Vorlesung 8. Wissen, Zeichen, Ähnlichkeit

Inhalt
Nachtrag zum letzten Mal und Übergang zu Foucault
Foucault über Ähnlichkeit und Repräsentation

Wir haben uns vorige Woche mit der Deutung der platonischen Ideenlehre auseinandergesetzt, die Deleuze in dem Text über das simulacrum gegeben hat. Ich habe das nicht behandelt in der Absicht, die philosophischen Möglichkeiten, die da drinstecken, zu würdigen oder gar auszuschöpfen, da erinnere ich jetzt auch nur an jene eine Geschichte, daß wenn wir den Platonismus in diesem Sinne umkehren, im Sinne eines Triumphes der Trugbilder, daß dann ein zentrales Motiv die Aktivität des Trugbildes ist, die Imitation als Aktivität. Sondern ich habe das behandelt, um Ihnen zu zeigen, wie vielfältig und auch in ihrer Vielfalt wichtig die Perspektiven sind, unter denen man sich mit dem Verhältnis von Ursprung, Bild, Anblick, Repräsentation zu beschäftigen hat. Ich wollte im Grunde nicht mehr sagen als daß der in jenem Text entwickelte Begriff des simulacrum eben eine Möglichkeit ist, wie man sich so einen von seinem Ursprung emanzipierten reinen Anblick vorstellen kann, ich wollte nicht einmal sagen, daß der Anblick des Herrscherpaares in dem Spiegel in den 'Meninas' als simulacrum in diesem Sinne zu verstehen ist.

Am Ende der Vorlesung wollte ich dann noch ein oder zwei Kommentare abgeben zu der ganzen Sache, aber damit bin ich nicht fertig geworden. Da hole ich heute ein wenig nach, dann kommen wir zu der These von Foucault über den Bruch, der der klassischen Episteme der Repräsentation zugrunde oder voraus liegt, und dann sehen wir uns kurz eine oder zwei philosophische Kontexte an, wo eventuell bestätigt oder zumindest deutlicher gemacht werden kann, was er da gemeint hat.

Nachtrag zum letzten Mal und Übergang zu Foucault

Nachtrag zum simulacrum

Meine erste Bemerkung am Schluß der letzten Vorlesung war, daß solche Theorien wie die Plato's oder die von Nietzsche oder Deleuze, daß solche Theorien also zunächst als bloße Denkmöglichkeiten betrachtet werden müssen und nicht mehr. Im doppelten Sinne: Sie haben relativ wenig mit den konkreteren Inhalten des Wortes Bild zu tun, und sie können auch nicht unmittelbar den Anspruch stellen, sonst irgendeine Wirklichkeit wiederzugeben oder zu erklären. Die zweite Bemerkung war dann vor allem gegen diesen letzten Punkt gleich das Gegengift: Wenn auch nicht direkt, sondern auf komplizierte Weise haben derartige Theorien natürlich sehr wohl etwas mit gewissen Wirklichkeiten zu tun. ZB ob es leicht ist oder schwierig, die Dinge so zu denken wie Plato, und ob es schwerer ist sie so zu denken, wie Nietzsche nach der Interpretation von Deleuze sie denken wollte - das ist eine Frage, die offensichtlich eine Menge damit zu tun hat, wie wir auch außerhalb der Philosophie Bilder begreifen, wie wir Bilder herstellen, was wir damit machen, wie wir sie benützen etc. Und wie wir die verschiedenen Praktiken, die mit Bildern zu tun haben, aufeinander beziehen, ob wir denen sozusagen gegenseitige Relevanz zugestehen oder nicht. Wenn Bilder in unserer normalen Welt nie anders verwendet würden als zur Täuschung, also wenn in jedem Fall wo jemand sagt: 'Ah nein, das ist ja nur ein Bild!' das bedeutet, daß der Wahrheitsanspruch oder Dokumentations-Anspruch, der gestellt worden war, nichtig ist - dann wäre sehr Vieles anders. Dann müßten wir solche philosophische Aussagen wie etwa die von Wittgenstein: 'Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit' radikal anders verstehen als wir sie bisher verstanden haben. Ehrlich gesagt glaube ich daß unter solchen hypothetisch veränderten Voraussetzungen überhaupt nichts von dem, was wir als Vorverständnis gegenüber einem Text wie dem Tractatus üblicherweise gelten lassen, noch die geringste Bedeutung hätte. In diesem Sinne von Wirklichkeitsbezug ist es wichtig - aber eigentlich auch banal -, daß so eine Theorie wie die Plato's über die wahrhaften Bilder natürlich zugleich existiert mit einer - wie ich gesagt habe - bereits hoch entwickelten Technologie des Trugbildes.

Wenn wir so eine Koexistenz zum Ausgangspunkt nehmen, dann sprechen wir also von einem Raum, in dem sie beide sind, und in dem es natürlich noch die verschiedensten anderen Agenturen gibt, über diese zwei heterogenen Dinge hinaus, diese bestimmte Theorie und dieses bestimmte Bündel von Technologien. A priori kann man nichts sagen über die Strukturen so eines Raumes, also auch nichts über die Verhältnisse der Agenturen zueinander. Oder jedenfalls nur sehr wenig. ZB kann man annehmen, daß die platonische Abbild-Theorie, nennen wir das mal so, daß von der aus relativ wenig zu sagen ist über die Technologie des Trugbildes außer: Daß der Technologie kein Wahrheitsanspruch zugestanden werden kann. Aber man kann nicht sagen, ob das irgendwelche Konsequenzen hat. Das hängt davon ab, welche Rolle die Theorie in Zusammenhängen spielt, die auch noch weitere Instanzen mit einbeziehen. ZB: Wer überhaupt Wahrheitsansprüche stellt, wer um Wahrheitsansprüche konkurriert, wie wichtig die sind etc. Da spielt das Erziehungssystem ein große Rolle: Wie wird welches Wissen tradiert, wird das Wissen der Techniker auf eigenen Wegen oder zusammen mit philosophischen Theorien tradiert? Die technologische Entwicklung als solche braucht ja auch einen input an Wissen. Die Philosophen haben sich leider angewöhnt, solche Beziehungen auf eine allzu sterile Art zu sehen, nämlich immer nur unter dem Gesichtspunkt, daß die Philosophie sozusagen die Begründungswissenschaft für alle anderen Arten von Wissen ist. Aber das können die Philosophen nur sich selbst erzählen, das hat keine Relevanz. Das Traurige daran ist nicht allein die Überheblichkeit, sondern der Umstand, daß man auf diese Weise nie in den Blick bekommt die tatsächlich stattfindenden Einflüsse, die es von der Philosophie klarerweise auch gibt auf andere Instanzen und Institutionen, in denen es um das Wissen geht.

So ein Wort wie Gesellschaft ist hier auch viel zu schwammig, ich meine das kann man nicht nehmen als eine Konkretisierung jenes Raumes. Sozusagen: Im gesellschaftlichen Raum gibt es die Technik, und es gibt die Philosophie, und jetzt schauen wir nach, wie sich die zueinander verhalten. Das ist zu wenig. Nachdem wir nicht davon ausgehen können, daß wir wissen, was eine Gesellschaft ist, könnte das ja auch etwas sehr Komplexes sein, wo sich Technik und Philosophie sozusagen auf verschiedenen Ebenen, in ganz verschiedenen Querschnitten und Kontexten immer wieder gegenüberstehen. Das Interessante und Wichtige sind dann diese Querschnitte und Kontexte, und nicht die Gesellschaft. Und wenn Sie dann noch eine eigene Dimension der Entwicklungen hinzunehmen, dann sehen Sie wie schwierig diese Dinge sind.

Übergang zu Foucault

Wie gesagt, wir können nicht apriori angeben oder festlegen, wie solche Räume der Koexistenz strukturiert sind. Es werden historisch verschiedene Versuche gemacht dazu, klar. Der Begriff 'Gesellschaft' ist ein solcher Versuch gewesen. Ein anderer Versuch, mit dem wir jetzt zu tun kriegen werden, operiert mit dem Begriff des Wissens. Wir nehmen uns sozusagen vor, so einen Koexistenz-Raum als ein Wissen zu interpretieren, alle seine Relationen und Inhomogenitäten als Inhomogenitäten eines Wissens. Nicht als ein Gewußtes, sondern als das Wissen. Also wir wollen uns nicht vorstellen, daß Wissen etwas Bestimmtes ist, eine bestimmte Substanz oder ein bestimmter Inhalt, und dann schauen wir uns an, wie es verteilt wird in dem Raum etc, welche spezielleren Formen es annimmt etc. Nein, wir wollen oder sollen uns vorstellen, daß das Wissen selbst eine Verteilung ist, die auf ihre eigene Weise solche Agenturen wie die Technik und die Philosophie, oder die Erziehung und die Politik in Beziehungen stellt.

Wenn wir das so annehmen, uns das so vorstellen einmal, dann haben wir mindestens zwei neuralgische Punkte der Besonderung oder der Entscheidung. Erstens haben wir uns auf der allgemeinsten Ebene eben entschieden für die Rekonstruktion jenes Raumes als Wissen. Und nicht als Gesellschaft oder als Kultur oder als Maschine. Und dann haben wir aber innerhalb dieses Vorhabens noch mit einer Varianz zu rechnen. Das eine Wissen strukturiert den Raum so, ein anderes anders. Nicht jedes Wissen muß dieselben Agenturen überhaupt mit einbeziehen. Eine der berühmtesten Thesen Foucault's lautet zB, daß die Agentur Subjekt erst im nachklassischen Wissen auftaucht. Oder die Gesellschaft: Für das Wissen ist die Gesellschaft zweifellos auch erst eine relativ späte Entdeckung. Jetzt bin ich ja schon bei Foucault gelandet. In einem Buch mit dem Titel L'archéologie du savoir, das ist 1969 erschienen, hat er auf einer ziemlich allgemeinen Ebene überlegt, wie man ein Wissen in dem Sinn, wie wir das gerade besprechen, beschreibt. Er verwendet dort den Begriff 'Diskurs', das ist nicht ganz das gleiche wie 'Wissen'. Man könnte sich vorstellen, daß das Wissen einer bestimmten Epoche zB durch eine Vielzahl von Diskursen bestimmt ist. Was nicht bedeuten muß, daß das Wissen eine Leistung der Integration von Diskursen erbringt, es mag sich ebenso gut um eine Leistung der Des-Integration handeln. Aber trotzdem können wir den Unterschied jetzt vernachlässigen, weil in der Beschreibung der Diskurse sowieso auch die Funktion der Abrenzung nach außen und des Transfers zu anderen Diskursen hin ihren Platz hat.

Wie man also so ein Wissen beschreibt: In der Hauptsache geht es darum, eine Reihe von sogenannten Formationen zu analysieren, die Formation der Gegenstände, die Formation gewisser Modalitäten für zulässige Äußerungen, die Formation von Strategien. Also da sind Fragen zu beantworten wie etwa: Wer kann unter welchen Umständen was sagen? Kann jemand, der nicht in einem Hörsaal einer Universität steht, sondern zB in einem Spital am Bett eines Patienten, eine wissenschaftliche Aussage machen? Oder die Frage nach dem, was als legitime Verknüpfung von Aussagen gilt: Unter welchen Umständen kann eine Aussage die Verläßlichkeit einer anderen Aussage erhärten? Da sind ja enorm verschiedene Auffassungen möglich, zB kann man antworten, daß eine Aussage des Papstes die Verläßlichkeit einer gleichlautenden Aussage jedes beliebigen italienischen Politikers erhärtet. Jemand anderer gibt das aber vielleicht nicht zu, sondern behauptet, daß die Triftigkeit einer Aussage A von einer anderen Aussage B nur in dem Maß erhärtet werden kann, wie A aus B logisch folgt oder sowas. Wir können auf alle diese Dinge jetzt nicht eingehen, das sind nur ganz ungefähre Hinweise. Jedenfalls aber sage ich Ihnen: Im Lichte der Gedanken von Foucault, aber auch wenn man methodologisch anders an die Sache herangeht, ist die Zeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert in Europe eine Periode enormer Veränderungen und Brüche im Wissen. Es handelt sich insbesondere um radikale Veränderungen im Verhältnis von Kunst, Wissenschaft und Technik. Komptenzen, die in der Antike als handwerkliche wahrgenommen worden sind, bekommen den status freier Künste, die um ihrer selbst auszuüben sich lohnt - wir haben das am Fall der Malerei schon mehrfach angesprochen, in Zusammenhang mit der Karriere von Velazquez; und dann bekommen sie gar noch den status einer Wissenschaft. Oder das Einsickern mathematischen Wissens in die Ausbildung von Handwerkern, die umgekehrte Richtung gleichsam. Und es gibt viele Indizien, daß ein ausgezeichneter Drehpunkt für alle diese Veränderungen und Umbrüche die Disziplin der Optik war, die Frage der Sichtbarkeit. Handwerk, Kunst, Technik, Wissenschaft und Philosophie, wir dürfen auch die Theologie wohl nicht vergessen, raufen vor allem auf diesem Gebiet um eine völlige Neuordnung ihrer Zuständigkeiten. Also die Probleme, mit denen die 'Meninas' uns konfrontiert haben, sind wahrlich nicht Scherze eines Malers, der besonders sophisticated gewesen ist, sondern das sind Elemente eines enorm bedeutsamen und dynamischen Prozesses. Und wir könnten jetzt also weitere Vertiefung suchen für unsere Fragestellungen, indem wir auf diese wissenschafts- und ideengeschichtlichen Dimensionen eingehen. Aber wir machen das nicht in dieser Allgemeinheit, sondern sehen uns eine in mancher Hinsicht viel speziellere These von Foucault an.