Vorlesung 4. Repräsentation I

Inhalt
Warum Velazquez?
Die Meninas
Literatur zu Velazquez

Ich habe angekündigt, daß ich die Auseinandersetzung mit dem Begriff Abbild im Rahmen des weiteren Begriffes der Repräsentation anfangen möchte. Und ich habe Ihnen auch gesagt, daß diese Weite tatsächlich ein ziemliches Spektrum ausmacht: Da geht es um politische, um erkenntnistheoretische, um semiotische und um ästhetische Dimensionen - mindestens. Ich will aber nicht auf einer derart allgemeinen Ebene beginnen, gleichsam mit einer Auseinanderfaltung von oben her, die uns dann irgendwann einmal zurückführen würde auf unsere konkreteren Interessen. Sondern ich will in Übereinstimmung bleiben mit dem, was ich programmatisch in der ersten Stunde gesagt habe: Das, was unseren Überlegungen Struktur und Zusammenhalt gibt, sollen die Bilder Bacon's sein; nicht aus abstrakten Vorstellungen von theoretischen Zielen wollen wir unsere einzelnen Schritte ableiten, sondern aus den Bildern. Und da ist unser erster derartiger Anknüpfungspunkt die Serie von Papst-Bildern, die Bacon in den frühen 50er-Jahren begonnen hat, und die direkten Bezug auf das Porträt von Innozenz X haben, das Velazquez im Jahre 1648 gemalt hat. Ich zeige es Ihnen gleich einmal:

Abbildung 4-1. Innozenz X (Vergrößerung in einem separaten Fenster)

Warum Velazquez?

Keineswegs muß Bacon auf Velazquez durch dieses spezielle Bild gekommen sein. Sondern er mag sich aus anderen Gründen oder allgemeineren Gründen für ihn interessiert haben, und dann war er eben an irgendeinem Punkt von diesem Gemälde besonders fasziniert. Aber wie immer das nun biographisch liegt, aus unserer Perspektive gäbe es auf jeden Fall Grund genug, sich auf Velazquez zu beziehen, sogar wenn Bacon seine Papst-Bilder nie gemalt hätte - obwohl es natürlich gerade damit sehr Wichtiges auf sich hat.

Nach der Natur

Velazquez ist, wenn man über Repräsentation in der Malerei redet, auf jeden Fall die erste Adresse. Im Kontext der spanischen Malerei seiner Zeit war er zunächst mal eine isolierte Erscheinung als einer, der nach der Natur malt, also einer, der die Wirklichkeit malt, und sie außerdem noch so malt, wie sie wirklich ausschaut. Beides ist alles andere als selbverständlich: In der Ikonenmalerei ist es eben gerade nicht die Wirklichkeit, die dargestellt wird; und selbst wenn Szenen oder Elemente der irdischen Realität dargestellt werden, ist keineswegs selbverständlich, daß sie so gemalt werden, wie sie aussehen. In Wahrheit ist das im 15. Jahrhundert, in Alberti's Abhandlung De pictura, noch eine Kampfparole gewissermaßen, wenn da steht: 'Von Dingen, die wir nicht sehen, wird wohl niemand bestreiten, daß sie keinerlei Bezug auf den Maler haben; der Maler bemüht sich ausschließlich, das nachzubilden, was man sieht.' Nun ist klarerweise weder Leonardo da Vinci noch Velazquez, das betrifft jetzt vor allem den ersten Aspekt, ein Courbet. Daß sie die Wirklichkeit malen, die man sieht, heißt nicht, daß sie nur die malen, oder daß das, was sie malen, als eine Reaktion auf diese Wirklichkeit ganz allein gedeutet werden kann. So sind es ja noch immer mythologische Szenen, wie etwa in der 'Schmiede des Vulkan' - der Punkt ist nur, daß es in der Schmiede, auch wenn da ein Gott steht und redet, so aussieht, wie es in einer wirklichen Schmiede aussieht, und die Männer sehen so aus, wie Schmiede und Handwerker eben aussehen.

Abbildung 4-2. Die Schmiede des Vulkan (Vergrößerung in einem separaten Fenster)

Also in diesem Sinn haben seine spanischen Zeitgenossen und Kollegen von Velazquez gesagt, daß er, im Unterschied zu den meisten von ihnen, nach der Natur malt, und insofern, relativ darauf, war er fortschrittlich. Das erlaubt aber nicht ihn fortschrittlich zu nennen im Kontext der internationalen Entwicklung, ganz und gar nicht. Sondern in Italien und Holland war das ja schon längst als die Ideologie der Malerei etabliert, und an Vorbildern aus diesen Ländern hat er sich orientiert, an Caravaggio etwa oder an der flämischen Genre-Malerei des 16. Jahrhunderts.

Es sind zwei Faktoren, durch die er im Laufe seiner Entwicklung als Maler - und für alle nachfolgenden Generationen - zum unüberbietbaren Exponenten der repräsentativ abbildenden Malerei wurde. Erstens seine Kreativität und sein Mut, jede Herausforderung anzunehmen auf diesem Gebiet: die Wirklichkeit so zu malen, wie sie tatsächlich aussieht. Also nennen wir das meinetwegen: Illusionismus. Da hat er schon früh nicht nur Anregungen Anderer umgesetzt oder perfektioniert, sondern das Neue, Unerhörte gesucht. Durchsichtige Gläser, die mit einer leicht färbigen Flüssigkeit gefüllt sind, und auf deren Außenseite durchsichtige Tröpfchen herunterrinnen zB; oder dann eben - spät - ein Spinnrad, das sich in der Tat zu bewegen scheint. Oder einfach unglaubliche Überzeugungskraft in der Wiedergabe der Plastizität von Gegenständen. Da erreicht er im Laufe seiner Entwicklung Unvergleichliches. Wir sind noch immer bei diesem ersten Faktor, setzen aber doch einen eigenen Akzent, wenn wir uns erinnern, daß er von einem bestimmten Zeitpunkt an gewissermaßen auch in Grundvoraussetzungen der Aufgabenstellung des Illusionismus eingegriffen hat. Nicht wahr, das Bisherige ist eine Kreativität von einer bestimmten, fixen Basis aus. Aber dann hat man den Eindruck, daß er anfängt das Verhältnis von Pinsel und sichtbarem Bild selbst aufzubrechen und radikal neue Voraussetzungen zu schaffen - zB ein Portät seines Königs von 1630, wo einzelne gebrochene, von ihrem Untergrund gelöste helle Pinselstriche, die bei Nahbetrachtung überhaupt keinen Sinn haben, als regellose Flecken erscheinen, aus der Ferne der Bekleidung ein Flimmern verleihen daß man wirklich meinen kann ein leises Knistern zu hören und eine Bewegung wahrzunehmen.

Abbildung 4-3. Philip IV in Braun und Silber (Vergrößerung in einem separaten Fenster)

Das war der eine Faktor. Der andere ist daß, vor allem in einigen späten Bildern, sehr tiefe, sehr scharfe Einsichten in das Wesen der Repräsentation selbst uns entgegentreten. Ich drücke das absichtlich so ein bißchen geschraubt aus; ich finde es tut der Sache nichts Gutes, wenn man sagt: Er macht in diesen Bildern - es sind vor allem die 'Meninas' und die Arachne-Szene - die Repräsentation oder die Malerei selbst zum Gegenstand. Das ist nicht falsch, aber es ist zu dünn. Wenn man die 'Meninas' als ein Gemälde bezeichnet, auf dem die Malerei abgemalt ist, dann sagt man nicht etwas, was schlichtweg falsch oder überhaupt widerlegbar wäre. Aber man sagt so lächerlich wenig, daß man gleich hätte sagen können: Auch dieses Bild steht in Übereinstimmung damit, daß zwei und zwei vier ist. Dieses Bild inkarniert eine Einsicht, es ist eine Erkenntnis, möchte ich sagen, und in einem gewissen Sinn akzeptiere ich auch gerne, wenn man daraus folgern will, daß es sich also um ein Denken handelt bei diesem Bild. Aber ich möchte auf keinen Fall als Grundlage für weitere Überlegungen akzeptieren, daß das Bild die malerische Umsetzung eines Gedankens, einer Reflexion wäre. Ich hoffe, daß ich Ihnen dann später, wenn wir ausführlich über dieses Bild sprechen, werde zeigen können, daß es aussichtslos ist, so einen Gedanken zu identifizieren und zugleich Übersetzungsregeln für seine sogenannte 'malerische Umsetzung' anzugeben, die ihm nicht widersprechen.

Ich würde lieber von einem malenden Denken ausgehen, und auf der anderen Seite auch ein Verstehen postulieren, das nicht bloß wieder Rückübersetzung des Gesehenen in Denken, in Aussagen ist. Klarerweise, wenn wir unserseits über das Denken, das uns da entgegentritt, uns verständigen wollen, dann tun wir das sprachlich, und was wir dabei sagen, die Sätze und Argumente, die wir äußern, von denen können wir wohl ohne allzu arge Skrupel sagen, daß sie Gedanken ausdrücken. Aber darauf, daß das alles Übersetzungsvorgänge sind, will ich mich nicht einlassen, zumindest nicht von Anfang an. Unser Denken ist eine Reaktion auf dieses malerische Denken, und es ist vielleicht auch nicht die erste oder primäre Reaktion. Mit anderen Worten, ich will Raum lassen dafür daß man sagen kann: Wir könnten das, was wir denkend als die Einsicht erfassen, die uns dieses Bild vermittelt, niemals erfassen, wenn diese Einsicht von Velazquez nicht gemalt worden wäre.

Ich will mit all dem weder leugnen noch irgendwie relativieren, daß es sich um ein Phänomen von Reflexivität handelt, ich wollte nur darauf hinweisen, daß es auch wichtig sein kann, aus welcher Perspektive man diese Reflexion in den Blick nimmt, thematisiert. Und ich glaube eben, daß man da eine möglichst weite Perspektive ansetzen soll, damit so viel Differenzierungen wie möglich hineinpassen, damit zum Beispiel eine Interpretation möglich bleibt, die das Bild nicht nur als Selbst-Reflexion malerischer Repräsentation, sondern der Repräsentation als solcher, oder zumindest in zusätzlichen Aspekten, auffaßt.

Auf keinen Fall, würde ich sagen, darf man von einer Univozität des Ausdrucks: '(selbst)reflexive Malerei' ausgehen. Es sind verschiedene Phänomene oder Akzentuierungen, mit denen zu rechnen ist. Also zB die Arbeit von Wolfram Pichler über Caravaggio hat auch eine solche den Bildern immanente Reflexion analysiert, insbesondere an dem 'Bacchus'. Aber da scheint mir doch etwas signifikant Anderes - sicher nicht weniger Bedeutsames - akzentuiert als bei Velazquez. Bei Caravaggio hat Pichler vor allem herausgearbeitet eine Reflexivität, in der die Repräsentation ihre eigenen materiellen, stofflichen Voraussetzungen reflektiert und mit der Distanz, die dadurch entsteht zwischen Faktum und Bild, zu spielen beginnt. Bei Velazquez werden andere, abstraktere Aspekte der Repräsentation in die Reflexion einbezogen.

Na gut, das war der zweite der Faktoren, die zumindest von unserer thematischen Interessenlage her Velazquez zu einem erstrangigen Ansprechpartner werden lassen, wenn wir generell über das Repräsentative in der Malerei nachdenken wollen.

Der Papst

Aber natürlich haben wir auch für den Einsatz speziell bei dem Innozenz-Porträt sachliche Motive, und das habe ich ja schon letzte Stunde ansatzweise erklärt: Das Bild ist ein großartiges Exempel für jene Idee, daß Repräsentation nicht bloß so geradehin als Vertretung gefaßt werden sollte, sondern als Vertretung eines anderen in einem unabhängigen Zusammenhang. Der Papst nicht einfach irgendwie, sondern als Figur oder item oder was immer Sie da sagen wollen in dem Gefüge der Macht. Und das ist auch schon etwas, was das Interesse Bacon's angeht. John Russell sagt in seinem Buch (S. 41):

Bacon's admiration for Velazquez became generally evident in 1951, when the first series of Popes was painted. ... and what it amounted to, quite apart from considerations of paint-quality and truthfulness to observable fact, was an acknowledgment of Velazquez's supremacy as a painter of the dressed-up human being: the human being surrounded, moreover, by attributes of power and importance. Pope Innozenz X, in Velazquez's portrait, is perceptibly just about the most powerful man in the world. Everything points to it: the throne, the robes, the ring, the state paper held in the left hand, and the note of perfectly balanced and incorruptible authority which is set by the relaxed way in which the Pope's arms rest lightly on the throne.

Auf diese Sätze werden wir noch mehrfach zurückkommen, die enthalten ein oder zwei sehr lehrreiche Beobachtungen und ebenso lehrreiche Ungenauigkeiten, aber vor allem ist richtig, was er sagt: Der angezogene Mensch - in dem dressed-up steckt noch ein wenig mehr, das geht in die Richtung von aufgedonnert - der angezogene Mensch also in einem Innenraum, umgeben mit den Insignien der Macht, die ihm einen bestimmten Platz zuweisen und durch diesen Platz seine Identität und damit auch Vertretbarkeit. Das ist es, was Bacon fasziniert an der Sache, und zwar in einer durchaus mehrdeutigen Weise: fasziniert als Leistung, fasziniert aber auch als dasjenige, was er gerade durchbrechen will.

Nun habe ich sie aber auch schon letztes Mal darauf hingewiesen, daß diese Deutung das Bild noch unterbestimmt, weil wir es nämlich vor allem als einen Fall ansehen sollten, wo der Zusammenhang, in den hinein quasi die Vertretung reicht, hier einer ist, der auch dem Bild selbst einen bestimmten Platz anweist. Das Bild selbst existierte gar nicht, wäre nicht der Papst der, der er ist in jener Ordnung der Macht. Wenn man es dabei beläßt, dann hat man schon eine interessante Umkehrbeziehung, sowas Ähnliches wie Symmetrie: Das Bild als Vertretung des Papstes, wie er in der Ordnung der Macht plaziert ist - aber ebenso plaziert sich das Vertretende, die Vertretung selbst in dieser Ordnung, und in einem gewissen Sinn ist es natürlich der Wille des Papstes, von dem das abhängt.

Diese Symmetrie von Macht und Vertretung, in deren imaginärem Zentrum die Figur des Papstes steht - ich sage 'imaginär', weil diese Figur ja unentscheidbar schwankt zwischen der Bestimmung, der Autor, der reale Usprung dieser Symmetrie zu sein und der anderen, das bloße dieser Symmetrie entschwebte ortlose Bild zu sein... Diese Symmetrie von Macht und Vertretung existiert zunächst mal nur als ens rationis, existiert nur in unserer Reflexion. Wir wissen, welches die Stellung des Papstes im 17. Jahrhundert war, wir wissen, daß der Papst nicht ein Ausstellungsstück in einem Schaukasten war, das von spanischen und japanischen Touristen gegen Eintritt jeden Tag von zehn bis drei fotografiert - bzw von dem Spanier gemalt - werden konnte. Sondern daß tatsächlich ein hochkomplexes und hochformales Prozedere Bedingung der Möglichkeit dieses Bildes ist. Übrigens, wenn das jetzt schon so gesagt ist, dann darf ich mir auch den Hinweis erlauben, daß genau dieses Wissen von Bacon attackiert wird, sein Papst scheint ja in der Tat in so einem Schaukasten zu sitzen, isoliert den Blicken der Touristen preisgegeben. Eine kleine Bemerkung zu dem, was ich die kritische Dimension von Bacon's Bezug auf das Innozenz-Porträt genannt habe. Man könnte da auch noch etwas ergänzen, ausgehend von jener Beobachtung Russell's über 'the relaxed way in which the Pope's arms rest lightly on the throne'. Da will ich Ihnen nun zwar wirklich nicht einreden, daß ein realer Zusammenhang vorliegt, aber lustig ist es schon, daß auf einem der Papst-Bilder Bacon's genau an der Stelle, wo der Arm so entspannt gelegen hat, nicht direkt auf der Lehne, sondern auf einer Art Gestell daneben, ein Stück Fleisch liegt, und zwar so ein Stück, wie es der Metzger schon zugerichtet hat, Schweinsripperl in Aktion gewissermaßen.

Abbildung 4-4. Papst II, 1960

Aber mein eigentlicher Punkt war jenes äußerlich Rationale der Symmetrie. Und da sage ich Ihnen nun, dabei hat es nicht sein Bewenden, da kommt man noch eine Ebene weiter, wenn man genau hinsieht.

John Russell hat nicht genau genug hingesehen, ihm ist ein Fehler unterlaufen. Das Papier, das der Papst so lässig in seiner linken Hand hält, das ist nicht irgendein state paper. Sondern das ist das Empfehlungs-Schreiben, das König Philipp IV von Spanien seinem Gesandten Diego Velazquez mitgegeben hat für den Heiligen Vater, damit dieser den Velazquez empfängt, ihm die Gunst einer Audienz und eventuell einer Sitzung gewährt. Dieses Stück Papier also ist nun in dem Gemälde selbst als die Grundlage jener Symmetrie eingefügt, und das ist wesentlich. Auf dem Papier steht:

Alla Santita di Nostro Signore Innocencio X-o. per Diego Velazquez dela Camera de sua Maesta

Jonathan Brown, von ihm stammt die derzeit maßstäbliche Velazquez-Monographie, beschreibt das so:

(Der Papst)... hat die Petition gelesen und sieht nun den Bittsteller mit abwartendem, doch herausforderndem Blick an. Durch diesen Dramatik erzeugenden Kunstgriff wird das Porträt über ein blosses Abbild hinaus gleichsam zu dem Manne selbst.

Also ich glaube, das sollte man ein bißchen präziser ausführen, als er es tut, aber er hat den richtigen Punkt erwischt. Dadurch, daß der Papst uns das Schriftstück entgegenhält, auf dessen Grundlage er den Maler empfängt, zwingt er uns nicht einfach nur insofern in die Position des Malers, als wir das Bild aus dessen imaginärem Blickpunkt sehen, sondern auch insofern, als wir an seiner Stelle dem Menschen selbst, dem Modell gegenüberstehen. Er weist uns unsere Stelle an - das ist seine Macht. Durch diese Maßnahme also ist jene Symmetrie nicht mehr nur äußerlich-reflektierend, sondern in dem Bild selbst aktiv.

Und dann gibt es noch eine weitere Ebene, über das hinaus, was Brown bemerkt hat. Denn das eine Wort, das wirklich jeder lesen kann auf diesem Papier - während das meiste erst entziffert werden muß -, dieses eine Wort ist: Velazquez. Das heißt, und das ist etwas völlig Banales, es handelt sich hier zugleich um die Signatur des Malers. Aber dadurch, daß er Signatur ist, nimmt der Name natürlich ein eminent aktives Element auf. Ich meine, als Name auf dem Zettel in der Hand des Heiligen Vaters ist er eine Manifestation von dessen Aktivität, nämlich der Aktivität der Anweisung, und der Maler und auch wir als Betrachter nehmen das passiv hin, wir müssen uns dieser Anweisung unterwerfen, wenn wir das Bild verstehen wollen; als Signatur jedoch ist der Name Manifestation einer Aktivität des Malers, und stellt also eine Gegenbewegung dar - er ist Ausdruck entweder einer Gegenbewegung gegen die Macht - und also eines Selbstbewußtseins, oder Ausdruck einer Gegenbewegung in der Macht. Ich hebe noch einmal den entscheidenden Punkt hier hervor, damit keine Mißverständnisse aufkommen: Natürlich ist die Signatur immer die Manifestation oder Besiegelung einer Aktivität des Malers. Das ist hier nicht das Besondere. Das Besondere ist, daß er die Signatur genau an die Stelle setzt, an der sich die allerhöchste Autorität des Papstes manifestiert, daß er diese gleichsam überlagert. Das ist das Bemerkenswerte. Und es erhält natürlich noch eine zusätzliche Signifikanz durch den Vorausblick auf die 'Meninas'.

Ich habe gesagt: Gegenbewegung gegen die Macht oder in der Macht. Letztlich wird das Zweite richtiger sein. Es ist ein Eindringen des Selbstbewußtseins in die Macht, und zwar von der Art, daß die Macht das Selbstbewußtsein aufnimmt, absorbiert und in ein strukturelles Element ihrer selbst umwandelt. Sie dürfen nicht vergessen, daß Velazquez von 1599 bis 1660 gelebt hat, also ein ziemlich exakter Zeitgenosse von Descartes war. Man darf nicht übersehen die eine ganz banale Aussage von Descartes, daß das Prinzip, das meiner Identität, meiner Kompetenz als Erkennender, meiner Kompetenz als Handelnder zugrunde liegt, das Selbstbewußsein ist - und nicht mehr meine Abstammung, die Schule, in der ich war oder nicht war, und irgendwelche sonstigen Ordnungen und Traditionen.

Na gut, das war eine Nebenbemerkung. Ich wollte von dieser Signatur noch einmal auf die 'Meninas' vorausblicken. Im Innozenz-Porträt verewigt sich Velazquez erstaunlicher Weise dort, wo eigentlich die Autorität des Heiligen Vaters sich manifestiert - aber es ist eben nur ein Schriftzug, während der Papst im Bild anwesend ist; darin steckt freilich eine Dynamik, die sich in den 'Meninas' vollenden wird, wo Velazquez dann in der Tat sich in seinem eigenen Abbild, wie er inmitten der Familie des Herrschers dasteht, verewigt. Das ist unglaublich, und es ist als das Unglaubliche sofort erkannt und gewürdigt worden. Die kunsthistorische Hauptquelle zu den 'Meninas' ist das Museo pictorico von Antonio Palomino, 1724 ist das erschienen, aber es ist trotz dieser Verspätung eine ziemlich authentische Sache. Palomino hat zB noch mit den meisten der Menschen, die auf dem Gemälde dargestellt sind, selbst gesprochen, und er hat sie alle identifiziert etc. Und dieser Palomino sagt klipp und klar, daß es sich hier um das abolute Meisterwerk des bedeutendsten Malers handelt, und daß er vor allem durch dieses Werk zum bedeutendsten Maler wurde, und warum? Er hat sich Anspruch auf Unsterblichkeit erworben dadurch, daß er auf diesem Bild selbst zusammen mit der Infantin abgebildet ist. Also da sehen Sie die Vollendung einer Dynamik, die mit der Signatur auf dem Papst-Bild einsetzt.

Die Stellung des Malers

In der ganzen Überlegung, die wir bis jetzt führen über Repräsentation, haben wir nie das Element der Ähnlichkeit zentral im Blick. Ich sage das so zwischendurch als Erinnerung, weil ich es auch jetzt nicht direkt thematisieren will, sondern das wird erst allmählich, auf dem Weg über Foucault geschehen. Ich will als nächstes noch einmal jenen Symmetrie-Aspekt vertiefen, und zwar in Richtung der Biographie von Velazquez. Da können Sie nämlich all diese theoretischen Zusammenhänge tatsächlich konkret einlösen, da können Sie gewissermaßen die buchstäbliche Bedeutung all dieser scheinbar hochtrabenden Begriffe wie Ordnung, Macht, Repräsentation sehen.

Velazquez ist in Sevilla geboren, und ist dort mit 11 Jahren in die Akademie von Francisco Pacheco eingetreten, wo er das Malen gelernt hat. Das war eine außerordentlich bedeutsame Schule, die spielt eine zentrale Rolle in der Geschichte der spanischen Malerei überhaupt. Velazquez ist früh vor allem durch seine technische Brillanz aufgefallen. Über die Einflüsse flämischer und italienischer Maler haben wir schon gesprochen. 1622, also mit 23 Jahren, hat er ein erstes Mal versucht, in Madrid am Hof des Königs eine Stelle zu bekommen, das hat aber nicht geklappt. Ein oder zwei Jahre später ist er nochmals hingereist, hat die notwendige Intrige etwas genauer geplant und ist erfolgreich gewesen. Er ist also Hofmaler geworden. Dazu sind verschieden Dinge zu sagen. Erstens heißt das, daß zu seinem hauptsächlichen genre das Porträt wurde; es war Hauptaufgabe des Hofmalers, die Porträts aller Angehörigen der Herrscherfamilie zu malen, und zwar immer wieder. Zweitens sollten wir wenigstens ungefähr eine Vorstellung haben, was so ein Hofmaler war damals. Also das war im Prinzip, von der Dienstpostenbeschreibung her, eine sehr niedere Position, der hat da alle möglichen höheren Chargen über sich gehabt. Man muß allerdings zwei Aspekte unterscheiden, es gibt ja neben der Position in der Palasthierarchie, die abstrakt vorgegeben war, auch noch die Frage, was für eine Art von Stellung ein Maler überhaupt in der Gesellschaft einnimmt. Und da ist der sehr wichtige Punkt, daß im damaligen Spanien der Prozeß noch keineswegs abgeschlossen war, in dem die Malerei sich vom status eines Handwerks auf den einer freien und edlen Kunst hochgearbeitet hatte in Italien zB. Also das ist ein paralleler Anachronismus wie in der Frage des Wirklichkeitsbezuges der Malerei. Zu der Zeit, wo Velazquez als Hofmaler begann, war das eine offene und sehr umstrittene Frage. Das ist jetzt nicht nur so eine Sache der Interpretation, etwas, was man aus irgenwelchen zeitgenössischen kunsttheoretischen Texten herausinterpretieren kann, sondern da gibt es handfeste Belege. Die königliche Schatzkammer hat nämlich von den Malern eine Steuer eingehoben bei Verkauf ihrer Gemälde, und das war genau die Steuer, die sie auch von Schustern, Schneidern und Faßbindern eingehoben hat. In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts haben immer wieder Maler dagegen bei Gericht Klagen angestrengt, typischerweise waren das italienische Maler, die diese rückständige Regelung nicht fassen konnten. Also das war gerade im Aufbrechen, diese Status-Frage. Aber noch ein anderer Faktor hat die Stellung Velazquez's als Hofmaler eminent beeinflußt: Die Tatsache, daß König Philip IV ein fanatischer Kunstsammler und Liebhaber der Malerei war. Aus dieser Sicht ist in der Stellung durchaus ein Potential gesteckt.

Velazquez hat also Porträts gemalt, hat sich malerisch entwickelt und wohl auch seine Beziehung zum König entwickelt, dem ja nicht verborgen blieb, was er da für einen Künstler hatte. Die Porträts selbst waren, wie Sie wissen, keineswegs nur 'angezogene oder aufgedonnnerte Menschen in Innenräumen', da gibt es auch diese vielen berühmten Reiterporträts, die zum Teil sehr anspruchvolle Lösungen für perspektivische Probleme darstellen.

Sie sehen, daß die Position des Hofkünstlers sozusagen als Lebensform von Anfang an für Velazquez jenes Verhältnis von Macht und Repräsentation zu einem Zentralthema gemacht haben muß - wie natürlich auch für andere Hofkünstler, man könnte da an van Dyck denken oder an Bernini.

Der Hof selbst war unwahrscheinlich kompliziert organisiert, ich gebe Ihnen da nur eine rohe Vorstellung. Die Grundidee war Verdoppelung - es waren in Wahrheit zwei Höfe, der des Königs und der der Königin. Die höchsten Posten waren: mayordomo mayor (Obersthaushofmeister), camarero mayor (Oberkämmerer), caballerizo mayor (Obermarschall). Das waren hohe Adelige. Unter denen standen je ungefähr 1000 weitere Bedienstete. Nur der camarero mayor hatte immer Zutritt zum König bzw der Königin. Und insgesamt ein halbes Dutzend Leute hatte einen Universalschlüssel. Das sage ich vor allem deshalb, weil Velazquez später in dieser Hierarchie so weit aufgestiegen ist, daß er so einen Schlüssel trug, und von dem sieht man auch ein kleines Stück in den 'Meninas'; ziemlich dezent ist das angedeutet, während auf einem Porträt eines anderen adeligen Höflings, der auch den Schlüssel trug, Velazquez ihn ganz prominent hervorgehoben hat. Das war eine der höchsten möglichen Auszeichnungen. Wir verzichten auf Details des spanischen Hofzeremoniells, ich muß nur einen Punkt noch eigens akzentuieren: Das Zeremoniell und die ganzen Regelungen des Tagesablaufes haben darauf hingewirkt, daß der König selbst so selten wie möglich sichtbar geworden ist. In der doppelten Hinsicht: So wenig Menschen wie möglich, und das so selten wie möglich. Die Selbst-Repräsentation des Königs war daher weit aufgefächert, sie mußte bis sehr weit weg von seinem tatsächlichen physischen Erscheinen noch funktionieren. Also wenn man irgendwas mit dem König zu tun hatte, als Gesandter oder als Funktionär oder so, dann ist man eben mit seinem Willen und seinen Entscheidungen konfrontiert worden an Orten und mit Verhandlungspartnern, die durch so ein differenziertes System seiner Repräsentation festgelegt waren. Und natürlich die Bilder! Die haben da auch einen wichtigen Platz.

Also gut, Velazquez hat in diesem System gearbeitet und sich perfektioniert, und dann ist im Jahre 1628 Rubens an den Hof gekommen. Das war ein entscheidender Punkt in Velazquez's Karriere. Das war ein Freundschaftsverhältnis und zugleich bestimmt ein Konkurrenzverhältnis, denn Rubens hat tatsächlich auch den König porträtiert, der von ihm ganz fasziniert war. Vor allem hat Velazquez aber gelernt in dieser Beziehung und gesehen, wo weitere Entwicklungsmöglichkeiten liegen. Es ist gewiß in Abstimmung von allen dreien - Velazquez, König und Rubens -, daß beschlossen wurde, Velazquez auf eine Reise nach Italien zu schicken.

Da ist es auf jeden Fall darum gegangen, sich in der aktuellen Situation der italienischen Kunst zu orientieren und eventuell auch Bilder einzukaufen; aus der Sicht von Velazquez aber war es vor allem eine Studienreise; ich habe schon irgendwann mal erwähnt, daß er sehr viel kopiert hat etc. Und er hat Kontakte geknüpft mit den Großen, die zu dieser Zeit in Rom waren - Poussin, Lorrain, Bernini. Nach der Rückkehr von dieser Reise gibt es einen Schub in seiner Malerei, da entsteht etwa jenes Porträt des Königs in Braun und Silber, das ich schon gezeigt habe, und es gibt eindeutige Tendenzen in den Ankäufen, die der König tätigt (sehr viel Poussin und Lorrain wird in den 30er-Jahren gekauft von Philip). Für Velazquez selbst ist diese Zeit eine produktive. Ab 1640 jedoch malt er wieder weniger und konzentriert sich mehr auf seine Karriere als Höfling. Er beginnt aufzusteigen in der Hierarchie. Diesen Aufstieg muß man als eine komplexe Angelegenheit sehen.

Einerseits ist das natürlich zu werten als Würdigung seines wachsenden Ruhmes und vielleicht auch erfolgreicher Intrige. Aber auf der anderen Seite, und das ist für uns wichtiger, ist der Aufstieg als Höfling die direkte Entsprechung zu einer spezifischen Leistung, die er erbringt in dieser Zeit. Er engagiert sich in der Organisation und Erweiterung der Gemäldesammlung, er engagiert sich für den Umbau des Palastes, und er engagiert sich vor allem für Aufgaben, die im Kreuzungsbereich von beidem liegen: Die Gestaltung von Räumen, in denen die Gemälde präsentiert werden. (Eine eigenartige und kaum beachtete Parallele zu Bacon, die Sache mit der Innendekoration. Allerdings: Der eine am Anfang, der andere am Ende seiner Karriere). 1652 wurde Velazquez ernannt zum aposentador del palacio, eine hohe Position, da hatte er schon den Schlüssel, mit dem er selbständig die Gemächer des Königs betreten konnte, und das Amt brachte ihm auch viel Geld. Diese Epoche hindurch hat er auch immer angestrebt, geadelt zu werden. Im Jahre 1648 machte er eine zweite Reise nach Italien, da ist das Innozenz-Porträt entstanden. Bei der Gelegenheit versuchte er, päpstliche Fürsprache für seine eigene Nobilitierung zu erwirken. Er ist dann tatsächlich geadelt worden, allerdings schon unter einem anderen Papst, und zwar ist er nobilitiert worden allein durch den Willen des Königs; die Gremien, durch die so eine Bewerbung durch mußte, haben negativ entschieden, es war einzig der König selbst, der Papst Alexander gedrängt hat, Velazquez zum Ritter des Santiago-Ordens zu machen. Auf dem Bild 'Las Meninas' sieht man auf seinem Gewand das Zeichen des Santiago-Ordens. Aber das Bild ist gemalt worden, bevor er aufgenommen wurde. Das Zeichen ist nachträglich in das Bild hineingemalt worden, man kann nicht sicher sagen, ob von Velazquez selbst oder einem Mitarbeiter oder Schüler.