Plato, Deleuze und das Trugbild

Ich möchte, wenn ich jetzt auf einen bestimmten kleinen Text von Deleuze zu sprechen komme, vorher noch einmal ausdrücklich festhalten, daß dieser überhaupt keine Antworten auf irgendwelche von uns aufgeworfene Fragen direkt präsentiert. Er wird uns in seinem eigenen sehr speziellen Zusammenhang ein Verständnis für den Begriff des Trugbildes oder des simulacrum bieten, aber daraus dürfen Sie bitte nicht die Folgerung ziehen, daß dieser Begriff nun tatsächlich eine Rolle spielt in den 'Meninas'. Das wäre eine sehr komplexe Frage, ob es so ist. Ein paar wenige Hinweise werde ich später dazu noch geben. Aber vorläufig soll dieser Exkurs nur eine Anregung sein zum weiteren Nachdenken.

Platon et le simulacre

In Logique du sens gibt es einen Anhang mit dem Titel Simulacre et philosophie antique; der Anhang hat selber wieder zwei Teile, und der erste davon heißt: Platon et le simulacre; dieser Text ist glaube ich an anderen Stellen auch unter anderer Bezeichnung veröffentlicht, Renversement du Platonisme, glaube ich. Das ist auch die Sache, um die es geht, eine Umkehrung oder Umstülpung des Platonismus.

Es handelt sich um einen sehr schönen Text übrigens, ein wunderbares Beispiel der Kunst philosophischer Interpretation, in der Deleuze seinesgleichen so bald nicht finden wird. Er stellt zuerst einmal fest, was nach allgemeiner Ansicht die Rolle des Bildbegriffes in der platonischen Ideenlehre ist; dann entwirft er eine sehr davon abweichende Skizze dessen, was Plato tatsächlich wollte mit dieser Theorie; und dann erst kommt er auf die Sache einer radikalen Umstülpung der platonischen Intentionen.

Traditionelle Deutung

Ein großes Thema der platonischen Ideenlehre ist ja, wie über die Dinge oder Phänomene oder Daten, die kein wahrhaftes, dh verläßliches und selbständiges Sein haben, gleichwohl ein sinnvoller Diskurs in Gang gebracht werden kann. Erscheinungen die vergänglich sind, die für den Anderen sich anders darstellen als für den Einen, deren gegenseitige Abhängigkeiten keine konstanten Regeln offenbaren - wie soll über die ein Wissen etabliert werden? Eine der angebotenen Antworten lautet: Wir können das nur etablieren, wenn wir diese Erscheinungen begreifen als Bilder von anderen Wesenheiten, die ihrerseits sehr wohl durch ein wahrhaftes und verläßliches Sein ausgezeichnet sind. Das Wort Bild ist hier recht vage: Im Grunde, könnte man sagen, bezeichnet es nur irgendeine regelmäßige Beziehung auf jene wahrhaften Wesenheiten. Das von Plato auch verwendete Wort Teilhabe erfüllt, auf dieser abstrakten Ebene, denselben Zweck. Aber anderseits ist es natürlich doch aussagekräftig, daß er die Beziehung als eine bildartige ansehen will.

Ein Problem, das mit dieser Antwort Plato's freilich sofort sich stellt, ist: Wie findet man jene Wesenheiten? Man kann sie ja nicht ausgehend von den unverläßlichen Erscheinungen finden, das wäre paradox. Man muß sie in den Diskurs, in die Rede, auf eine sehr spezielle Weise erst einbringen. Wer Genaueres über diese spezielle Weise erfahren will, hat mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Da ist Plato nicht leicht zu verstehen. Traditionelle Mythen und Kunstmythen spielen da eine Rolle, eigentümliche Argumentationsweisen der Mathematik etc. Aber ersparen wir uns dieses Probleme und nehmen wir an, wir hätten jene sogenannten Ideen gefunden. Dann ist natürlich wieder die umgekehrte Frage da: Wie kommen wir von ihnen zu den Erscheinungen zurück? Wir haben sie ja nicht nur gesucht, die Ideen, um aus unserer Welt zu flüchten in die ihre, das wäre erst zutreffend auf sehr viel spätere und spezielle mystische Interpretationen Plato's. Wir haben sie ja gesucht, weil wir von ihnen eine Möglichkeit erhoffen, einen Diskurs über unbeständige Phänomene zu führen. Und da kommt nun der Auftritt eines weiteren sehr wichtigen Begriffes, des Begriffes der Einteilung (division). Was als Wesenhaftes erkannt ist, läßt sich einteilen, udh die Erkenntnis läßt sich spezifizieren. Die Erkenntnis ist nicht auch schon wieder am Ende, wenn die Wesenheiten, die Ideen, gefunden sind, sondern es ergibt sich dann noch ein Mehr an Wissen von ihnen aus. Ob man dann zB mit der Einteilungs-Methode auf Dauer im Reich des wahrhaft Seienden verbleibt und dort gewissermaßen nur Differenzierungen schafft oder nachzeichnet, oder ob es da einmal einen besonderen Schritt gibt zu dem Unbeständigen hin - das ist wieder eine eigene Frage; eigentlich muß es solch einen Schritt ja geben. Und durch den wird dann das ermöglicht, was wir von Anfang an wollten. Wir reden über unbeständige Erscheinungen, aber wir können in dieser Rede gleichwohl eine gewisse Ordnung wahren, weil wir sagen können: Das da ist eine Erscheinung von dieser oder jener Idee, das ist eine Erscheinung von einer anderen etc. Wobei Erscheinung eben bedeutet: Es ist ein Bild von ihr, und es hat im Sinne der Abbildhaftigkeit an ihr teil, es partizipiert an ihrer Wahrhaftigkeit.

Und nun akzentuiert die überkommene Deutung Plato's das immer in einer bestimmten Richtung, nämlich in der Richtung sehr simpler Dichotomien. Da gibt es den wahren Diskurs, das ist der der Philosophie - oder Dialektik, wie es auch heißt; das ist jener ausgezeichnete Diskurs, in dem wir uns primär auf die Ideen beziehen; und dann gibt es noch den anderen Diskurs, der auch irgendwie funktioniert, aber nur insoweit er sich seine Legitimation von dem wahren Diskurs erborgt - er ist nicht aus sich selbst heraus wahr. Es gibt die Ideen und ihre Abbilder. Die Wesenheiten und die Erscheinungen. Originale und Kopien. Und die Methode der Einteilung hätte gleichsam zum Ziel, die Potentiale, die mit der Einsicht in die Ideen gegeben sind, so weit wie möglich auszudifferenzieren, kontinuierliche Spezifikation heißt das.

Und da hat schon Aristoteles gegen Plato den Vorwurf erhoben, daß auf diese Weise Erweiterung des Wissens eigentlich nicht erklärt werden kann, durch die Vorstellung bloßer Einteilung. Der Begriff 'Einteilung' verbirgt eher das wesentliche Element eines solchen sich erweiternden Diskurses, nämlich die Handlung, mit der ein item einem anderen untergeordnet wird. Eine Einteilung setzt das immer schon voraus. Den tatsächlichen Pointen des aristotelischen Vorwurfs wollen wir jetzt nicht nachgehen, ich habe ihn nur erwähnt, weil hier das zweite Stadium in dem Text von Deleuze beginnt.

Avancierte Deutung

Deleuze sagt, daß die Einwände des Aristoteles so sehr auf der Hand liegen, daß man nicht annehmen kann, daß Plato selbst sie sich nicht auch gemacht hätte. Also er meint, Plato kann das, diesen Gedanken der Einteilung als Mittel fortschreitender Spezifikation, einfach nicht gehabt haben. Sondern er muß damit von Anfang an eine andere Pointe verbunden haben.

Diese Pointe ist mit dem Wort Selektion bezeichnet. Bei der Einteilung, der Division, geht es nicht um die fortschreitende Auffächerung des Anfangs, um die Auffächerung in Arten und Unterarten - sondern es geht um die Selektion, die Auszeichnung des einen und einzigen bevorzugten Vertreters oder Teilhabers jenes Anfangs oder Ursprungs. Um die Selektion desjenigen, der zwar natürlich nicht selbst Idee ist, aber von allen Kanditaten, die Anspruch darauf erheben, an der Idee teil zu haben, der richtige ist, der Eine und Einzige eben. Deleuze sagt, statt um die Auffächerung der Unterarten geht es um die Auszeichnung einer Abstammungslinie, einer Genealogie also, die zu dem bevorzugten Repräsentanten führt.

Er gibt Beispiele aus den platonischen Texten, die diese Interpretation plausibel machen. Ich möchte nur eines davon erwähnen, weil das ein Text ist und ein Thema, mit dem ich mich auch sonst in meinen Vorlesungen immer wieder befasse, die Sache mit dem inspirierten Wahn im Phaidros. Ich gebe Ihnen da einen Hinweis auf meine Vorlesung aus dem Wintersemester 98-99, zur Einführung in die Philosophie der Renaissance; da habe ich in der vierten und fünften Vorlesung Ansätze einer Interpretation des Phaidros vorgestellt, mit einem Akzent auf den Zugang Marsilio Ficino's. Jetzt im Augenblick muß es uns genügen zu erinnern, daß Sokrates dort zwar sehr wohl eine Einteilung des inspirierten Wahnes in verschiedene Unterarten gibt, den prophetischen, den exorzistischen, den dichterischen Wahn unterscheidet er zB; aber in der Tat könnte man sagen, daß das, worum es eigentlich geht, nicht dieser Überblick als solcher ist, sondern die Auszeichnung einer ganz bestimmten Form des inspririerten Wahns als des wahrhaft inspirierten - das ist der philosophische Enthusiasmus natürlich. Also das ist kein schlechtes Beispiel für die Interpretation von Deleuze. Der Sinn der Einteilung, sagt Deleuze, ist die Überprüfung, die Rechtfertigung einer Anwartschaft, und zwar ist das natürlich, das Wort habe ich ja schon verwendet, die Anwartschaft auf die ausgezeichnete Repräsentation. Also in Wahrheit, so Deleuze, handelt es sich da um eine dreigliedrige Beziehung: Es gibt die Idee, das wahrhaft Seiende; dann kann man zweitens von einer in dieser Idee inkarnierten Qualität oder Besonderheit sprechen, die drittens der Anwärter, der prétendant, zu repräsentieren beansprucht. Er beansprucht natürlich nicht, sich an die Stelle der Idee zu setzen; avoir en second ist der entscheidende Ausdruck. Man kann diese drei Glieder auf verschiedene Weisen bennennen:

l'imparticipable - le participé - le participant
le fondement - l'objet de la prétention - le prétendant
le père - la fille - le fiancé

Ich glaube, die Idee ist klar.

Für uns ist im Grunde aber nicht dieser Gedanke als solcher interessant, die Gegenüberstellung der Selektion gegen die Auffächerung, sondern eine gewisse Konsequenz, die daraus sich ergibt: daß die wirklich entscheidende Opposition bei Plato letztlich gar nicht die vom Typ: Wesen gegen Erscheinung, Idee gegen Abbild, Original gegen Kopie ist, sondern die des wahrhaften und auserwählten Anwärters oder prétendant gegen die falschen, die scheinbaren Anwärter. Es handelt sich um die Auszeichnung der wahren, der getreuen Kopie gegenüber den trügerischen und betrügerischen Imitationen, Nachäffern und Schwindlern. Wir sind jetzt noch immer im zweiten Segment des Textes von Deleuze, wo es darum geht, was Plato tatsächlich wollte mit seiner Ideenlehre. Aber ich denke, Sie können sehen, daß das eine sehr interessante Interpretation ist, und daß da schon etwas herauskommt, was für unsere Überlegungen zu Velazquez relevant ist. Die Methode der Einteilung ist dazu da, unter einer Reihe von möglicherweise trügerischen Anwärtern auf die Repräsentation einer Qualität denjenigen zu erwählen, der wirklich teil hat an dem, was in der Idee wesenhaft ist, und der daher als Abbild, als treue Kopie gelten darf. Das Wort Ähnlichkeit dient quasi als Siegel dieser Auszeichnung: Unter allen Anwärtern ist die treue Kopie der einzige, der Anspruch auf Ähnlichkeit mit der Idee geltend machen darf. Ich lese da mal eine Stelle vor aus dem Deleuze [295sq]:

Les copies sont possesseurs en second, prétendants bien fondeés, garantis par la ressemblance; les simulacres sont comme les faux prétendants, construits sur une dissimilitude, impliquant une perversion, un détournement...

Also hier müssen wir natürlich vor allem feststellen einen bereits wesentlich schärferen Begriff von Ähnlichkeit, als ich bisher verwendet habe. Ja irgendwie geradezu entgegengesetzt der Art, wie ich das Wort bisher gebraucht habe: Denn hier wird Ähnlichkeit mehr oder weniger definiert als dasjenige, was die Beziehung getreuer Bildhaftigkeit ausmacht. Ähnlichkeit ist hier keineswegs das 'so ausschauen wie...'; so ausschauen wie ... - das bringen ja auch die faux prétendants fertig, das ist bei ihnen das Entscheidende sogar. Daß sie überhaupt mitmischen in der ganzen Geschichte. Aber dieses 'so ausschauen wie...', meint Plato, verdient den Titel der Ähnlichkeit nicht. Das muß mit einem anderen Wort bezeichnet werden, und dieses Wort ist 'Imitation'.

Wenn wir das in die Sprache zurückübersetzen, die ich bisher gebraucht habe und auch weiter gebrauchen werde, wenn wir diesen Exkurs hinter uns haben, dann heißt das: Deleuze konstatiert bei Plato einen Begriff der Ähnlichkeit, der jene Ursprungs-Bezogenheit bereits beinhaltet, die wir für den Bild-Begriff reserviert haben. Und für das, was wir Ähnlichkeit genannt haben, bleibt dann der Begriff der Imitation. Das ist eine terminologische Angelegenheit, aber das heißt nicht, daß die Angelegenheit harmlos wäre. Ich bin ja der Auffassung, daß die terminologischen Angelegenheiten nie harmlos sind, die Terminologie ist vor allem in der Philosophie die gefährlichste Sache, auf die man sich überhaupt einlassen kann. Aber ich will Sie nicht belästigen mit persönlichen Grillen. Ich weise nur auf das hin, was hier, an dieser Stelle unserer Überlegungen, nicht harmlos ist: Das ist die Inkongruenz zwischen Imitation einerseits, und der einfachen, symmetrischen Beziehung der Ähnlichkeit, die ich immer gemeint habe. Man kann sagen: In der Sprache Plato's bleibt für das, was ich Ähnlichkeit genannt habe, das, was das Trugbild überhaupt in dieses Spiel hereinbringt - daß es nämlich so ausschaut wie.... Also dafür bleibt bei Plato eben nur der Begriff der Imitation. Aber Imitation ist unserer normalen Redeweise nach wirklich was ganz anderes als Ähnlichkeit. Imitation kann man vielleicht verstehen als die Herstellung von Ähnlichkeit - aber das ist schon ein riesiger Unterschied. Wenn ein Ding ein sog Imitat eines anderen ist, dann ist jenes andere noch lange nicht ein Imitat des ersten. Sie können natürlich sagen, so muß es ja nicht gemeint sein. Es kann auch so gemeint sein, daß Imitation die Tätigkeit ist gewissermaßen, die dieses spezielle Verhältnis begründet zwischen einem Trugbild und dem, worauf es Anspruch erhebt. Aber was ist das Spezielle an diesem Verhältnis? Ähnlichkeit können Sie es nicht nennen, das Wort ist anderweitig vergeben. Wir werden wieder zurück verwiesen auf so eine Floskel wie: 'So ausschauen wie...'. Und das ist so in etwa das, was ich mit dem Wort 'Anblick' gemeint habe. Bei Deleuze gibt es da noch ein Beispiel, mit dem man sehr nahe herankommt an meinen Gebrauch des Wortes 'Anblick'. Im platonisch beeinflußten Christentum kann man sagen: Gott hat den Menschen nach seinem eigenen Ebenbild und in seiner Ähnlichkeit geschaffen; durch den Sündenfall hat der Mensch die Gott-Ähnlichkeit verloren, aber das Bild hat sich erhalten - der Anblick. ' ... l'honmme a perdu la ressamblance tout en gardant l'image [297]'. Also darauf will ich nur hingewiesen haben, daß da in der Terminologie doch ein gewisser Zündstoff drin steckt.

In dieser Theorie, die Deleuze aus Plato herausholt, ist das Positive die Aufladung des Ähnlichkeits-Begriffes mit dem Ursprungs-Faktor der Bildlichkeit. Also Ähnlichkeit ist nicht nur eine äußerliche Beziehung, die zwischen beliebigen Dingen konstatiert werden kann, sondern Ähnlichkeit, Kopie, Abbildlichkeit ist eine Beziehung der Ursprünglichkeit, des Ursprungs aus der Idee. Noch eine Stelle aus dem Deleuze [296]:

Le prétendant n'est conforme à l'objet que pour autant qu'il se modèle (intérieurement et spirituellement) sur l'Idée. Il ne mérite la qualité ... que pour autant qu'il se fonde sur l'essence... Bref, c'est l'identité supérieure de l'Idée qui fonde la bonne prétention des copies, et la fonde sur une ressemblance interne ou dérivée.

Und ein simulacrum, ein Trugbild, ist genau dadurch definiert, daß es diese innere Beziehung auf die Idee nicht hat. Das simulacrum kürzt sozusagen diesen Weg der Fundierung ab. Ein simulacrum ist nicht einfach nur eine Kopie der Kopie, ein simulacrum ist in dieser Theorie was grundlegend anderes als eine Kopie, eine getreue Kopie müssen Sie hier natürlich immer verstehen.

Was das simulacrum noch immer zu einem Mitspieler in dieser Situation macht, das was ich den Anblick genannt habe oder 'Wie es aussieht' - ist natürlich, wenn wir unserer Sprache nicht Gewalt antun wollen, in irgendeinem Sinn Ähnlichkeit; man kann dem versuchen Rechnung zu tragen, indem man genuine Ähnlichkeit (die der Kopie, dem Bild, zugrunde liegt) und äußerliche Ähnlichkeit unterscheidet. Dann wird man sagen: die Ähnlichkeit des simulacrum ist eine äußerliche, unproduktive und unfruchtbare Ähnlichkeit. Aber das wirklich interessante an der ganzen Verschiebung ist die Inkongruenz von Imitation und Ähnlichkeit.

Ich versuche einen schematischen Überblick über die terminologische Situation:

Abbildung 7-1.

In Bezug auf diese ganze Situation sagt Deleuze dann nicht ganz ungerechtfertigt [298]: Auf diese Weise begründet der Platonismus in der Tat die der Philosophie eigentümliche Domäne, die Domäne einer Repräsentation, die erfüllt ist mit getreuen Kopien, die definiert sind nicht durch einen äußerlichen Bezug auf irgendwelche beliebige Objekte, sondern durch einen inneren Bezug auf die Idee; dieser innere Bezug kann Teilhabe genannt werden.

Umkehrung

Das simulacrum dagegen steht zu allem, zu dem es überhaupt in Beziehung steht, immer nur in einer Relation äußerer Ähnlichkeit, unfundierter Ähnlichkeit könnte man auch sagen. Aber in einer solchen Relation steht sowieso und überhaupt alles zu allem, und das Besondere am simulacrum, seine (falsche) Prätention, Bild zu sein, bezeichnet daher der Begriff der Imitation, sozusagen das aktive Elemente am simulacrum, diese von ihm gesendete Botschaft: 'Es gibt irgendwo was Anderes, so wie das sehe ich aus...'.

Und damit können wir kurz noch auf die dritte Etappe in dem Text eingehen, aber Sie sehen ja wohl schon voraus, was da die Pointe sein wird, bei der Umstülpung des Platonismus. Nachdem Deleuze das wesentliche Motiv nicht in der Opposition von Idee und Abbild sieht, sondern diese Differenz nur die Funktion hat, die Unterscheidung von getreuen Bildern und Trugbildern zu ermöglichen, so ist die Umkehrung natürlich auch nicht die Aufwertung der Bilder gegenüber den Ideen, sondern die Aufwertung des Trugbildes in der gesamten begrifflichen Situation. Sozusagen die Aufwertung des Trugbildes gegenüber der Gesamtkonstalltion von Idee und Kopie. Die Umkehrung des Platonismus ist die Befreiung, der Sieg des Trugbildes. Der Triumph der falschen, trügerischen Anwärter. Ich zitiere wieder einmal [303]:

C'est le triomphe du faux prétendant. Il simule et le père, et le prétendant, et la fiancée dans une superposition de masques.

Also was das für die Philosophie bedeutet, im Sinne der Gegenüberstellung mit jener von Plato begründeten eigenen Domäne, könnte man vielleicht ganz schematisch so andeuten: In der Domäne der Repräsentation ist es so, daß wenn wir im Wechsel der Erscheinungen irgendwas bemerken, was uns eine Regelmäßigkeit oder eine wichtige Ähnlichkeit oder Konstanz anzudeuten scheint, daß wir dann einen Bezug auf so eine Idee herstellen müssen, udh daß wir die ursprünglich externe Ähnlichkeit als interne erkennen, das Phänomen als teilhabend an irgendeiner Wesentlichkeit (Väterlichkeit, klarerweise). Der Triumph des simulacrum führt eine komplett andere Situation herbei. Wenn wir die Erscheinung als Trugbild sehen in einem positiven, selbständigen Sinn, nicht nur einfach als das was aus der Repräsentation ausgeschlossen werden muß, dann ist dieses Trugbild etwas Aktives. Es ist aktiv Imitation, Simulation. Es macht dauernd alles nach, ohne daß das, was imitiert wird, von sich aus eine eigene, würdevolle Substantialität beanspruchen könnte. Alles, auch der Vater, ist nur als simuliertes. Das befreite simulacrum tritt sozusagen nie zurück hinter das von ihm Simulierte, es bleibt immer aktiv. Darum spricht Deleuze von der superposition de masques, davon daß immer wieder eine Maske über die andere drübergesetzt oder drübergezogen wird. Das ist der Unterschied zwischen dem simulacrum, solange es in die Domäne der Repräsentation gesperrt ist, und dem befreiten simulacrum. Wenn wir das als eine eigenständige und alternative Auffassung von Philosophie verstehen und weiterdenken wollen, dann werden wir uns am besten an Friedrich Nietzsche wenden als Gesprächspartner. Das ist auch bei Deleuze natürlich so. Die andere Richtung, in der er Konsequenzen dieser Befreiung des Trugbildes bzw Umkehrung des Platonismus ausmalt, ist die moderne Kunst, die Vorstellung des nicht-hierarchischen Kunstwerkes. Unter anderem geht er da auf James Joyce ein.

Er verwendet da den Begriff des nicht-hierarchischen Werkes zur Erläuterung, ich kann das nicht würdigen auf einer prinzipiellen Ebene, ich gebe nur einen Rückverweis auf etwas, was ich in der ersten Stunde dieses Semesters gesagt habe, über diese zwei verschiedenen Kunstauffassungen, die sich auf banale Weise mit den Begriffen von Ausdruck und Abbild verbinden ließen. Sie erinnern sich, Kunst als Abbild eines normativen Vorbildes - oder Kunst als Ausdruck einer künstlerischen Intention oder dgl. In beiden Fällen ist es so, daß wenn Sie das, was hier mit dem Wort 'Kunst' benannnt wird, als das Phänomen betrachten, daß dann das Phänomen einer anderen Instanz untergeordnet ist. Einmal ist das das Vorbild oder Urbild des Bildes, das andere Mal ist es das Wesen oder die Innerlichkeit, die eben zum Ausdruck kommen. Was Deleuze unter dem nicht-hierarchischen Werk versteht, stünde quer zu beidem; das wäre wirklich was anderes. Aber ich kann diese abstraktere kunstphilosophische Perspektive jetzt nicht weiter verfolgen.

Bemerkungen

Ich habe schon einleitend zu diesem Exkurs gesagt, ich will keine direkten Nutzanwendungen ziehen für unsere Auseinandersetzung mit den 'Meninas'. Ich gebe nur einen ziemlich allgemeinen Kommentar ab zu der Sache mit dem Trugbild und dem Platonismus.

Erstens sollten Sie bedenken, daß das alles Überlegungen sind, bei Deleuze meine ich, die im Grunde nur sehr locker mit dem Thema des Bildes zu tun haben, wie man es etwa in der Kunstphilosophie normalerweise bestimmt. Das sind Überlegungen, die essentiell zu tun haben mit Begriffen wie Täuschung, Wahrhaftigkeit, Ursprung, Repräsentation etc. Aber nichts in den wirklich ausgesprochenen Thesen hat einen konkreten Bezug zB auf das Visuelle. Man müßte erst in eigenen Untersuchungsgängen herausarbeiten, wie sich das alles umsetzt, wenn es um sichtbare Bildlichkeit geht. Was der Begriff der Sichtbarkeit überhaupt hier für eine Position haben könnte zB. Das ist vor allem eine Bemerkung für die Philosophinnen, die hier zuhören oder mitlesen, denn in der Philosophie ist die Gefahr sehr groß, daß man genau diesen Unterschied übersieht. Man verwendet einen Begriff, wie eben hier die Begriffe von Bild und Trugbild, und man glaubt dann vielleicht, daß man etwas erfaßt hat über das, was diese Begriffe in der normalen Sprache oder in der Sprache einer anderen Wissenschaft bedeuten. Aber das folgt natürlich überhaupt nicht. Worüber da geredet worden ist, das sind Denkmöglichkeiten. Man kann sich die Welt so denken, und man kann sie sich anders denken. Plato denkt sie so, Nietzsche denkt sie umgekehrt. Die Welt ganz konsequent so zu denken, wie Nietzsche sie gedacht hat, zumindest der Interpretation von Deleuze nach - das ist ein enormer Unterschied gegenüber dem platonischen Weltbild. Das ist wirklich schwer. Wir wollen ja alle erst dann etwas tun, wenn wir einen Grund dafür haben, einen guten Grund. Ich habe mindestens ein halbes Dutzend Kolleginnen hier am Institut, wahrscheinlich ist es ein Dutzend oder mehr, die beschäftigen sich mit nichts anderem als mit der Frage, was gute Gründe für Handlungen sind, gute Gründe für lange Diskussionen, gute Gründe für das Töten alter Menschen, gute Gründe für oder gegen das Wegwerfen von Cola-Dosen auf der Jesuitenwiese etc. Die Sache, die wir da eben berührt haben bei Deleuze und bei Nietzsche, die macht das alles lächerlich. Die Umkehrung des Platonismus macht den guten Grund lächerlich. Aber das muß man sich erst einmal trauen. Vielleicht ist es das, was wir anstreben sollten, was wir alle versuchen sollten. Ich glaube, Deleuze war dieser Meinung. Aber es handelt sich gleichwohl um das Denken, um die Konsequenz im Denken. Nur weil wir uns das so denken ist es noch lange nicht so.

Die zweite Bemerkung geht gleich genau in die entgegengesetzte Richtung. Klarerweise müssen wir den platonischen Begriff des Bildes, also wenn er das Phänomen als Bild bestimmt, verstehen vor dem Hintergrund einer bereits existierenden Technologie des Bildes. Es gibt die Bilder ja schon längst. Er kann den Begriff Bild (eikon), wenn er sagt daß das Phänomen ein Bild der Idee ist, nicht unschuldig verwendet haben. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Hundertprozentig klar, daß Plato seine Theorie des Bildes (die treue Kopie legitimiert sich durch den Ursprung aus der Idee) aufgestellt hat gegen eine bereits entwickelte Technologie des Trugbildes. Er war kein Erfinder, er war ein Reaktionär. Es gibt schon längst die Statuen, die Male, die Bilder, die Tragödien. Und natürlich gab es auch ein entwickeltes Bewußtsein von den Möglichkeiten der Täuschung und des Betruges, die durch die Technologie des Abbildens eröffnet sind. Man darf sich die Sache also auf keinen Fall so vorstellen, daß das eine enfache Geschichte ist, um die es sich hier handelt: Zuerst ist da gar nichts, dann kommt Plato und eröffnet das Zeitalter der Repräsentation als Abbildlichkeit, und dann kommt irgendwann viel später Nietzsche und dreht alles um und es beginnt das Zeitalter des Trugbildes. Sondern diese Möglichkeiten bestehen alle von Anfang an. Es ist nur in der Geschichte der Philosophie, so wie sie uns immer erzählt wird, so, daß da die eine dieser Vorstellungen, die Repräsentation und die mit ihr zusammenhängende Vorstellung von Begründung, dominiert.

Die wirklich interessanten Fragen liegen auf einer anderen Ebene, die richten sich zB auf die Interaktion zwischen dem, was in der Philosophie so gedacht und gesagt wird, und den anderen Bereichen und Agenturen. Welche Rolle spielt die Philosophie für die technologische Entwicklung? Nehmen wir mal an, wir sagen: 'Keine'. Aber es gibt natürlich auf der anderen Seite keine technologische Entwicklung, ohne daß überhaupt irgendeine Intelligenz investiert würde. Das gibt es auch wieder nicht. Wie ist diese Intelligenz beschaffen, wie bildet sie sich? Vielleicht spielt da die Philosophie eine Rolle?