendig wie bei Kandisky oder den Kubisten. Bei Kandisky zB liegt ein starker Akzent auf der Spiritualität dieses Objektiven, das sich also nährt aus dem Bezug auf eine geistige Wesenheit, reine Form etwa, oder Wesen der Farbe Blau. Bei den Kubisten geht es eher darum, daß in der Vielfalt der Erfahrung oder einfach der Wahrnehmungen, die wir von dem Ding haben können, die Komplexität, die es als objektives hat, liegt; und daß ein Weg zu finden ist, wie das objektive Ding malerisch aus diesen Erfahrungen heraus synthetisiert werden kann. Also das Bild des Dinges dadurch objektiv machen, daß man in ihm die verschiedenen Ansichten, die man davon haben kann, alle zusammen präsent macht. Es ist ganz klar, daß schon allein mit dieser Aufgabenstellung die Fragen der Räumlichkeit, des Volumens, der Plastizität hohe Dringlichkeit bekommen.

Der andere Punkt hängt an genau dieser Stelle damit zusammen, da geht es um die Zweidimensionalität - die Überwindung der grundsätzlichen Flächigkeit (im Sinne der 2-Dimensionalität) des Impressionismus. Der Körper, das Volumen soll wieder erobert werden. Aber natürlich nicht unter Preisgabe der Fortschritte, die der Impressionismus gebracht hat. Also keine Rückkehr zur Perspektive. Den Körper, den Raum, das Plastische mit neuen Mitteln erobern.

Clement Greenberg erzählt eine ziemlich einfache Geschichte über den Kubismus, also vor allem Braque und Picasso: Die erste Phase ist das, was ich eben beschrieben habe: Herumgehen um den Gegenstand und Analyse des Gesehenen in Flächenstückchen; diese Flächenstückchen werden gewissermaßen mitgebracht von dem Rundgang, und dann erneut zusammengesetzt auf eine Art und Weise, die uns durch gleichzeitige Konfrontation mit verschiedenen Ansichten die Plastizität des Gegenstandes vermittelt. Dieses Verfahren birgt aber nach Greenberg eine innere Dynamik, die in eine zweite Phase der Geschichte treibt. Vor allem wenn diese Flächenstückchen immer kleiner werden, tendieren sie dazu, eine Gesamtfläche zu bilden, die erstens immer weniger Tiefe vermitteln kann, und die zweitens der tatsächlichen Fläche der Leinwand sozusagen von hinten immer näher rückt. Es gibt ja auf jeden Fall noch Räumlichkeit in dem imgainären Abstand des Gemalten von der Leinwand, der darin besteht, daß wir sozusagen durch das Bild hindurch in einen erweiterten Raum hinein oder hinaus zu schauen meinen (eine Lieblingsvorstellung von Greenberg); nur wird auch dieser Abstand immer geringer. Er verwendet das Wort 'Dekoration': Die vielen kleinen Dreieckerln etc, die von den Rundgängen um den Gegenstand mitgebracht worden sind, werden wieder arrangiert und bilden tendenziell als Ganzes eine gemusterte Fläche, statt einen Raum, eine Tiefe, ein Volumen zu realisieren. Wenn dieser gemalte Zusammenhang endgültig von hinten auf die Bildfläche aufklatscht, dann ist das ganze in der Tat zur Dekoration geworden - dann ist da nichts als eine mit den Dreieckerln gefällig übersäte Leinwand. Daher liegt eine Entwicklungslogik des Kubismus darin - und das ist jetzt das dritte Kapitel der Geschichte -, immer neue Mittel zu erfinden, wie man diese gemalte Fläche, die eigentlich den Anspruch erhebt, ein Raum zu sein, noch fernhalten kann, vor jenem Aufklatschen bewahren kann. Von solchen Mitteln gibt es eine ganze Reihe, typisch sind etwa die Lettern, die großen Druckbuchstaben, teilweise Wörter oder Wortfragmente, die auf einmal in die Bilder gemalt werden. Klar: So ein Druckbuchstabe, breit und bombastisch hingemalt, hat überhaupt keine Tiefe, der ist das Flachste was es gibt. Alles, was von dem abgedeckt wird, ist auf jeden Fall sehr viel weiter hinten. Der Buchstabe sitzt vorn auf der Leinwand drauf, die dadurch wie eine Glasscheibe wirkt, hinter der der leere Raum, und irgendwo in ihm die Objekte liegen. Aber auch die echte Collage gehört in diesen Zusammenhang, das Einfügen von Gegenständen in das Bild: Damit wird Tiefe in der anderen Richtung erzeugt, durch Besetzung des Raumes vor dem Bild.

In Wahrheit ist diese Geschichte natürlich zu einfach, aber die Probleme, von denen sie erzählt, haben wohl bestanden. In dem Buch von John Golding, das ich in der Literaturliste habe, können Sie eine Menge Interessantes lesen über Differenzen von Picasso und Braque. Daß es, bei sehr ähnlichen technischen Mitteln, Picasso lange Zeit mehr um die Darstellung von Volumen geht, Braque um den Raum selbst. Also daß Braque den Raum selbst, die Abstände der Dinge, Nähen und Fernen, darstellen wollte. In beiden Fällen spielen Einflüsse von Cezanne eine enorme Rolle, mehr noch wohl bei Braque. Ich habe diese historische Andeutung gemacht nicht weil ich irgendwelche positiven Parallen herausheben will zu Bacon, sondern weil es die Art von Problemstellung ist, auf die man ihn beziehen kann und wo man auch seine Originalität erkennen kann. Daher ist diese Differenz mit dem Interesse an Volumen oder Raum für uns auch mindestens so instruktiv wie die Gemeinsamkeiten. Es soll kein überlieferter Code verwendet werden, um Volumen oder Raum zu suggerieren. Die Fläche spielt eine entscheidende Rolle, aber ob wir durch sie Volumen oder Raum direkt auf der Leinwand herstellen ist ein Unterschied, und in beiden Varianten gibt es dann nochmal unzählige verschiedene Möglichkeiten, das zu realisieren. Und in diesem gewissermaßen theoretischen Kontext ist Bacon's Lösung interessant, vor allem im Gegensatz zu Braque natürlich.